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Trump bleibt ein Stresstest für Amerika

22. Juli 2022

Die Anhörungen zum Sturm auf das Kapitol zeichnen ein vernichtendes Bild eines Präsidenten Trump, der so ziemlich alles verriet, worauf er seinen Amtseid geschworen hatte, meint DW-Korrespondentin Michaela Küfner.

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USA Washington | Trump Rally führt zu Sturm aufs Kapitol
Hat Donald Trump seine Anhänger auf dieser Rally zum Sturem auf das Kapitol angestachelt? Auch das soll der Untersuchungsausschuss klären.Bild: John Minchillo/AP/picture alliance

Über drei Stunden lang weigerte sich der damalige Präsident Donald Trump, den Mob zurückzupfeifen. Er hetzte stattdessen die bewaffnete Menge weiter auf. Nachdem sie das Kapitol erstürmt hatten, erklärte Trump seinen eigenen Vizepräsidenten Mike Pence als nächstes Ziel. "Mike Pence let me down" - "der Vizepräsident hat mich im Stich gelassen", sagte er erst einem Mitarbeiter, dann per Tweet dem aufgebrachten Mob. Pence, der sich geweigert hatte, die Anerkennung der Wahl von Joe Biden zum rechtmäßigen Nachfolger auf Trumps Wunsch zu stoppen, musste nun um sein Leben fürchten.

So kritisch war die Lage, dass Pences eigene Personenschützer ihre Liebsten anriefen, ihren Familien Nachrichten schickten, um sich von ihnen zu verabschieden. Diese bewaffneten Männer mit Spezialausbildung hatten plötzlich selbst Angst, nicht mehr lebend rauszukommen. Der noch amtierende Präsident Trump bekam ständig Updates der sich immer weiter zuspitzenden Lage, dennoch ließ er über drei Stunden lang jeden Rat, jede Bitte seiner engsten Berater, doch endlich seine Leute dazu aufzurufen, wieder friedlich nach Hause zu gehen, an sich abprallen. Selbst seine Tochter Ivanka Trump drang nicht zu ihm durch. Stattdessen telefonierte er weiter mit republikanischen Senatoren, um seine Abwahl doch noch zu stoppen. Einer musste gar auflegen, weil er aus dem Kapitol evakuiert wurde. 

USA Washington | Trump Rally führt zu Sturm aufs Kapitol
Am 6. Januar 2021 stürmte ein aufgebrachter Mob das Kapitol in Washington, DC.Bild: Jose Luis Magana/AP/picture alliance

Trump ging es einzig um den Machterhalt

Bei der neuesten, aber noch lange nicht letzten Anhörung zur Erstürmung des Kapitols wird auch dem letzten Zweifler, der sich noch für Fakten interessiert, klar: In den drei Stunden des Sturms auf das Kapitol ging es Trump nur um einen Instinkt, der älter ist als die Demokratie: den Machterhalt. "Ich will nicht sagen, dass die Wahlen vorbei sind" – so formulierte er es selbst am Tag darauf in Kommentaren, die am Rande einer Rede mitgefilmt wurden.

Trump hatte verloren. Aber ihm war das egal, es durfte nicht vorbei sein. Die letzte Runde der Anhörungen zur Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 haben eindrücklich belegt, was alle eigentlich schon wussten. Dass Donald Trump selbst der größte Anschlag auf die amerikanische Demokratie war, den es bislang gegeben hat. Das erkannten an dem Abend auch viele seiner engsten Mitarbeiter. Einige, die jetzt aussagten, wie sein ehemaliger Vize-Sicherheitsberater Matthew Pottinger, legten daraufhin sofort ihre Ämter sofort nieder. Andere blieben trotz allem, weil sie sich Sorgen machten, wer sie dann ersetzten und somit Einfluss auf Trump bekommen würde, wie sein Rechtsberater Pat Cipollone.

Den USA droht ein politisches Organversagen

Doch Trumps Anschlag auf die amerikanische Demokratie wirkt weiter. Ob er nun ein präsidiales Comeback versucht oder nicht: Amerikas Demokratie ist beschädigt. Das dysfunktionale Wahlsystem, das schon jetzt nicht jeder Stimme das gleiche Gewicht verleiht, wird gerade weiter frisiert, um möglichst wenig Überraschungen zu erlauben. Das Verfassungsgericht beschneidet nicht nur Frauenrechte, sondern stellt damit seine eigene Glaubwürdigkeit in Frage. Es droht ein Organversagen der wichtigsten Demokratie der Welt, mitten im Kampf der politischen Systeme mit China und Russland. Und ohne ein demokratisches Amerika könnte auch Europa bei der Neuordnung totalitärer Weltmächte schnell zur Verhandlungsmasse verkommen.

Berlin DW  Michaela Küfner
DW-Korrespondentin Michaela Küfner Bild: DW

Doch es gibt in jeder demokratischen Institution Amerikas auch viele Männer und Frauen, die wie Matthew Pottinger, Pat Cipollone oder auch Trumps ehemalige Vize-Pressesprecherin Sarah Matthews ihren Eid ernst nehmen, daran mitzuwirken, dass Amerika "the land of the free" bleibt. Zerknirscht saßen sie nun vor dem Untersuchungsausschuss, weil sie schon zu lange geschwiegen hatten.

So wie viele andere auch. Denn auch in den USA gibt es sie noch: die schweigende Mehrheit. Auf die wird es immer mehr ankommen, wenn der nächste Mob vor der Tür steht; sei es vor einer Abtreibungsklinik oder dem Kapitol. Die Lage ist ernst in Amerika, aber nicht hoffnungslos. Wer jetzt schon vom Ende der amerikanischen Demokratie spricht, zerredet sie, statt für sie zu kämpfen - ein Geschenk für die Putins und Xis dieser Welt.