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PolitikAsien

Xi, der ewige Steuermann

Winkekatze Maneki-neko
Dang Yuan
15. November 2021

Eigentlich hätte er im kommenden Jahr abtreten müssen. Stattdessen hat sich Chinas Präsident die Macht noch länger gesichert. Ein massiver Tabubruch, während andere Tabus bestehen bleiben, meint Dang Yuan.

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Xi Jinping an einem Schreibtisch mit zwei Mikrophonen und einem Schild "China". Hinter ihm eine chinesische Flagge und ein großes Landschaftsgemälde
Chinas mächtiger Mann Xi JinpingBild: Li Xueren/Xinhua/imago images

Ein Titel, der um Aufmerksamkeit buhlt: 348 Delegierte des Zentralkomitees der KPCh haben der dritten "historischen Resolution" der Partei zugestimmt. Dabei erfüllt dieses Dokument nur einen einzigen Zweck: Es zementiert die Macht eines Mannes, der eigentlich im kommenden Jahr gemäß bisherigen Parteiregeln nach zwei Amtszeiten als Generalsekretär in den politischen Ruhestand treten müsste.

Doch Xi Jinping, inzwischen 68 Jahre alt, hat dafür gesorgt, dass er auch nach dem 20. Parteitag im November 2022 weiter KP-Chef bleibt. Das lässt sich aus der dieser KP-Resolution unmissverständlich lesen. In Personalunion als Staatspräsident und als Vorsitzender der Militärkommission (Oberster Befehlshaber der Streitkräfte) kann er nun in der Volksrepublik bis 2027 das letzte Wort haben.

Regieren und die eigene Macht sichern

Macht macht süchtig. Der weitsichtige Parteimagnat Deng Xiaoping hatte deswegen Anfang der 1980er-Jahre aus gutem Grund durchgesetzt, die Amtszeiten der Spitzenfunktionäre auf zweimal fünf Jahre zu begrenzen. Bisher haben sich alle daran gehalten: Jiang Zemin und Hu Jintao regierten China jeweils zehn Jahre. Länger nicht.

Heute sieht die Realität anders aus. In der inzwischen 100-jährigen Geschichte der seit 1949 dauerregierenden Partei besaß kein Politiker so viel Macht wie aktuell Xi. Aber China war auch nie so stark wie gegenwärtig - politisch, wirtschaftlich und militärisch.

Xi, der 2012 an die Macht kam, hat nie den geringsten Zweifel aufkommen lassen, dass er mehr will. Und er hat erfolgreich vorgesorgt: So folgten 2017 keine jüngeren KP-Kader in den Ständigen Ausschuss des Politbüros, die Xi nach den beiden regulären Amtszeiten 2022 hätten beerben könnten - ein Novum. Außerdem wurde 2018 auf seinen Wunsch hin die Verfassung geändert und die Obergrenze der Amtszeiten des Staatspräsidenten abgeschafft. Die Dienstjahre der Politbüro-Mitglieder waren in der KP-Satzung ohnehin noch nie begrenzt.

Eiserne Faust und Kriegsangst

In der öffentlichen Wahrnehmung sowohl im Land selbst wie im Ausland ist Xi Garant für den wachsenden Wohlstand und Aufstieg Chinas. Er war es schließlich, der die Seidenstraßeninitiative ausrief, mit der China Länder Asiens, Afrikas und Osteuropas um sich schart und damit die seit dem Zweiten Weltkrieg etablierte Weltordnung herausfordert.

In der Partei herrscht Xi mit eiserner Faust. Auf wichtige Posten setzt er nur Personen seines Vertrauens. Rivalen ließ er gnadenlos verfolgen, wenn sie ihm nicht öffentlich Treue gelobten. Ein Delegierter des Zentralkomitees fehlte zum Beispiel dieser Tage: Seit Oktober wird gegen ihn wegen "schweren Verstoßes gegen Gesetze und Parteidisziplin" ermittelt - ironischerweise handelt es sich um den früheren Justizminister. Es wird vermutet, dass er der falschen Fraktion in der Partei angehört.

Außerhalb der Partei ist kaum von sozialistischer Gerechtigkeit gemäß der KP-Mission die Rede. Stattdessen baut Xi stark auf eine ideologisierte Konfrontation mit der Supermacht USA - so will er dem Kapitalismus die Stirn bieten und die eigene kommunistische Herrschaft legitimieren. In diesem Kampf der Systeme wird Taiwan als Hebel genutzt: 2005 verabschiedete die Volksrepublik das Antispaltungsgesetz, das den Angriff auf die Insel legitimiert. Die Anwendung von Waffengewalt gegenüber der in Pekings Augen abtrünnigen Provinz würde die USA und ihre Verbündeten in einen bewaffneten Konflikt hineinziehen.

Gebrochene und bestehende Tabus

Autoritäre Regierungen und Parteien nutzen Zeiten des Umbruchs nie, um dauerhaft Frieden zu schaffen oder den Menschen eine Zukunftsperspektive zu geben. Nein - lieber schaffen sie Angst und regieren mit der Angst, damit sie angesichts dieser Drohkulisse länger im Sattel der Macht sitzen. In China steigerte sich die Angst in der vergangenen Woche so massiv, dass es in Großstädten zu Hamsterkäufen von Reis und Speiseöl kam. Viele Menschen glaubten, dass Xi jeden Moment gegen Taiwan losschlagen würde.

Sieben Männer am Präsidiumstisch heben die Hans. Hinter ihnen klassisch kommunistisches Dekor aus Hammer und Sicher und chinesischen Fahnen vor einem goldfarbenen Vorhang
Das Präsidium der Sechsten Generalversammlung des Zentralkomitees der KPCh in Peking - Xi Jinping in der MitteBild: Xie Huanchi/Xinhua News Agency/picture alliance

Das Abschlusskommuniqué des ZK-Plenums spart nicht mit Eigenlob. Es ist ein Papier der Selbstbeweihräucherung und Selbstverherrlichung. Vor allem aber - und das ist neu - ist die "historische Resolution" ein Dokument der Vergöttlichung des Vorsitzenden, in dem in erster Linie Xis "glorreiche Errungenschaften" herausgestellt werden. Seine Ideen werden als "Marxismus des 21. Jahrhunderts" und "Quantensprung der marxistischen Gedanken in China" bezeichnet.

Mit diesem Kurs bricht die Partei ein Tabu. Andere Tabus hingegen bleiben: Historische Fehlentscheidungen wie die Kulturrevolution (1966-1976), bei der Xis Vater selbst Opfer war, oder die blutige Niederschlagung der Studentenbewegung 1989 bleiben weiterhin unerwähnt.

 

DW-Redakteur Dang Yuan schreibt zum Schutz für sich und seine Familie in China unter Pseudonym.