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Offener Brief von chinesischen Intellektuellen

Sarah Berning27. Februar 2013

Chinesische Intellektuelle haben den Nationalen Volkskongress aufgefordert, den UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu ratifizieren. Menschenrechtsexperte Wenzel Michalski sieht Peking unter Druck.

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Wenzel Michalski, Leiter von HRW Deutschland (Foto: DW)
Bild: DW/N. Jolkver

DW: Wie bewertet Human Rights Watch den offenen Brief von über 100 kritischen chinesischen Bürgern an den Nationalen Volkskongress, der kommende Woche zusammentritt?

Wenzel Michalski: Es ist ein starkes Zeichen, dass es einen offenen Brief gibt. Die Menschen, die dort unterschrieben haben, riskieren eine ganze Menge. Wir wissen aus Erfahrung, dass die chinesische Regierung alles tut, um solche Briefe zu unterbinden. Und es ist auch eigentlich eine Schlappe für den Geheimdienst, denn dessen Aufgabe ist es, solche Aktionen schon im Vorfeld zu verhindern. Trotzdem ist es den Unterzeichnern gelungen, den Brief zu veröffentlichen. Zum Teil gehören auch Funktionäre aus Partei und Militär dazu. Das ist also umso signifikanter.

Gibt es jetzt die Hoffnung, dass die Zeit für politische Reformen und die Beachtung der Menschenrechte näher rückt?

Nein, das wäre viel zu früh. Wir haben ja zumindest die Aussagen der neuen Regierung, dass sie überlegt, die sogenannte Umerziehung durch Arbeit abzuschaffen. Aber solche Aussagen haben wir schon öfter gehört. Und die Umerziehung durch Arbeit gibt es jetzt seit ungefähr sechs Jahrzehnten, da müssen wir wirklich Taten sehen, um zu sagen, ja, jetzt tut sich was.

Sollte sich allerdings wirklich was tun in der Richtung, und die Umerziehung durch Arbeit abgeschafft werden, wäre das wirklich ein Meilenstein für die Menschenrechte. Aber davon sind wir noch sehr weit entfernt.

Was müsste die chinesische Führung sonst noch tun, um die Lage der Menschen- und Bürgerrechte zu verbessern?

Sie müsste erstens ihre eigene Menschenrechtsreform reformieren, die nämlich besagt, dass Menschenrechte dann akzeptiert werden, wenn sie für den Staat von Vorteil sind. Zweitens müsste die Zensur beendet werden, die Überwachung im Internet, und die Unterdrückung von Protestkundgebungen. Es gibt in China am Tag zwischen 250 und 500 Proteste mit Teilnehmern zwischen zehn und 10.000 Leuten. Also man sieht ein Erstarken des zivilen Protests, aber gleichzeitig auch eine Erstarkung der Niederschlagung dieser Proteste. Solche Proteste werden zunehmend im Internet kommuniziert, und deswegen gibt es auch immer mehr davon, weil es eine neue Informationsplattform ist. Deshalb gibt es gleichzeitig eine Verschärfung der Zensur im Internet und ein brutales Vorgehen der Sicherheitsbehörden und der Justiz, die solche Leute zu langjährigen Strafen verurteilt.

Außerdem müssten alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Ich erinnere nur an den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, der zu elf Jahren Gefängnis verdonnert wurde; seit 2010 ist auch seine Frau verschwunden. Wahrscheinlich steht sie unter Hausarrest, wir wissen es aber nicht. Keiner hat da Zugang. Jetzt also von einer Verbesserung oder vielleicht von "Frühlingsgefühlen" zu sprechen, ist wirklich nicht angebracht.

Nun ist China ein großer und sehr wichtiger Handelspartner des Westens und Deutschlands. Gleichzeitig hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Fragen der Menschenrechte immer wieder gegenüber China angesprochen. Frage: Machen die Regierungen im Westen genug Druck, um in China etwas bewirken zu können?

Wir glauben sehr stark daran, dass Druck von außen, von der internationalen Gemeinschaft, viel bewirken kann, denn gerade ein Land wie China möchte sich nicht in eine Reihe stellen lassen mit Nordkorea oder anderen Staaten, die unterdrückerisch sind. Das wollen sie nicht auf sich sitzen lassen. Und wir haben hier und da Fortschritte gesehen, wenn der Druck von außen stark ist.

Angela Merkel hat tatsächlich immer wieder das Thema angesprochen und dadurch Druck erzeugt. Allerdings bei ihrem letzte Besuch nicht so stark, wie wir uns das erhofft hatten, und nicht so stark wie vorher.

Man darf da nicht nachlassen, auch wenn geschäftliche Interessen verbunden sind, muss man das immer wieder anmahnen. China ist auf die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft in Deutschland sehr stark angewiesen. Und da haben wir ein Mittel, mit dem wir auch Druck ausüben können. Andere Staaten sollten sich an Frau Merkel ein Beispiel nehmen.

Welche Bedeutung hat Unterstützung von außen für die Kräfte in China, die sich für Menschenrechte und politische Freiheiten einsetzen?

Der Druck von außen ist natürlich ein wichtiges, ermutigendes Zeichen für die Leute, die von innen Druck ausüben. Dissidenten, Umweltschützer, Bürgerrechtler brauchen die Solidarität der demokratischen Welt, um sie weiter zu ermutigen. Hinzu kommt, dass durch unsere neue Internetgesellschaft eine Plattform geschaffen wurde - trotz Zensur -, die Protestbewegungen katapultiert und in der Verbreitung unglaublich anschwellen lässt. Das heißt, die Protestbewegung wird immer stärker. Und man hat auch in den ersten Reaktionen auf den arabischen Frühling gesehen, wie sehr die KP Chinas Angst davor hat, dass eine Art arabischer Frühling auch nach China schwappen könnte.

Also stetiger Druck von außen und von innen wird zu Veränderung führen, irgendwann. Es ist ein langer Weg dahin, aber diese Zeichen sind ermutigend.

Wenzel Michalski ist Leiter des Deutschlandbüros von Human Rights Watch.