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Kinderarmut

Daniel Scheschkewitz27. August 2007

Kinder sind in Deutschland die, die am stärksten unter Armut zu leiden haben. Ein Besuch in einer Kindertagesstätte in Köln-Bilderstöckchen, einem sozialen Brennpunkt der rheinischen Metropole.

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Zettel mit der Aufschrift "Liebe Eltern! Der Kindergarten braucht neue Taschentücher. Wir freuen uns über jede Spende. Vielen Dank", Quelle: Daniel Scheschkewitz
Manchen Familien fehlt es am AlltäglichstenBild: Daniel Scheschkewitz/DW
Gerhard Müller mit drei Kindern, Quelle: Daniel Scheschkewitz
In Gerhard Müllners Verein "Pänz im Veedel" arbeiten überwiegend kirchliche Sozialarbeiter und ErzieherBild: Daniel Scheschkewitz/DW

Gerhard Müllner ist der Leiter von den "Pänz im Veedel" (Kölsch für "Kinder im Viertel"), einem Verein von meist kirchlichen Sozialarbeitern und Erziehern, die an sozialen Brennpunkten mit Kindern zusammen arbeiten. Gleichzeitig leitet er seit elf Jahren die Kindertagesstätte in der Escher Straße, wo die Armut hinter den mit Sattelitenschüsseln bedeckten Fassaden der grauen Mietskasernen wohnt. "Wir erleben es oft, dass Kinder kein Mittagessen bekommen, sondern mit einem oder anderthalb Euro abgespeist werden und dann an den nächsten Kiosk laufen, um sich Süßigkeiten oder Chips zu kaufen. Es ist also eine Mangel-, nicht so sehr eine Unterernährung."

Essenspatenschaften

Der Verein organisiert Essenspatenschaften, in denen für bedürftige Kinder der Essensbeitrag von 30 Euro im Monat halbiert oder zeitweilig sogar ganz erlassen wird. Davon profitiert auch Aische Bastürk (Name von der Redaktion geändert), deren achtjähriger Sohn Dennis und 11-jährige Tochter Jasmin die Einrichtung in der Escher Straße besuchen.

Die kurdische Hausfrau, die seit längerem arbeitslos ist, muss mit 600 Euro Arbeitslosengeld und den 500 Euro monatlich auskommen, die ihr Mann von seinem Kellnerjob in einem türkischen Imbiss mit nach Hause bringt. Trotz des Kindergeldes reicht es hinten und vorne nicht: "Ich kann mit meinen Kindern nichts untenehmen, nicht mal ins Kino gehen, alles kostest Geld. Mein Sohn würde so gerne mal ins Kino gehen. Kann ich nicht, ich kann mir noch nicht mal die 3,50 Euro für eine McDonald's-Mahlzeit für meine Kinder leisten. Wir haben jede Menge Schulden, die müssen wir alle abbezahlen."

Teurer Schulbesuch

Außenansicht des Kinderhorts in Köln-Bilderstöckchen, Quelle: Daniel Scheschkewitz
Der Kinderhort in Köln-BilderstöckchenBild: Daniel Scheschkewitz/DW

In ihre Notlage geriet Aische Bastürk, als man ihr kurz vor Weihnachten als Kassiererin kündigte. Der Supermarkt wollte das Weihnachtsgeld sparen. Jetzt stellt sie nicht nur die Ernährung ihrer Kinder vor Probleme, sondern auch der Schulbesuch. "Ich musste 40 Euro für die Bücher meiner Tochter bezahlen und noch Materialsachen wie Hefte, Malsachen für den Kunstunterricht usw. kaufen. Da waren für meine Tochter schnell mal 80 Euro weg. Dann noch das Büchergeld für meinen Sohn, da waren 100 Euro weg."

Eine Situation, mit der in Deutschland nicht nur die Eltern von Migrantenkindern zu kämpfen haben, wie der Kölner Armutsforscher Christian Butterwegge betont. "1,9 Millionen von insgesamt 11,4 Millionen Kindern unter 15 Jahren in Deutschland leben in so genannten Hartz-IV-Haushalten. Das sind Haushalte, die von staatlichen Geldern leben." Und die sind nicht sehr üppig: 347 Euro pro Monat für Erwachsene, Kinder bis 15 Jahre leben von 208 Euro im Monat.

Kein Geld für Geburtstagsgeschenke

In einigen Regionen sind es sogar noch mehr betroffene Kinder. In Görlitz, einer Stadt an der Grenze zu Polen, müssen 44 Prozent der Kinder mit so wenig Geld auskommen. Dabei bleibt für Extras kaum etwas übrig.

Aische Bastürk konnte ihrer 11-jährigen Tochter in diesem Jahr noch nicht einmal eine Geburtstagsfeier ausrichten. "Ich habe sehr darunter gelitten, dass ich ihr keine Geburtstagsfeier ausrichten konnte. Ich habe mich gefragt, wie erklärst du es deiner Tochter, was machst Du?" Dann habe sie sie zur Seite genommen und mit ihr wie mit einer erwachsenen Frau geredet. "Sie hat so toll reagiert. Ich sagte: Schatz ich kann nur einen Kuchen backen, mehr geht nicht. Sie hat mich dann umarmt und geantwortet: Mama ich bin froh, dass Du da bist, und das ist meine Geburtstagsfeier."

Konsumgesellschaft setzt Kinder unter Druck

Vor allem die Kinder alleinerziehender Mütter, die keiner dauerhaften Beschäftigung nachgehen, wachsen zunehmend in Verhältnissen auf, in denen saubere Kleidung und regelmäßiges warmes Essen keine Selbstverständlichkeit mehr sind. Erst recht fehlt es am Geld für Freizeitvergnügen, denn auch die Kosten für einen einfachen Schwimmbadbesuch sind in Deutschland in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Zwar leiden in Deutschland Kinder in den allermeisten Fällen keinen Hunger und sind in der Regel auch nicht obdachlos, doch in einer Konsumgesellschaft ist auch relative Armut im Vergleich zum Wohlstand der anderen speziell für Kinder und Jugendliche ein Problem.

Für Kinder und Jugendliche sei es besonders bedrückend, arm zu sein, sagt der Kölner Armutsforscher Christian Butterwegge. "In so einer wohlständigen Konsumgesellschaft lastet ein großer Druck auf diesen Kindern und Jugendlichen, immer das modernste Handy, die tollste Unterhaltungselektronik zu haben, mithalten zu müssen in der Clique, weil das gesellschaftliche Image davon abhängt, ob man alles hat, alles kaufen kann."