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EU-Kommissarin in Minsk

23. Juni 2009

Seit es mit Moskau nicht mehr so klappt, sucht Lukaschenko neue Partner. Da kam der erste Besuch einer EU-Kommissarin in Minsk gelegen. Die stellte klar: ohne demokratischen Wandel wird nichts aus der EU-Partnerschaft.

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Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko und EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner (Foto: AP)
Bald neue Partner? Weißrusslands Staatschef und die EU-AußenkommissarinBild: AP

Plätze und Prospekte im Zentrum von Minsk sind nach Marx, Engels und Lenin benannt; an den öffentlichen Gebäuden prangen frisch polierte sowjetische Embleme. Auch das weißrussische Staatsfernsehen geht regelmäßig auf Zeitreise. Morgens läuft dort ein Werbefilm für die Miliz, der Jugendliche zum Eintritt in die Polizeitruppe bewegen soll, darin verspricht ein Offizier Disziplin und Ausbildung "wie bei den Pionieren".

Freilichtmuseum des Sozialismus

Wie in die Sowjetunion zurückversetzt fühlen sich viele Besucher in Belarus, das auf Deutsch auch 'Weißrussland’ heißt. Eingefroren auch die politischen Verhältnisse: Seit dem Zerfall der Sowjetunion regiert Alexander Lukaschenko das mitteleuropäische Land mit eiserner Hand. Lukaschenko ist ein lupenreiner Autokrat, der noch bis vor kurzem Einreiseverbot in der Europäischen Union hatte. Doch nun ist die politische Isolation des ehemaligen Kolchosendirektors durchbrochen. Unter vielen Vorbehalten und vernehmlichem politischen Bauchgrimmen hatte die EU Belarus im Frühjahr in ihr Programm zur Ost-Partnerschaft aufgenommen. Um nachzusehen, wie es weiter gehen kann mit dem schwierigen Partner, war EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner jetzt auf offizieller Mission in Minsk.

Das Museums des Großen Vaterländischen Krieges in Minsk (Foto: DW)
Museum des Sozialismus: die Innenstadt von MinskBild: DW/Paulyuk Bykowski

Für das Treffen mit Lukaschenko am Montag (22.6.2009) hatte das Protokoll 45 Minuten angesetzt. Es wurden zweieinhalb Stunden. Gleich zu Beginn machte die EU-Diplomatin klar, dass es ihr nicht um politisches Süßholz geht: Jetzt müssten beide Seiten sich aufeinander zu bewegen. Die EU erwarte von Belarus Reformen, echte und tiefgreifende Reformen. Aber sie sei froh, "als erste EU-Kommissarin überhaupt" in das so lange abgeschottete Land zu reisen. "Hoffentlich nicht als letzte", fiel ihr ein sichtlich aufgeräumter Lukaschenko ins Wort. Weißrussland sei souverän und werde es auch bleiben, auch wenn sein Land "zwischen zwei Monstern" liege. Damit – soviel war klar – meinte der Diktator die EU und Russland. Und mit dieser flapsigen Bemerkung umschrieb Lukaschenko auch sein Grundproblem.

Übermächtiger Bruder im Osten

Europa, der Westen, die EU – all das war dem Lukaschenko-Regime solange herzlich gleichgültig, wie es enge Kontakte zum großen Bruder Russland gab. Doch das war einmal. Mittlerweile bekriegen sich die beiden Länder an der Zollgrenze, liefern sich Import- und Exportscharmützel um Lebensmittel, Streit um den Preis für russische Gaslieferungen. Seitdem Lukaschenko sich weigert, es dem Kreml gleichzutun und die von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Süd-Ossetien als unabhängige Staaten anzuerkennen, hängt der Haussegen richtig schief. Und zu allem Überfluss will Lukaschenko nun auch keine weißrussischen Soldaten in eine schnelle GUS-Eingreiftruppe (unter Moskauer Oberbefehl) entsenden.

Tiefes Misstrauen

Die "special relationship" zu Russland sei bislang eine Art Legitimationsgrundlage für das Lukaschenko-Regime gewesen, meint Vitali Silitski vom unabhängigen "Belarussischen Institut für Strategische Studien". Die Weltwirtschaftskrise tut ein Übriges: vor kurzem erst musste der weißrussische Rubel auf Druck des IWF um 20 Prozent abgewertet werden. Lukaschenko braucht dringend Partner – politisch wie wirtschaftlich.

Die könnte er in der EU finden, wenn er auf die Brüsseler Forderungen eingeht: Den Zensurdruck von den Medien nehmen, Versammlungs- und Meinungsfreiheit gewähren, Nicht-Regierungsorganisationen zulassen, für faire und geheime Wahlen sorgen, die Gerichtsbarkeit endlich nach rechtstaatlichen Normen ausrichten. Bürgerrechtler und Oppositionspolitiker bleiben gegenüber Lukaschenko zutiefst misstrauisch. Die Motive seiner vorsichtigen Öffnung im Inneren finden sie opportunistisch. Schanna Litwina, Vorsitzende des Belarussischen Journalistenverbandes, drückt es so aus: "Es gibt bislang nur kosmetische Verbesserungen, keine im System."

Das Regime lässt grüßen

Trotzdem spricht Benita Ferrero-Waldner nach den Gesprächen mit der weißrussischen Führung von der "Hoffnung auf eine neu Ära". Wann, wenn nicht jetzt? Weißrussland solle seine Chance nutzen und "klare Signale" aussenden. Die meisten ihrer Zuhörer im "Hotel d’Europe" – gut 100 Politiker, Journalisten, Menschenrechtler sind zu ihrem Vortrag gekommen – überzeugt sie damit. Einige Oppositionelle bleiben trotzdem skeptisch. Sie halten das Lukaschenko-Regime für nicht reformierbar.

Das Regime lässt auch an diesem Nachmittag grüßen, in Gestalt vierer fast kahl geschorener Männer in knappen Windjacken. Einige Oppositionspolitiker wollen in ihnen besonders brutale Mitarbeiter einer Sondereinheit erkennen, die zum Einsatz kam, als Kundgebungen der Opposition nieder geknüppelt wurden. Heute sind sie hier, um die Vortragsveranstaltung mit der EU-Kommissarin zu "sichern". Im Freilicht-Museum des Sozialismus geht es eben manchmal gar nicht lustig zu.

Autor: Christian F. Trippe

Redaktion: Manfred Götzke