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Rente mit 70: Was bringt sie wirklich?

8. August 2022

Deutschland steht vor einem demografischen Wandel. Das belastet die Rentenkassen. Eine Lösung, die häufig genannt wird: Rente mit 70. Doch wie zukunftsfähig ist das Konzept wirklich?

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Ein älterer Herr arbeitet in einem Blaumann an einer Maschine
In einer alternden Gesellschaft braucht es Lösungen, um Renten noch finanzieren zu könnenBild: Andreas Prost/IMAGO

Erst vor kurzem machte in Deutschland diese Schlagzeile die Runde: "So wenig junge Menschen wie nie". Nur jeder zehnte Mensch war Ende 2021 zwischen 15 und 24 Jahre alt, das sind gut 8,3 Millionen Menschen. Dem gegenüber stehen mehr als 18 Millionen Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Deutschland ist mittendrin im demografischen Wandel. Das bedeutet vor allem: Die Gesellschaft altert. Es gibt zu wenig Zuwanderung oder Geburten, die den Effekt abmildern könnten. Und langfristig werden das die Menschen ganz besonders an einer Stelle spüren: bei ihren Renten.

Denn in Deutschland werden Renten überwiegend über ein sogenanntes Umlageverfahren finanziert. Dabei decken die aktuellen Einnahmen die laufenden Rentenzahlungen. Das bedeutet: Die Menschen, die aktuell einer regulären Arbeit nachgehen und Sozialabgaben zahlen, finanzieren die heutigen Rentner und Rentnerinnen, so wie es die heutigen Rentner mit den damaligen getan haben, als sie noch arbeiteten. Viele Länder decken so ihre Rentenausgaben. Manche Länder wie Schweden haben zusätzlich noch Aktienfonds, um Gewinn zu erwirtschaften. In der Deutschland bezuschusst der Staat schon jetzt die Rente über Steuereinnahmen.

Generationenvertrag zwischen Jung und Alt

Das Umlageverfahren funktioniert aber nur, wenn es genug Beitragszahler gibt, die die Rentner finanzieren - der sogenannte Generationenvertrag. Und das ist der Knackpunkt in einer alternden Gesellschaft. Schon heute kommen in Deutschland laut OECD-Berechnungen auf 100 Beitragszahler 37 Rentner. Diese Zahl wird kontinuierlich steigen auf voraussichtlich 58 im Jahr 2050. In anderen Ländern ist es noch drastischer. 2050 könnten in Japan 81 Rentner auf 100 Beitragszahler kommen. Länder mit einer jüngeren Bevölkerung wie Indien sind weniger stark betroffen, doch der Trend ist auch dort erkennbar. 

Infografik Anzahl Menschen im Rentenalter im Ländervergleich DE

Das bedeutet: Entweder sinken die Renten oder die Beitragszahler müssen mehr Beiträge zahlen. Oder der Staat bezuschusst die Rentenkassen noch mehr als bisher. Es gibt aber auch noch eine weitere Option, die häufig genannt wird: Rente mit 70. Derzeit wird das Rentenalter in Deutschland schrittweise von 65 auf 67 Jahre erhöht.

Erst kürzlich wieder hat das der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, ins Gespräch gebracht. In unregelmäßigen Abständen schlagen vor allem Arbeitgeber einen späteren Renteneintritt vor. Der Vorschlag stößt meist auf wenig Gegenliebe. "Eine (schrittweise) Anhebung des Renteneintrittsalters ist immer eine sehr unpopuläre Maßnahme. Deswegen wird dies so weit wie möglich von der Politik aufgeschoben, was dann letztlich aber auch die entlastenden Effekte verzögert", sagt Johannes Rausch vom Munich Center for the Economics of Aging der DW.

Rausch rechnet damit, dass früher oder später - eher später - das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung gekoppelt wird. Und das hätte auch Vorteile, meint Rausch. Denn den Rentnern stünden noch genügend Beitragszahler gegenüber, so dass die Balance gewahrt bliebe. Dadurch müsste zum Beispiel der Beitragssatz weniger stark angehoben werden und es könnten höhere Renten ausgezahlt werden.

Und damit wäre Deutschland in guter Gesellschaft. Die OECD geht davon aus, dass in 20 von 38 OECD-Ländern das Renteneintrittsalters steigen wird - auf 66,1 Jahre für Männer und 65,5 Jahre für Frauen. In den Ländern, die bereits das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung koppeln wie Dänemark, Italien oder Estland zeichnet sich schon jetzt ab, dass das Renteneintrittsalter wesentlich darüber liegen wird. In Japan bleibt das Renteneintrittsalter stabil, allerdings ist die Zahl der Rentner, die weiterhin arbeiten, hier besonders hoch.

Infografik Renteneintrittsalter DE

Kritik am hohen Rentenalter

Doch Einigkeit besteht über das Konzept Rente mit 70 nicht. "Bei einem Rentensystem darf man nicht allein auf die Finanzierung achten", sagt Clemens Tesch-Römer, Institutsleiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) der DW. Es gehe auch darum, was man da finanziere und ob man auskömmliche Renten ermöglichen könne. "Ein Problem, dass ich bei der Rente mit 70 sehe, ist die Benachteiligung von Geringverdienern und vor allem Personen mit kurzen und eventuell krankheitsbedingten Erwerbsbiografien."

Denn Menschen, die ein geringeres Bildungsniveau haben, sterben statistisch früher. Ein späterer Renteneintritt würde also eine kürzere Rente für diese Menschen bedeuten. Bevor man das Renteneintrittsalter anhebe, so Tesch-Römer, sollte man ohnehin andere Optionen ausschöpfen: mehr qualifizierte Zuwanderung, gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie und mehr investieren in eine gute Erstausbildung für junge Menschen.

Prof. Dr. Clemens Tesch-Roemer
Clemens Tesch-Römer leitet das Deutsche Zentrum für Altersfragen in BerlinBild: DZA

Zusätzlich dazu müssten in Zukunft Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse einbegriffen werden, die derzeit in Deutschland noch in separate Rententöpfe einzahlen. Japan beispielsweise hat die gesonderte Altersversorgung für Beamte im Jahr 2015 in die allgemeine Rentenversicherung überführt.

Lebenslanges Lernen

Bettina Schmitkunz wird all das nicht betreffen. In wenigen Tagen wird sie 63 Jahre alt und kann damit bald in Rente gehen. Auch wenn sie seit 40 Jahren als Krankenpflegerin im Uniklinikum Nürnberg arbeitet und ihren Job als "Knochenjob" bezeichnet, kann sie sich vorstellen, in der Rente weiterzuarbeiten: "Ich kann nur für mich sprechen, aber: Solange ich fit bin und es mir gut geht, brauche ich auch eine gewisse Herausforderung. Also ich möchte eigentlich nicht ab November in Rente gehen und nichts mehr machen."

Und so gehe es vielen ihrer Kollegen, meint Schmitkunz zur DW. Allerdings müsste das im richtigen Rahmen und mit neuen Konzepten passieren. "Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass die Älteren vielleicht nicht mehr so viel körperlich arbeiten. Aber dafür hätten sie zum Beispiel Zeit intensiver mit den Berufsschülern und Berufseinsteigern zu arbeiten, die beiseitezunehmen, wofür sonst niemand Zeit hat im normalen Alltag."

Älterer Dachdecker
Körperlich anstrengende Berufe wie Dachdecker und Pfleger müssen womöglich umschulen im AlterBild: U. J. Alexander/imago images

Das ist auch für Clemens Tesch-Römer vom DZA ein entscheidender Punkt. In einer Gesellschaft, in der Menschen länger arbeiten, sei es wichtig, lebenslanges Lernen zu fördern: "Bildung muss in allen Abschnitten des Lebenslaufs stattfinden, denn keine Arbeitnehmerin, kein Arbeitnehmer wird in der Zukunft im erlernten Beruf bleiben. Da müssen wir in Zukunft viel mehr in lebenslange Bildung investieren als heute." Rente mit 70, so Tesch-Römer, könnte also eine Option sein für Menschen, die fit genug sind und arbeiten möchten.

Mehr Flexibilität als Lösung

Für Tesch-Römer überwiegen die Nachteile eines an die Lebenserwartung gekoppelten Rentenalters allerdings die Vorteile. Für ihn hat sich eine feste Altersgrenze bewährt. Mehr Flexibilität könnte aber eine Lösung für die Zukunft sein: "Es ist gut, eine klare Grenze zu haben, weil die gut kommunizierbar ist, aber man braucht viele zusätzliche Lösungen. Das klare Renteneintrittsalter sollte nach oben flexibel sein, aber auch nach unten, damit man Menschen, die nicht bis 67 arbeiten können, ein gutes Leben im Alter bieten kann."

Noch lässt sich Deutschland Zeit dabei, eine Lösung zu finden. Eine flexible Rente könnte eine sein, wenn sie auf die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft zugeschnitten ist und auf fitte Menschen trifft, die über die 65 Jahre hinaus arbeiten können und wollen. Gut möglich, dass der demografische Wandel Deutschland zum Handeln zwingen wird.