Ostermärsche früher und heute
23. März 2008Alles fing im Januar 1958 in London an, als auf der Initiative des zweifachen Nobelpreisträgers Bertrand Russel sowie des Domherrn der Londoner St. Pauls-Kathedrale John Collins die "Campaign for Nuclear Disarmement – CND" (Kampagne für die nukleare Abrüstung) ins Leben gerufen wurde. Eine der ersten großen Aktionen war der viertägige Ostern-Protestmarsch von London zu der 83 Kilometer entfernten Atomforschungsanlage Aldermaston. Damit war eine neue beispielhafte Form des Protestes gefunden, um gegen Atomwaffen zu protestieren.
Bunt gemischte Anhänger
1960 marschierten dann die ersten Atomwaffengegner auch in Deutschland: In einem Oster-Sternmarsch ging man aus verschiedenen Orten in Norddeutschland nach Bergen-Hohne. Dort erprobte damals die US-Army die Honest-John-Raketen als Träger für Atomwaffen. "Das war eine große Anstrengung, weil keiner von uns solche Demonstrationen gewohnt war, und wir tatsächlich drei oder vier Tage lang mit unseren Plakaten durch die Gegend gezogen sind", erinnert sich einer der damaligen Mitorganisatoren, Andreas Buro, der später Professor für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt wurder. Er gilt als Mentor der deutschen Friedensbewegung.
Von Anfang an war die Ostermarschbewegung eine Mischung pazifistischer Gruppen und Antikriegsgruppen jeglicher Couleur. "Es war eigentlich die erste neue soziale Bewegung in der Bundesrepublik, die unabhängig von Parteien und großen Organisationen, aus eigener Kraft und eigener Finanzierung über Spenden eine sehr bunte, neuartige Protestkultur entwickelt hat", erzählt Buro. Diese Vielfalt war etwas Neues in der damals doch noch sehr traditionell strukturierten politischen Landschaft Deutschlands.
Geburtsstunde einer neuen Partei
Im Laufe der Zeit hat sich das Themenspektrum erweitert: Bald protestierte man nicht nur gegen Atomwaffen, sondern auch für Abrüstung und mehr Demokratie.
Ihren Höhepunkt erreichten die Proteste Anfang der achtziger Jahre, als hunderttausende gegen die Stationierung neuer nuklearer Waffen und Kurzstreckenraketen in Deutschland demonstrierten. Das war auch die Geburtsstunde einer neuen Partei. "Die Grünen haben als Partei ihre Wurzeln in den sozialen Bewegungen, Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung und insbesondere in der Friedensbewegung", erklärt Manfred Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative, dem bundesweiten Koordinierungsausschuss der deutschen Friedensbewegung. Allerdings habe die Partei ihre friedenspolitische Identität inzwischen aufgegeben. "Wir haben immer noch guten Kontakt zu den Verteidigungspolitikern der Grünen. Aber sie sind als Partei so nicht mehr eine pazifistische Partei und nicht mehr Teil der Bewegung", behauptet Stenner.
Wahrzeichen der Friedensbewegung
In den sechziger und den siebziger Jahren waren die Ostermärsche die zentralen Aktionen der Friedensbewegung, viele Menschen gingen regelmäßig auf die Straße. Inzwischen sind sie nur eine der vielen Formen des Engagements gegen den Krieg, was die relativ geringe Zahl der Teilnehmer zeigt: Wo früher Tausende marschierten, sind es heute oft nur einige Dutzend.
Doch auch wenn die Ostermärsche nicht mehr so spektakulär wie früher sind, bleiben sie ein Wahrzeichen der Friedensbewegung und sind wichtig für die Identitätsstiftung vieler lokaler Organisationen. "Wenn ein neuer Irakkrieg, oder vielleicht demnächst ein Krieg gegen den Iran, vor der Tür steht, dann ist es unheimlich lohnend, dass es es diese Basisinitiativen und unsere bundesweit arbeitende Organisationen gibt", sagt Stenner: "Weil dann ist das Flugblatt innerhalb von einem halben Tag fertig und gedruckt, und der Aufruf mit ganz vielen Organisationen abgestimmt. Und dann sind auf einmal wieder 500.000 Leute in Berlin, weil es brennt."