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Politik

Mehr Vorurteile gegen Ausländer und Muslime

Helena Baers
7. November 2018

Die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland steigt, insbesondere im Osten. Zu dem Ergebnis kommt eine Leipziger Studie zum Autoritarismus. Die Autoren warnen, dass die Demokratie in Gefahr ist.

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Demonstration  Pro Chemnitz
Rechtsextremisten-Demo in Chemnitz (im September): Wunsch nach einem Führer, der mit harter Hand regiertBild: picture-alliance/AP Photo/J. Meyer

Mehr als jeder dritte Deutsche ist laut der Leipziger Autoritarismus-Studie der Meinung, dass Ausländer nur ins Land kommen, um den Sozialstaat auszunutzen. In Ostdeutschland glaubt das fast jeder Zweite. Ähnlich viele Menschen sind zudem überzeugt, dass die Bundesrepublik durch Ausländer "in einem gefährlichen Maß überfremdet" ist (insgesamt 35,6 Prozent, im Osten 44,6 Prozent).

"Wir haben momentan in Ostdeutschland einen Anteil von über 30 Prozent der Menschen, die ausländerfeindlichen Einstellungen geschlossen zustimmen", sagt Studienleiter Oliver Decker vom Leipziger Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung. Das sei ein sehr, sehr hoher Wert. Im Westen liege er bei 22 Prozent. Deckers Institut legt seit 2002 alle zwei Jahre eine repräsentative Befragung zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland vor, bislang bekannt unter dem Namen "Mitte-Studie". Daran sind auch die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung und die Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall beteiligt.

Infografik Zentrale Ergebnisse der Autoritarismus-Studie DE

Die Forscher haben festgestellt, dass es nicht nur generell mehr Vorurteile gegen Migranten gibt, sondern besonders gegen Muslime und gegen Sinti und Roma. Besonders gegen letztere gebe es starke Aggressionen, betont Decker. Fast 60 Prozent der Befragten hätten zum Beispiel der These zugestimmt, dass Sinti und Roma zu Kriminalität neigten - das sind fast fünf Prozentpunkte mehr als noch 2014.

Auch Vorbehalte gegen Muslime haben laut der Studie zugenommen. Demnach finden mehr als 44 Prozent, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland verboten werden sollte (2014: 36,5 Prozent). Und mehr als jeder Zweite (55,8 Prozent) sagt, dass er sich wegen der Muslime in Deutschland manchmal wie ein Fremder im eigenen Land fühlt (2014: 43 Prozent).

Auch Vorbehalte gegen Juden

Nach einigen antisemitischen Vorfällen, zum Beispiel in Berlin, ist in Deutschland die Judenfeindlichkeit wieder verstärkt in die Schlagzeilen geraten. Laut der Studie vertritt einer von zehn Deutschen die Ansicht, dass der Einfluss der Juden "auch heute noch" zu groß sei, fast ebenso viele meinen, dass Juden etwas Besonderes und Eigentümliches an sich hätten, und deshalb "nicht so recht zu uns passen". Die Studienautoren vermuten, dass noch mehr Deutsche antisemitische Positionen vertreten, es aber nicht zugeben, weil solche Äußerungen mit einer hohen sozialen Ächtung verbunden sind.

Nach Einschätzung von Oliver Decker hat der Hass auf Ausländer, Muslime und Sinti und Roma nichts mit diesen Gruppen direkt zu tun. Seine Erklärung ist eine andere: Die gute wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten habe einiges an Verzicht bedeutet. Zum Beispiel seien die sozialen Sicherungssysteme reduziert worden. Dadurch hätten sich Wut und autoritäre Aggressionen angestaut. Diese brauchten ein Ventil - das die Menschen nun in Form von Fremdenhass gefunden hätten.

Eine Entwicklung, die auch die Demokratie in Deutschland gefährde, warnt Decker. Denn auch wenn mehr als 90 Prozent der Befragten die Idee der Demokratie gut fänden - sie verstünden darunter etwas anderes als eine Gesellschaft, die allen Menschen die gleichen Rechte und Freiheiten einräumt. "Bei einem Großteil der Bevölkerung gibt es die Vorstellung, dass Demokratie auch so etwas sein kann wie eine Mehrheitsdiktatur." Sie glaubten, dass die Schutzrechte einzelner Menschen oder Gruppen keinen Bestand haben müssten, wenn es für das Große und Ganze richtig und wichtig sei, dass diese Rechte abgeschafft würden. 

Rechtsextreme haben in der AfD politische Ausdrucksform

Laut der Studie denken immerhin fast acht Prozent der Befragten, dass eine Diktatur unter bestimmten Umständen die bessere Staatsform wäre. Noch mehr - elf Prozent - wünschen sich einen Führer, der das Land "zum Wohle aller mit harter Hand regiert". Besonders häufig sind ausländerfeindliche (55 Prozent) und antidemokratische (13,2 Prozent) Einstellungen den Angaben zufolge bei Wählern der AfD zu finden.

"Wählerinnen und Wähler mit manifestem, geschlossen rechtsextremen Weltbild haben in der AfD eine politische Ausdrucksform gefunden", heißt es. Allerdings sei die Fremdenfeindlichkeit unter den Wählern von CDU/CSU, SPD und FDP mit jeweils um die 20 Prozent auch relativ hoch.

Berlin Unteilbar-Demonstration
Anti-Rassimus-Demonstration in Berlin (im Oktober): "Bereit, sich für die Demokratie einzusetzen"Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Oliver Decker zufolge zeigt die Studie aber auch einige positive Entwicklungen. "Wir können sagen, dass 30 Prozent der Bevölkerung dezidiert freiheitlich-demokratisch eingestellt sind." Das klinge erst mal nicht viel, aber diese Menschen seien bereit, sich für die Demokratie einzusetzen und auch andere Positionen zu akzeptieren.

Zudem sei ein großer Teil der Deutschen zwar ambivalent zur Demokratie eingestellt, das bedeute aber nicht, dass diese Menschen automatisch autoritär seien. Allerdings befürworteten 40 Prozent der Menschen autoritärere gesellschaftliche Strukturen durchaus. "Deshalb haben wir momentan auch eine so deutliche Polarisierung innerhalb der Gesellschaft", bilanziert der Leipziger Studienleiter.