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Make in India - aber richtig

Wilfried Aulbur
29. Mai 2017

Wenn Indiens Premierminister Narendra Modi in diesen Tagen in Berlin empfangen wird, ist das ein besonderes Zeichen dafür, welches Potenzial Deutschland in Indien sieht. Ein Gastbeitrag von Wilfried Aulbur.

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Hannover Messe Partnerland Indien
Bild: Deutsche Messe AG / Lars Kaletta

Lange galt Indien als schlafender Riese. Doch seit dem Amtsantritt von Modi befindet sich der Subkontinent mit seinen knapp 1,3 Milliarden Einwohnern in einer ausnahmslosen Aufbruchsstimmung. Mit einem vom Internationalen Währungsfonds (IWF) prognostizierten Jahreswachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von sieben Prozent dürfte sich Indien bis zum Jahr 2030 von der siebt- zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt katapultieren - weitere Katalysatoren, wie das bislang auf Eis liegende Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EU noch nicht eingerechnet.

Diese Zahlen machen Indien zu einem spannenden Ziel für ausländische Unternehmen, gerade aus der Automobilbranche, der chemischen und pharmazeutischen Industrie sowie der Medizintechnik. So ist zum Beispiel Indiens PKW-Markt schon heute volumenmäßig auf dem Niveau Deutschlands – und das mit einer deutlich stärkeren Wachstumsdynamik.

Mit ganzheitlichen Ansätzen der Komplexität des indischen Markts begegnen

Wilfried Aulbur, Mitglied Aufsichtsrat Roland Berger
Wilfried AulburBild: Roland Berger

Indiens Entwicklung seit der Liberalisierung im Jahr 1991 ist beeindruckend. Dennoch gibt es zahlreiche Herausforderungen, die Unternehmen im indischen Alltag meistern müssen: politische Entwicklungen, die den regulatorischen Rahmen kurzfristig ändern, Korruption in Behörden und Unternehmen, Schwierigkeiten, geeignete Grundstücke zu finden - die Liste der Hemmnisse für "Doing Business" in Indien ist lang. Dazu kommt, dass die indischen Konsumenten ihre Kaufentscheidungen von einer Vielzahl individueller Kriterien abhängig machen.

Es braucht daher ganzheitliche Ansätze, um in Indiens volatilem und komplexem Umfeld erfolgreich zu sein: Ein starker Fokus auf Effizienz muss mit Innovationen kombiniert werden, die zu den Eigenheiten des Markts passen; ein gutes Verständnis des eigenen Leistungsversprechens hilft, sich auf Kernthemen zu konzentrieren und sich nicht im Wirrwarr potenzieller Geschäftsmöglichkeiten und Geschäftsmodelle zu verstricken; eine klare Ausrichtung der Organisation erlaubt schnelle und flexible Reaktionen auf Veränderungen im Markt; und eine starke Führung mit gutem Marktverständnis macht es möglich, neu entstehende Chancen erfolgreich zu nutzen.

Klare Kultur und definierte Strategie

Insbesondere Innovation muss sich am Kunden orientieren, denn das Geschäft in Schwellenländern wie Indien wird nicht von Technologie, sondern von den Kunden getrieben. Unternehmen sollten ihnen einen echten Nutzen bieten, indem sie Kosten, Funktionalität, Service, Design, und weitere Faktoren sorgfältig gegeneinander abwägen. Im pulsierenden Umfeld Indiens ist es essenziell, genau zu verstehen, wie das eigene Unternehmen Mehrwert für Kunden schaffen kann. Insbesondere gilt es zu vermeiden, zu viel anzufangen und sich in der entstehenden Komplexität zu verzetteln. Indische Firmen, die diese Balance von Fokus und Chance beherrschen, sind äußerst erfolgreich. Wie zum Beispiel ein indisches Automobilunternehmen, das seine sehr erfolgreichen Aktivitäten im Bereich Scooter einstellte, sich stattdessen auf Motorräder konzentrierte und heute zu den profitabelsten Automobilunternehmen der Welt zählt.

Die Organisation an festgelegten Richtlinien, einer klaren Kultur und einer definierten Strategie auszurichten, ist in deutschen Unternehmen Alltag. Diese Punkte spielen aber auch in Indien eine wichtige Rolle. Im dortigen sehr volatilen Umfeld ist es entscheidend, dass Mitarbeiter verstehen und verinnerlichen, was die Essenz des Unternehmens ausmacht. Aufgrund des kreativen Chaos', das in Indien oft zu herrschen scheint, ist es unmöglich, für jede Situation Arbeitsanweisungen zu entwerfen. Daher brauchen Mitarbeiter dieses tiefgreifende Verständnis für die Unternehmensaufgabe und -philosophie, um Entscheidungen zu treffen. Ein Beispiel ist eine indische Fluglinie, die unter anderem offensiv damit wirbt, dass ihre Flugverbindungen immer pünktlich sind. Um dies in der Unternehmens-DNA zu verankern, gilt Pünktlichkeit nicht nur für die Flugzeiten, sondern überall im Unternehmen, bei Meetings, Trainings, oder bei der Bezahlung von Zulieferern.

Das Potenzial Indiens erschließen und das eigene Management-Modell weiterentwickeln

Indien: Drei Jahre Modi

Indiens Größe und sein stetiges, starkes Wachstum machen es zu einem Markt, den globale Unternehmen beherrschen müssen, umso mehr, als sich die Wachstumsdynamik in anderen Teilen der Welt abschwächt. Doch Erfolg und profitables Wachstum in Indien sind kein Zufall, sondern das Resultat guten Managements. Das Werkzeug, um im indischen Umfeld sicher zu navigieren, existiert und kann konsequent angewandt werden.

Dazu kommt, dass dieses Werkzeug zunehmend auch auf andere Ländern übertragbar wird: Denn mit seiner Komplexität und seinem kreativen Chaos ist Indien das perfekte Abbild der heutigen Welt, die immer unbeständiger, unsicherer, komplexer und vielschichtiger wird (VUCA: volatile, uncertain, complex, ambigous). Was früher als indischer Sonderfall abgetan wurde, existiert heute nicht nur in anderen Entwicklungs- und Schwellenländern, sondern auch in der westlichen Welt. Atomausstieg, Flüchtlingswelle, Brexit und die Präsidentschaft Donald Trumps sind nur einige Beispiele dafür, welche ungeahnte Dynamik und Unsicherheit auch die westliche Welt ergriffen hat. In dieser Hinsicht sind unter dem Motto "Navigating Complexity" die unternehmerischen Erfolgsrezepte für Indien auch für andere Entwicklungsmärkte sowie die VUCA Welt des Westens relevant.

Dr. Wilfried Aulbur ist Managing Partner Indien und Mitglied des Aufsichtsrats von Roland Berger. Er berät vornehmlich Unternehmen aus den Branchen Automobil, Industrie und Chemie/Energie in den Bereichen Operations, Strategie und Innovation. Vor seinem Eintritt bei Roland Berger war Aulbur als CEO Indien für einen europäischen Automobilkonzern tätig. Neben verschiedenen Funktionen für indische Industriegremien ist er als Lecturer bei Harvard Business Publishing und als Mentor des International Innovation Corps der University of Chicago aktiv.

Seine Erfahrungen aus über 12 Jahren in Indien hat Wilfried Aulbur im kürzlich im Verlag Penguin Random House erschienenen Buch "Riding the Tiger - How to Execute Business Strategy in India" zusammengefasst.