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PolitikÄthiopien

Meinung: Vernichtungskrieg in Äthiopien

Kommentarbild Ludger Schadomsky
Ludger Schadomsky
24. Oktober 2022

Scheitern die Friedensgespräche für Äthiopien, steuert Afrikas zweitbevölkerungsreichstes Land auf ein Blutbad zu. Dabei sitzt der eigentliche Kriegstreiber gar nicht mit am Verhandlungstisch, meint Ludger Schadomsky.

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Äthiopien Tigray-Region | zerstörter Panzer
Ein zerstörter und verlassener Panzer auf einer Straße nördlich von Mekele, der Hauptstadt der Provinz TigrayBild: EDUARDO SOTERAS/AFP/Getty Images

Nun soll es also im zweiten Anlauf klappen: An diesem Montag wollen sich die Konfliktparteien auf Einladung der Afrikanischen Union in Südafrika zu direkten Gesprächen treffen - ziemlich genau zwei Jahre nach Beginn des Krieges zwischen der äthiopischen Bundesregierung und der "Volksbefreiungsfront von Tigray" (TPLF). Ein erstes geplantes Zusammentreffen war zuvor an "logistischen" Fragen gescheitert. Auch dieses Mal gibt es viele ungeklärte Fragen rund um den Prozess, der gleich drei Mediatoren einschließt - und damit anfällig ist für Kommunikations- und Protokollpannen.

Die letzte Hoffnung

Gleichwohl klammern sich 115 Millionen Äthiopier und ein zunehmend verzweifelter UN-Generalsekretär Antonio Guterres an diesen letzten, dünnen Strohhalm, um ein noch größeres Massensterben zu verhindern: Bis zu 500.000 Menschenleben hat der seit November 2020 tobende Bürgerkrieg am Horn von Afrika gekostet - er ist damit der verlustreichste Konflikt der Gegenwart. Die Berichte von Menschenrechtsgruppen sind selbst für Afrika-Veteranen schwer zu verdauen: Massaker, begangen von entfesselt schlachtenden Kämpfern auf allen Seiten, sexualisierte Gewalt und Hunger als Kriegswaffen, Drohnenangriffe auf Kindergärten, die Tötung von NGO-Mitarbeitern. "Schlimmer als Tiere" seien die Angreifer gewesen, berichtete eine Überlebende.

Kommentarbild Ludger Schadomsky
Ludger Schadomsky leitet die Amharisch-Redaktion der DW

Die Gespräche in Südafrika sind ein allerletzter Versuch, weitere Zehn-, wenn nicht Hunderttausende Tote zu verhindern. Denn es herrscht Einigkeit unter Äthiopien-Beobachtern: Wenn die mit der Bundesregierung in Addis Abeba verbündeten 100.000 eritreischen Soldaten, die eiligst zwangsrekrutiert und an die Grenze zu Tigray verlegt wurden, über die Menschen herfallen, wird der Blutzoll in der Zivilbevölkerung enorm sein. Die Übergriffe in der jüngst gefallenen Stadt Shire lassen das Allerschlimmste befürchten, vor allem für Frauen und Mädchen.

Kotau vor dem Nobelpreisträger

Die Vertreter der internationalen Gemeinschaft ergehen sich derweil in Mahnungen und Warnungen, und geben wechselweise ihrer "Sorge" oder ihrer "sehr großen Sorge" Ausdruck. Fakt ist aber: Viel zu lange wurde der Kriegstreiber Abiy Ahmed hofiert, viel zu leise waren die Proteste an die Adresse des Nobelpreisträgers, der seine politischen Gegner im Norden zuletzt "Krebs" und "Unkraut" schimpfte. Mit der Demütigung einer ganzen Volksgruppe als "Kakerlaken" begann der Völkermord in Ruanda, dessen Geister 2022 am Horn von Afrika neu erstehen. 

Dabei wusste spätestens seit Abiys teuflischem Angriffspakt mit dem eritreischen Langzeit-Diktator Isaias Afewerki jeder halbwegs interessierte Beobachter, dass das Horn von Afrika auf eine Katastrophe zusteuert: Der glühende Hass des Menschenschinders Isaias gegenüber den einstigen Waffenbrüdern der TPLF ist hinlänglich dokumentiert. Folgerichtig gab er seinen Soldaten mit auf den Weg, keinen waffenfähigen Mann in Tigray am Leben zu lassen. Scheitern die Gespräche in Südafrika, wird das Schlachten beginnen.

Tigray-Krise in Äthiopien
Rauchschwaden über Mekele, der Hauptstadt von Tigray, nach einem Luftschlag der äthiopischen ArmeeBild: UGC/AP/picture alliance

Natürlich hat sich auch die TPLF unter ihrer zutiefst zynischen und demagogischen Führung schwerster Menschenrechtsverbrechen schuldig gemacht, die hoffentlich bald als solche untersucht und vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag geahndet werden.

Auf tragische Weise wiederholt sich so in diesen Monaten die Geschichte am Horn. Schon einmal fassten die leidgeprüften Menschen ja Hoffnung: Als "Fackelträger einer afrikanischen Renaissance" galten Äthiopien und Eritrea in den frühen 1990er-Jahren, bevor sie sich in einen verheerenden Grenzkrieg stürzten, der aus Nachbarn Feinde machte. Auch im politischen Frühling 2018 war die Hoffnung groß, die alte Kulturnation Äthiopien könne ihr Image als Hunger- und Krisenland abstreifen und unter neuer Führung prosperieren.

Heute ist die Euphorie über den jungen, charismatischen Ministerpräsident Abiy verflogen, die Menschen im Vielvölkerland mit seinen 80 Volksgruppen sind desillusioniert und aufgerieben von Kriegsangst und galoppierender Inflation. Wer kann, verlässt das Land - und bezahlt oft mit dem Leben. Gerade wurden in Malawi Massengräber mit den Leichen äthiopischer Flüchtlinge entdeckt - Opfer von skrupellosen Schleppern, die den Verzweifelten ein besseres Leben im Süden des Kontinents versprochen hatten.

Alles auf die Karte Dialog

Auch wenn Europa angesichts der russischen Aggression derzeit augenscheinlich andere Sorgen hat, sollte in den Schaltzentralen in Berlin, Paris, Rom und London doch alles daran gesetzt werden, den Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union politisches Gewicht zu verleihen. Am vergangenen Wochenende entsandte die Bundesregierung eine Emissärin nach Äthiopien, um in allerletzter Minute die Bedeutung eines Nationalen Dialogs zu unterstreichen. Ob sie gehört wurde?

Denn der eigentliche Kriegstreiber sitzt längst nicht mehr in Addis Abeba, sondern in Asmara. Die äthiopische Regierung wird den Geist, den sie rief, nicht mehr los: Der Waffenbruder Eritrea hat noch nie ein Interesse an einer Befriedung des Horns gehabt, Destabilisierung ist Staatsräson. Präsident Isaias führt im Nachbarland Äthiopien einen Vernichtungskrieg. Das Fenster am Montag ist deshalb sehr klein - denn Eritrea sitzt nicht mit am Verhandlungstisch.