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Was kann Chinas Wirtschaft noch retten?

Mu Cui
8. August 2023

Chinas Ökonomie rutscht in die Deflation. Der Wirtschaftsmotor Export stottert. Die chinesische Regierung will nun den Binnenkonsum ankurbeln, erntet aber Kritik von Expertinnen und Experten.

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China Nantong | Geschäftsfront mit Rabattwerbung
Stärkerer Binnenkonsum als Allheilmittel für Chinas Wirtschaft? - Geschäftsfront mit Rabattwerbung in NantongBild: Xu Jinbai/Costfoto/picture alliance

Die Hoffnungen waren groß, dass sich die chinesische Wirtschaft nach dem Ende der Null-COVID-Politik erholen würde. Sie bleiben aber offenbar unerfüllt: Die Exporte sind auf dem niedrigsten Stand seit dem Frühjahr 2020, das Bruttoinlandprodukt (BIP) liegt deutlich unter der Prognose, der PMI (Purchasing Managers‘ Index), ein Frühindikator für wirtschaftliche Aktivität, sinkt seit vier Monaten. Die Jugendarbeitslosigkeit steigt dagegen auf ein Rekordhoch von über 20 Prozent.

Peking will sich dieser Entwicklung mit zahlreichen Maßnahmen entgegenstemmen. So verkündete die Zentralregierung vergangene Woche Pläne, die den Binnenkonsum ankurbeln sollen. Chinesische Verbraucher würden demnach beim Kauf von Elektroautos Subvention erhalten, soziale Mietwohnungsangebote würden erweitert. Ziel dabei: Den Chinesen soll so mehr Geld zum Ausgeben übrigbleiben.

China | Tesla Fabrik in Shanghai
Regierung verspricht Rabatte für den Kauf von Elektroautos: Die Teslafabrik in ShanghaiBild: CFOTO/picture alliance

Beobachter sind aber skeptisch, dass solche Maßnahmen wirken. "Zu punktuell, zu wenig, nur symptomatisch" lautet die Analyse. Rolf Langhammer, Wirtschaftsprofessor vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (ifw Kiel), fasst diese Kritik im Gespräch mit der DW so zusammen: "Das ist wie ein Strohfeuer. Es brennt schnell, aber erlischt auch sehr schnell.”

Vertrauen wird Mangelware

Für den Ökonom und China-Experten liegt das wesentliche Problem darin, dass es kein großes Vertrauen mehr in Chinas Wirtschaft gebe. "Deswegen ist die chinesische Regierung zurzeit nicht in der Lage, nachhaltige Hilfe für die Wirtschaft zu leisten." Zu dem Vertrauensverlust führten unter anderem die hohe Jugendarbeitslosigkeit sowie die niedrigen Erwartungen, dass sich die Einkommen der Bürger nach oben entwickeln werden.

Dass viele chinesische Verbraucher "sehr wenig Vertrauen und sehr viel Sorgen um die Wirtschaft haben", musste auch Li Chunlin, Vizechef der staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform Chinas, bei der Pressekonferenz zu den Maßnahmen der Konsumförderung einräumen. Daher seien noch zugkräftigere Maßnahmen nötig.

"Wenn man nicht weiß, wie sich hier die Wirtschaft entwickelt, dann ist man auch beim Konsum zurückhaltender - wegen der großen Unsicherheit und weil die Ersparnisse oft als Altersvorsorge dienen," erklärt Vera Eichenauer, Wirtschaftsforscherin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich.

China | Jugendarbeitslosigkeit Jobsuche
Arbeitslosigkeit unter Chinas Jugendlichen steigt: Drei Frauen sichten JobangeboteBild: AFP/Getty Images

"Die sehr hohe Zahl an jugendlichen Arbeitslosen wirkt auch auf die Konsumfreude, denn die jungen Konsumentinnen und Konsumenten haben gar kein Geld zum Ausgeben", so Eichenauer weiter. "Die Eltern müssen dort mehr unterstützen. Dann haben auch sie weniger Geld für Konsum. Zudem drohe China eine Deflation-Gefahr, das heißt, die Preise könnten niedriger werden. Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist so etwas auf den ersten Blick gut, aber da würde man weniger heute konsumieren, weil man einen noch günstigeren Preis in der Zukunft erwartet."

Expertin: bessere Altersvorsorge und Kampf gegen Arbeitslosigkeit sind wichtig

Im DW-Interview betont die schweizerische Ökonomin, dass die punktuellen Maßnahmen wie der Rabatt für Elektroautos und Elektronik nicht den Kern der Sache treffen würden. "Man muss eigentlich an der Altersvorsorge und Arbeitslosigkeit arbeiten, um den Verbraucherinnen und Verbrauchern mehr Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft zu geben." Eichenauer schlägt vor, Peking könnte zum Beispiel einige Restriktionen für Digitalfirmen zurücknehmen, denn Firmen wie Alibaba hatten vor einigen Jahren viele gute Jobs für junge Leute angeboten. "Wenn man dort wieder ein bisschen liberalisieren würde und neue Jobs entstehen würden, würde das vielleicht einen größeren Effekt haben."

Alte in China – digitale Pflege in Seniorenheimen

Binnenkonsum als neues Standbein?

Jahrzehntelang waren Exporte, Immobilien und Infrastrukturprojekte die drei wichtigsten Säulen der chinesischen Wirtschaft. Seit einigen Jahren strebt Peking an, mit dem Binnenkonsum ein weiteres Standbein zu etablieren. Mehr denn je braucht die chinesische Führung diese neue Stütze, denn die anderen drei Säulen geraten ins Wanken: Die Immobilienbranche ist in einer tiefen Krise, Infrastrukturinvestitionen bringen erst viele Jahre später Rendite, der Exportmotor stottert.

"Die Wirtschaft im Rest der Welt ist auch gerade schwach, da gibt es immer noch Rezessionsängste. Es gibt in den westlichen Ländern die hohen Zinsen, um die Inflation zu bekämpfen", analysiert Eichenauer. "Das wirkt sich auch auf China aus, weil jetzt die Nachfrage nach chinesischen Gütern auch niedriger ist. Hinzu kommt die geopolitische oder die geoökonomische Lage weltweit. Man ist unsicher, wie es mit den Spannungen zwischen China und den USA beziehungsweise mit dem Westen insgesamt weiter geht. Ich glaube, da kommen verschiedene Herausforderungen zusammen," fasst die schweizerische Ökonomin zusammen.

Es wäre also höchste Zeit, den Binnenkonsum zu stärken. Der Kieler China-Experte Langhammer ist fest überzeugt: Wenn China eine echte binnenorientierte Wirtschaft-Supermacht werden möchte, müsse sein Binnenkonsum einen deutlich höheren Anteil an der Wirtschaft erhalten. "Und das geht nur, wenn der Staat erst einmal Geld in die Hand nimmt für Sozialausgaben, um der Bevölkerung Vertrauen und Mut zu geben, wieder mehr zu konsumieren. Das ist ein langfristiger Weg, aber meines Erachtens der einzige Weg."

Leere Kassen größtes Problem

Allerdings geht China das Geld aus, denn insbesondere die Lokalregierungen sind hochverschuldet. Angesichts der riesigen Herausforderungen und Strukturprobleme seien Pekings Maßnahmen zweifelsohne zu klein und zu symptomatisch, meint die Zürcher Ökonomin Eichenauer.

Sie stimmt zwar zu, dass Peking Jugendarbeitslosigkeit und Sozialvorsorge angehen muss, weist aber auch darauf hin, dass all die Maßnahmen, die der Wirtschaft wirklich helfen könnten, viel Geld kosten würden. "Eine Möglichkeit ist natürlich, dass man versucht, die Kreditvergabe zu stimulieren, zum Beispiel durch Senken der Zinssätze. Aber angesichts der Schuldenprobleme gibt es dadurch viele Zukunftsrisiken. Eine weitere Möglichkeit ist die Deregulierung beziehungsweise Liberalisierung. Wo man Regeln abbaut - zum Beispiel für Digitalfirmen - wird das zu neuen Geschäftsmöglichkeiten führen und dadurch eine neue Dynamik generieren."