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Gesellschaft

Mein Deutschland: Bunt, bunter, Berlin

Zhang Danhong
1. März 2018

Gegenüber China ist Deutschland in vielerlei Hinsicht fortschrittlich - auch in der frühkindlichen Sexualerziehung. Dass in Berliner Kitas die Vielfalt der Geschlechter gelehrt wird, ist für Zhang Danhong nur konsequent.

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Sexualkundeunterricht
Wie man ein Kondom richtig überzieht - auch das gehört in manchen Bundesländern inzwischen zum UnterrichtsstoffBild: picture-alliance/dpa

"Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben." Das ist der phantasievolle Titel einer 140-seitigen Broschüre, die der Berliner Senat den Erzieherinnen in den Kindergärten ans Herz legt. Darin geht es um Jungen, die ihren Penis abschneiden wollen; um Kinder, die über Penis und Scheide verfügen wollen; um geschlechtsvariante, geschlechtsflexible und geschlechtsneutrale Kleinkinder. Die unter Sechsjährigen sollen ermutigt werden, den geschlechtlichen Dualismus zu durchbrechen und ihr angeblich gar nicht angeborenes Geschlecht zu hinterfragen. Auch geht die Broschüre mit dem "heteronormativen Familienbild" hart ins Gericht. Damit meint die Autorin Stephanie Nordt das immer noch am häufigsten praktizierte, somit extrem uncoole Modell einer Ehe bestehend aus einem Mann und einer Frau.

Berliner Broschüre über die Vielfalt der Geschlechter für Kitas
Damit müssen sich die Berliner Erzieherinnen nun auseinandersetzen

Als ich das las, fühlte ich mich ertappt: Vermutlich nur aus Mangel an Aufklärung habe ich mich ausgerechnet für die langweiligste aller Lebensformen entschieden - die heteronormative Familie. Das einzige, worauf ich gegenüber Stephanie Nordt stolz sein kann, ist, dass meine beiden Kinder unterschiedliche Väter haben.

Ich klage das chinesische Bildungssystem an, das Kinder und Heranwachsende zu sexuellen Neandertalern und Analphabeten gemacht hat. Im Kindergarten wurde uns nicht gesagt, dass Kinder Sexualforscher sind und ein Informationsrecht auf alles rund um den Sex haben. Wie gern hätte ich damals die Kindergartenbox "Entdecken, schauen, fühlen!" gehabt, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vertrieben wird.

Mathe-Ass, aber Sex-Analphabet

Was wäre mir alles erspart geblieben! Ich zum Beispiel hätte nicht bis zu meinem zehnten Lebensjahr geglaubt, dass ich von meinen Eltern in einer Mülltonne gefunden wurde. An einem kalten Wintermorgen soll das geschehen sein. Wie dankbar war ich damals, dass meine Eltern mich rechtzeitig entdeckt hatten. Sonst wäre ich unter Chinakohl-Blättern erstickt oder einfach erfroren.

In der Grundschule habe ich zwar Textaufgaben bis zum Exzess gelöst, aber immer noch kein Lehrer widerlegte die These, dass Kinder allesamt arme Findlinge sind. Stattdessen erfuhr ich in der Schule von anderen Kindern, dass auch sie zufällig von ihren Eltern entdeckt worden waren, nicht selten in einer Mülltonne. Richtig misstrauisch wurde ich erst am Gymnasium: Im letzten Kapitel des Schulbuchs für Biologie ging es um den menschlichen Körper und die Sexualität. Unsere Biolehrerin hat aber mit den anderen Kapiteln so getrödelt, dass für den spannendsten Teil des Buches schlicht keine Zeit mehr übrig war. Natürlich hatten wir den Verdacht, dass das pure Absicht war. Wie ich später erst hörte, legten die Jungs in unserer Klasse zu Schuljahresbeginn einen nie dagewesenen Lerneifer an den Tag und sogen den Inhalt dieses Kapitels regelrecht auf. Sie wären grün und blau vor Neid geworden, wenn sie wüssten, dass die Jungs in Nordrhein-Westfalen ab der achten Klasse einen Kondomführerschein machen können. Den hat die damalige rot-grüne Landesregierung 2014 eingeführt.

Zhang Danhong
DW-Redakteurin Zhang DanhongBild: V.Glasow/V.Vahlefeld

Ich weiß, es ist nicht fair, das verklemmte China meiner Jugend mit dem durchgegenderten Deutschland von heute zu vergleichen. Aber die Sex-Broschüre für die Berliner Kindertagesstätten hat meine Neugierde erweckt, wie es heute um die sexuelle Aufklärung im Reich der Mitte bestellt ist. Bei meiner Recherche bin ich auf eine heftige Diskussion aus dem vergangenen Jahr gestoßen. Es ging um ein neues Schulbuch mit der langweiligen Überschrift: "Das Leben wertschätzen - Bildungsbuch für die sexuelle Gesundheit der Grundschüler". Für Zündstoff sorgten vor allem ein paar Bilder, die unter anderem einen erigierten Penis zeigten.

Zwei Extreme in Sachen Sexualerziehung

Ja, es war nicht anders zu erwarten: Die kindliche Sexualerziehung in China steckt noch in den Kinderschuhen. Aber ein Anfang ist gemacht. Hintergrund ist das breite Unwissen über die Sexualität und die zum großen Teil hieraus resultierenden 13 Millionen Abtreibungen im Jahr. Natürlich spielt auch der rasant angestiegene sexuelle Missbrauch von Minderjährigen eine Rolle.

Auch hierzulande machen sich Pädagogen und Politik für die frühkindliche Sexualaufklärung stark, angeblich um Kinder für das Thema zu sensibilisieren und dem Missbrauch vorzubeugen. Ich kann mich aber nicht des Eindrucks erwehren, dass dahinter eine Ideologie steckt. Nennen wir sie Gender-Ideologie. Sie hat ihre Wurzeln in der sexuellen Revolution der 1968er-Bewegung und sagt, dass es neben dem biologischen noch ein soziales Geschlecht gibt. Auf dieser sozialen Ebene wird man nicht als Mädchen oder Junge geboren, sondern man wird dazu gemacht - von den heteronormativen Eltern, den Großeltern, der gesamten Gesellschaft. Jetzt verstehe ich, warum der wahrscheinlich künftige Vizekanzler Olaf Scholz einst als SPD-Generalsekretär die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern wollte.

Eine Ideologie erkennt man auch daran, dass ihrer Durchsetzung die absolute Priorität eingeräumt wird. Wie ist es sonst zu erklären, dass das rot-rot-grün regierte Bundesland Berlin an den Unterrichtsstunden in den Grundschulen spart, massive Defizite der Grundschüler beim Lesen und Schreiben in Kauf nimmt, jedoch keine Kosten und Mühe scheut, um Kindergartenkindern die Vielfalt der Geschlechter beizubringen?

Schulleistungsvergleich Deutschland
Rund drei Viertel der Berliner Grundschüler können laut einer Studie weder richtig lesen noch schreiben Bild: picture-alliance/dpa

Auch wenn sich die Berliner CDU und AfD darüber empören und viele außerhalb Berlins den Kopf schütteln - das Ende der Fahnenstange dürfte damit noch nicht erreicht sein. So fordert der Kieler Sexualpädagoge Uwe Sielert, ein Wegbereiter der Gender-Revolution, bereits seit Längerem, dass Kinder beim Geschlechtsverkehr der Eltern dabei sein dürfen. Und seine Kassler Kollegin Elisabeth Tuider will praktische Übungen in den Sexualkundeunterricht einbauen.

Wenn es dazu eines Tages kommen sollte, werde ich mich nach dem verklemmten und prüden China zurücksehnen.

 

Die Broschüre richtet sich an die Erzieherinnen und nicht an die Kindergartenkinder.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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