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Medikamente für alle

Brigitte Osterath20. September 2013

Gegen viele Krankheiten gibt es gute Medikamente. Aber Menschen in Entwicklungsländern können sie sich oft nicht leisten. Wie lässt sich das ändern? Niedrige Preise alleine sind nicht die Lösung.

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Schwarze Frau nimmt Medizin ein (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Medikamente werden automatisch billiger, sobald das Patent auf sie ausläuft. Denn dann dürfen andere Pharmazieunternehmen Generika herstellen, also den gleichen Wirkstoff unter anderem Namen verkaufen.

Wenn aber jeder Kunde auf der ganzen Welt Medikamente zu ihren reinen Herstellungskosten erwerben würde, ginge das auf Dauer nicht gut, sagen Experten. "Pharmazieunternehmen müssen auch Gewinne machen, um neue Medikamente entwickeln zu können", sagt Anita Katharina Wagner, Professorin für Bevölkerungsmedizin an der Harvard Medical School in Boston, USA.

Pharmazieunternehmen wie Sanofi geben an, Medikamente in Entwicklungsländern so günstig anzubieten wie möglich. Im Gegenzug verkaufen sie die gleichen Mittel in Europa und den USA für sehr viel mehr Geld als sie wert sind. Francois Bompart von Sanofis "Zugang zu Medikamenten"-Programm erklärt: "Der gleiche Impfstoff wird beispielsweise in den USA und Europa für 50 Euro verkauft, in Afrika für drei oder vier Euro. Und in der Mitte liegen Länder wie Brasilien, Südafrika und Thailand, die 10 bis 20 Euro bezahlen."

Spenden nur als Ausnahme

Dieses gestaffelte Preisschema "ist sinnvoll", sagt Joe Kutzin von der Weltgesundheitsorganisation WHO. Essenziell ist es vor allem bei sehr teuren Arzneimitteln wie den neuesten HIV- und Krebsmedikamenten. Diese Mittel könnten sich Menschen in Entwicklungsländern sonst überhaupt nicht leisten.

Aids-Medikamente (Foto: picture alliance)
Aids-Medikamente sind sehr teuerBild: picture-alliance/dpa

Das gestaffelte Preisschema versagt aber bei vielen tropischen Krankheiten, die nur arme Menschen in einkommensschwachen Ländern betreffen, Schlafkrankheit zum Beispiel. Der einzige Weg, lebensrettende Medikamente gegen solche Krankheiten zu entwickeln und herzustellen, sind Partnerschaften zwischen Nichtregierungsorganisationen, Regierungen und Pharmazieunternehmen.

Im Falle von Malaria arbeitet beispielsweise das Unternehmen GlaxoSmithKline zusammen mit elf afrikanischen Forschungszentren an einem Impfstoff. Die Bill und Melinda Gates Stiftung unterstützt das Vorhaben finanziell.

Finanzierungssysteme schaffen

Auch ein günstiges Medikament kann aber zu teuer sein, wenn jemand das Geld gerade nicht aufbringen kann. Um den Zugang zur Gesundheitsversorgung und damit auch zu Medikamenten zu verbessern, brauche es daher Gesundheitsfinanzierungssysteme, sagt Kutzin von der WHO.

"Wir würden gerne sehen, dass Patienten nicht zu dem Zeitpunkt bezahlen müssen, an dem sie eine Gesundheitsleistung in Anspruch nehmen - oder wenigstens nicht so viel, dass es ein Hindernis darstellt. Sie sollten nicht gezwungen sein, zwischen ihrem finanziellen und ihrem körperlichen Wohlbefinden wählen zu müssen."

Tim Evans, Leiter der Abteilung für Gesundheit, Ernährung und Bevölkerung bei der Weltbank, fügt hinzu, dass es mehrere Wege zur Finanzierung gebe, beispielsweise Krankenversicherungen "oder Steuern auf Zigaretten und Alkohol, die dann in Gesundheitsfonds fließen".

Erfolg in Indien

In Indien hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ die Regierung dabei unterstützt, ein Finanzierungssystem einzurichten, das armen Familien kostenlose Versorgung in indischen Krankenhäusern ermöglicht. Für jeden Patienten zahlt die Regierung bis zu 30.000 indische Rupien, etwa 340 Euro, im Jahr.

Die Regierung hat zu diesem Zweck elektronische Smartcards an die ärmsten Familien des Landes ausgegeben, mit denen sie sich im Krankenhaus ausweisen können. Das Programm läuft seit dem Jahr 2008.

Wenn die Behandlungskosten 30.000 Rupien überschreiten, müssen die Familien aber selbst bezahlen. Nishant Jain vom GIZ-Programm Soziale Sicherung in Indien erklärt, diese Obergrenze sei absichtlich so niedrig gewählt: So könne das Programm mehr Familien aufnehmen.

"Es sieht nach wenig Geld aus, aber es ist genug. Wir hatten bis jetzt fünf Millionen Patientenfälle und weniger als zwei Prozent haben die Obergrenze erreicht. Die meisten Menschen konnten wir demnach mit diesem Limit behandeln."

Indisches Krankenhaus (Foto: AFP/Getty Images)
In ausgewählten indischen Krankenhäusern werden arme Familien jetzt auf Kosten der Regierung behandeltBild: Manjunath Kiran/AFP/Getty Images

Jain glaubt, um das Gesundheitssystem eines Landes zu verbessern, sei ein gutes Geschäftsmodell notwendig. Bevor das Programm in Indien begann, gab es in vielen ländlichen Gegenden kaum Krankenhäuser - sie fehlten vor allem dort, wo viele arme Menschen wohnen. "Jetzt richten private Unternehmen Krankenhäuser in diesen Gegenden ein", erzählt Jain. "Denn sie sehen, dass so viele Menschen dort die Smartcard haben. Sie wittern ein Geschäft."

Ausbildung wichtiger als Medikamente?

"Medikamente sind ein wichtiger Teil der Gesundheitsversorgung, aber sie sind oft nicht der kritischste Teil", sagt Bompart von Sanofi. "Man braucht gute Krankenschwestern, gute Ärzte, gute Spezialisten. Medikamente ohne Ausbildung sind sinnlos."

Als Beispiel nennt er die Epilepsie. Diese chronische neurologische Erkrankung betrifft 50 Millionen Menschen weltweit, 90 Prozent von ihnen leben in Entwicklungsländern. Die Patienten leiden an wiederkehrenden epileptischen Krampfanfällen.

Es gibt Medikamente, die die Krampfanfälle unterdrücken. Aber die WHO schätzt, dass in Entwicklungsländern drei Viertel aller Epilepsiepatienten nicht die Behandlung bekommen, die sie brauchen.

"Wenn Epilepsie heute nicht behandelt wird, liegt das nicht daran, dass die Medikamente teuer wären. Die Patienten werden einfach nicht richtig diagnostiziert", sagt Bompart.

Auch Speciosa Wandira-Kazibwe, Ärztin und Beraterin des ugandischen Präsidenten in Gesundheitsfragen, sagt, dass gute medizinische Diagnosen in ihrem Land schwierig seien. "Uns fehlt die Technik, Krankheiten zu diagnostizieren."

In einigen Kulturen glauben die Menschen, dass Epilepsiepatienten vom Teufel besessen sind. Viele Familien schämen sich für kranke Familienmitglieder und verstecken sie, statt mit ihnen zum Arzt zu gehen. Hilfsprogramme haben das Ziel, dieses Stigma zu bekämpfen, indem sie die Gemeinden lehren, dass Epilepsie nur eine gewöhnliche Krankheit ist, die sich behandeln lässt. Das wäre dann der erste Schritt, damit die Patienten die Medikamente erhalten, die sie gesund machen.