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Micky Maus erobert Deutschland

Kristina Reymann-Schneider30. August 2016

Vor 65 Jahren erschien das erste Micky-Maus-Heft auf Deutsch, als Comics noch als Schundliteratur galten. Trotzdem mauserte sich das Magazin zur beliebtesten deutschen Kinderzeitschrift. Und Comics sind heute Klassiker.

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Micky Maus (Rechte: AP Photo/Disney, Kent Phillips)
Bild: picture-alliance/AP Photo/Disney, K. Phillips

Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" veröffentlichte im März 1951 einen Artikel mit der reißerischen Überschrift "Comic - Opium in der Kinderstube". Während in den USA über die Jugendgefährdung von Superhelden-Comics diskutiert wurde, hielten die meisten Deutschen Comics generell für "Teufelszeug". Trotzdem lag am 29. August 1951 das erste Micky-Maus-Heft in deutscher Sprache in den Kiosken aus. 75 Pfennig kostete "Micky Maus - Das bunte Monatsheft". Es war die erste deutsche Zeitschrift, die vollständig in Farbe gedruckt wurde. Aber es war eben auch "nur" eine Geschichte aus Bildern und Sprechblasen. Die ersten Comics - für die Sammler heutzutage mehrere tausend Euro bezahlen - waren Ladenhüter.

Comics erweckten im Nachkriegsdeutschland Misstrauen

In der Nachkriegszeit hätten die Amerikaner Comics, die von Verbrechen handelten, für die gestiegene Jugendkriminalität verantwortlich gemacht, erläutert der Literaturwissenschaftler und Leiter des Comic-Archivs des Instituts für Jugendbuchforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt, Bernd Dolle-Weinkauff. In Deutschland kannte man zwar Bildgeschichten mit Texten in Versform darunter, man schätzte Wilhelm Busch, aber Comics waren neu. "Diese enge Verzahnung von Schrift und Bild und diese Vielzahl von grotesken Figuren und Abenteuergeschichten kam wie ein Tsunami in der Nachkriegszeit mit den amerikanischen GIs nach Deutschland." Die Deutschen waren misstrauisch und verdammten zunächst alles, was mit Sprechblasen daher kam. "Die rasanten Erzählungen mit diesen wilden Charakteren, die die Disney-Comics ja auch präsentieren, waren ein rotes Tuch." Kritiker befürchteten, dass die Schriftkultur untergehen, die Kinder nur noch Bilder angucken und nicht mehr lesen würden.

Disney nahm eine Sonderstellung ein

Doch aller Kritik zum Trotz schrieb Micky Maus eine Erfolgsgeschichte. Dolle-Weinkauff wundert sich nicht darüber. "In der Populärliteratur setzt sich immer das Bündnis zwischen dem Publikum und dem Produzenten, dem Autor, dem Verleger gegen alle Widerstände, Zensurmaßnahmen oder Vorbehalte von Pädagogen durch." Und schon gegen Ende der 1950er Jahre habe es Stimmen gegeben, die zumindest die Comics von Walt Disney nicht für schändlich hielten. Disney nahm zudem durch seine Micky-Maus-Trickfilme, die schon in den 1930er Jahren in den deutschen Kinos gezeigt worden waren, eine Sonderstellung ein. "Das hat dazu beigetragen, dass Micky Maus mehr oder weniger toleriert wurde", sagt der Literaturwissenschaftler.

'Steamboat Willie' (1928): Der erste Micky-Maus-Trickfilm (Rechte: Picture-alliance/United Archives/TopFoto)
'Steamboat Willie' (1928): Der erste Micky-Maus-TrickfilmBild: picture-alliance/United Archives/TopFoto

Comic-Übersetzerin Erika Fuchs erweiterte die deutsche Sprache

Weil Micky Maus damals die bekannteste Disney-Figur in Deutschland war, benannte der Egmont Ehapa Verlag, der bis heute die Comics herausgibt, die Heft-Reihe nach der Maus. Dabei hätten die Enten rund um Donald Duck in den Heften von Beginn an mehr Platz eingenommen, sagt Alexandra Hentschel. Sie ist Museumsleiterin des ersten deutschen Comic-Museums, dem Erika-Fuchs-Haus im bayerischen Schwarzenbach. Dass das Heft, das zunächst im Monatsrhythmus, seit 1957 einmal pro Woche herauskam, immer populärer wurde, sei insbesondere der Übersetzerin Erika Fuchs zu verdanken. Von 1951 bis 1988 war sie Chefredakteurin des Magazins. "Sie hat stark dazu beigetragen, dass Comics salonfähig wurden", meint die Museumsleiterin: "Sie hat etwas reingebracht, was die amerikanischen Comics nicht hatten." Mit Sprachwitz, Sprachspielereien, mit Zitaten von Schiller und Goethe und einem feinen Gespür für die kulturellen Besonderheiten hat sie die amerikanischen Comics übersetzt und zugleich die deutsche Sprache weiterentwickelt. Sie erfand den Inflektiv, der auch als Erikativ in die Geschichte eingegangen ist. Er wird gebildet, indem die Infinitivendung weggelassen wird. "Seufz" oder "schnief" sind Beispiele dafür. "Dass sie nicht eins zu eins übersetzte, war die Kunst", ergänzt Dolle-Weinkauff. "Sie hat eine eigene Form und eine eigene Ausprägung der Charaktere geschaffen, die bei den deutschen Kindern gut ankam."

Donald-Duck-Erfinder Carl Barks und die Übersetzerin Erika Fuchs (Rechte: dpa)
Donald-Duck-Erfinder Carl Barks und die Übersetzerin Erika FuchsBild: picture-alliance/dpa/Ehapa Verlag

Entenhausen: "Schöne, lustige Welt mit tollen Figuren"

Mittlerweile sind nach Verlagsangaben mehr als eine Milliarde Micky-Maus-Comics verkauft worden. In den 1990er Jahren gingen wöchentlich mehrere hunderttausend Hefte über die Ladentheke. Heute sind es nur noch knapp 85.000. Das Magazin richtet sich an Sechs- bis 13-Jährige und ist trotz der gesunkenen Auflage noch immer Marktführer unter deutschen Kinderzeitschriften. Doch auch bei Erwachsenen ist Micky Maus beliebt. Warum? Anders als im amerikanischen Original, wo die Enten in Duckburg und die Mäuse in Mouseton zuhause sind, leben in den deutschen Micky-Maus-Comics alle Protagonisten an einem Ort. "Entenhausen ist eine sehr schöne, sehr lustige Welt, die mit tollen Figuren bevölkert ist", schwärmt Hentschel. Es ist eine so vielfältige Welt, die sogar Wissenschaftler anzieht. Die so genannten Donaldisten von der Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus erforschen Entenhausen mit wissenschaftlichen Methoden.

Dagobert Duck im Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach (Rechte: dpa)
Dagobert Duck im Comic-Museum Erika-Fuchs-HausBild: picture-alliance/dpa/N. Armer

Micky Maus spricht alle Generationen an

Micky Maus sei längst ein Literaturklassiker geworden, erklärt Dolle-Weinkauff. Auch, weil Micky Maus alle Generationen erreiche. Die verhandelten Themen und Stoffe würden nicht nur Kinder, sondern auch noch die Großeltern ansprechen. Dennoch sind Comics in Deutschland noch lange nicht so angesehen, wie etwa in den Nachbarländern Frankreich oder Belgien. "Manche Eltern sind skeptisch, wenn Kinder Comics lesen", erzählt Hentschel. "Sie glauben, dass die Lesekompetenz darunter leiden könnte." Seit den 1980ern wächst zwar der deutsche Markt für Comics, die sich an Erwachsene richten, bezeichnend aber ist, dass sie nicht unter dem Begriff Comic, sondern als Graphic Novel beworben werden.