1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikPolen

Polen: Machtkampf um die staatlichen Medien

Jacek Lepiarz aus Warschau
2. Januar 2024

Übernimmt die neue polnische Regierung die Kontrolle im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder schützt sie ihn vor politischen Eingriffen?

https://p.dw.com/p/4anA4
Bewaffnete Polizisten stehen in einer Halle (Gebäude des polnischen Fernsehens TVP), im Hintergrund die Buchstaben TVP
Bewaffnete Polizisten am 20.12.2023 im Gebäude des polnischen Fernsehens TVPBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Die öffentlich-rechtlichen Medien bleiben auch drei Wochen nach dem Machtwechsel in Polen der wichtigste Zankapfel in der politischen Auseinandersetzung zwischen der Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk und der abgewählten nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski.

Polens Präsident Andrzej Duda, der keinen Hehl aus seiner Nähe zur PiS macht, stellte dieses Thema in den Mittelpunkt seiner Neujahrsansprache. "Erstmals im freien Polen nach 1989 kam es zu einem Versuch, die öffentlich-rechtlichen Medien mit Gewalt zu übernehmen. Das Sendesignal einiger TV-Kanäle wurde abgeschaltet, Informationssendungen wurden nicht mehr ausgestrahlt", sagte Duda am Sonntagabend.

Mann in Anzug und Krawatte (Andrzej Duda) vor EU- und polnischen Fahnen
Der polnische Staatspräsident Andrzej DudaBild: Czarek Sokolowski/dpa/picture alliance

"Ich werde niemals die Verletzung der Verfassung akzeptieren. Leider haben wir es gegenwärtig mit einer solchen Situation zu tun", betonte das Staatsoberhaupt. Die Regierung könne die Medien reformieren, aber sie müsse das im Einklang mit dem Recht tun, so Duda.

Doppelherrschaft in den Medien

Die Worte des Präsidenten, die von den meisten Kommentatoren als konfrontativ eingestuft wurden, waren eine Reaktion auf die jüngste Entwicklung im Streit um die Medien, die zwischen Weihnachten und dem Neujahr zu einer Art Doppelherrschaft geführt hat.

Nachdem Kulturminister Bartolomiej Sienkiewicz am 19. Dezember die Aufsichtsgremien und Vorstände der drei Medien neu besetzt hatte, brach die PiS eine Protestwelle vom Zaun. Die nationalkonservative Opposition hält die personellen Änderungen für rechtswidrig und erkennt sie nicht an.

Ein Mann mittleren Alters (Mariusz Blaszczak) wird von Journalisten interviewt
Polens Ex-Innenminister Mariusz Blaszczak (PiS) bei der Besetzung des TVP-Gebäudes am 20.12.2023Bild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

PiS-Abgeordnete drangen in die Zentralen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens TVP und der Nachrichtenagentur PAP ein, um zu verhindern, dass die neuen Chefredakteure die Arbeit aufnehmen. Es kam zu Besetzungen der Redaktionsräume und Handgemengen mit den Ordnungskräften. Erst nach Weihnachten beendeten die PiS-Politiker, die ihre Aktion als "Abgeordneten-Kontrolle" rechtfertigten, den Protest. Das Gebäude in Warschau, von wo aus die Nachrichtensendungen ausgestrahlt werden, bleibt allerdings weiterhin besetzt. 

Regierung löst öffentlich-rechtliche Medien auf

Wer am Jahresende auf eine Entspannung gehofft hatte, wurde schnell eines Besseren belehrt. Diesmal goss Duda Öl ins Feuer, indem er sein Veto gegen ein Haushaltsgesetz einlegte, in dem Finanzmittel von drei Milliarden Zloty (umgerechnet ca. 690 Millionen Euro) für die öffentlich-rechtlichen Medien vorgesehen waren.

Die Entscheidung des Präsidenten erwies sich als eine Steilvorlage für Tusk. Sein Kulturminister löste drei Tage später die Medien wegen Geldmangels auf. Wie die Behörde mitteilte, ist das Ziel nicht die wirkliche Schließung der betroffenen Anstalten, sondern ihr weiteres Funktionieren und ihre Umstrukturierung.

Männer und Frauen im Anzug mit Mappen in der Hand
Polens Premier Donald Tusk (l.) bei der Vereidigung seines Kabinetts am 13.12.2023 in WarschauBild: Anadolu/picture alliance

Die formelle Auflösung beendet den Streit, wer der rechtmäßige Intendant sei, und damit das Rechtchaos, erläuterte die Anwältin Katarzyna Bilewska in der liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza.

Inzwischen wird nach mehrtägiger Pause die Hauptnachrichtensendung mit dem neuem Namen "19.30" und neuem Personal wieder ausgestrahlt. "Die Ära der Hetze gegen die Opposition ist beendet", schreibt das Onlineportal Onet. Auch der Informationskanal TVP-Info sendet wieder.

Katastrophale Folgen

Der andauernde Streit sei für das Prestige, die Glaubwürdigkeit und die Zukunft der betroffenen Medien katastrophal, warnte am Wochenende Boguslaw Chrabota, der Chefredakteur der gemäßigt konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita. "Alle Konfliktparteien tragen gemeinsame Verantwortung für den institutionellen und materiellen Verfall [der öffentlich-rechtlichen Medien] sowie das Schwinden der Zuschauer- und der Leserzahlen", mahnte der Journalist. Chrabota plädierte für eine schnelle Aufnahme der Arbeit an einem neuen Mediengesetz. Darin sollen das neue Finanzierungssystem und die Aufgaben der öffentlich-rechtlichen Medien neu festgelegt werden.

Mann mit Schirmmütze (Jaroslaw Kaczynski) umringt von Journalisten mit Mikrofonen
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski am 20.12.2023 bei der Besetzung des TVP-Fernsehgebäudes in WarschauBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Die politische Einflussnahme auf die Informationsprogramme ist in Polen seit der Entstehung des demokratischen Staates in den Jahren 1989/1990 ein ernsthaftes Problem. Auch frühere Regierungschefs und Präsidenten griffen manchmal zum Telefon, um ihre Unzufriedenheit über dieses oder jenes Programm zu äußern.

Jaroslaw Kaczynski degradierte die Medien nach 2015 zum Sprachrohr und Propagandainstrument seiner Partei. Die PiS setzte den Rat der Nationalen Medien RNM ein, ein verfassungswidriges Gremium, das allein über alle personellen Änderungen in den öffentlich-rechtlichen Medien entschied und eine Entfernung unliebsamer Journalisten ermöglichte.

Wird Duda bei der Medienreform mitmachen?

Ein neues Mediengesetz ist ohne Zustimmung des Präsidenten nicht möglich. Die Regierungskoalition verfügt nicht über eine ausreichende Zahl an Abgeordneten, um das Veto des Staatsoberhauptes abzulehnen.

Allerdings ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass sich Duda letzten Endes für eine Zusammenarbeit entscheidet. Sein Berater Andrzej Zybertowicz sagte unlängst, das Fernsehen in der PiS-Zeit sei "kein Vorbild der Objektivität" gewesen. Er bezeichnete die Informationsprogramme als "schlechte Propaganda".

Zwei Demonstranten halten Plakate mit der Aufschrift "Freie Menschen freie Medien"
Demonstration für freie Medien Ende 2021 in Krakau (Krakow)Bild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Gute Ideen gibt es seit Jahren mehr als genug. Was bisher fehlte, war allerdings der politische Wille, sie durchzusetzen. Laut dem Medienwissenschaftler Tadeusz Kowalski liegt ein Entwurf einer umfassenden Medienreform schon in der Schublade. "Öffentliche Konsultationen gibt es bereits seit zwei Jahren. Vorbereitet sind sehr konkrete Grundsätze, darunter ein neues Finanzierungskonzept", sagte Kowalski dem privaten Fernsehsender TVN. Der Vorsitzende des Kulturausschusses im Parlament, Bogdan Zdrojewski, meinte, die Arbeit am Gesetzentwurf könne im Laufe dieses Jahres aufgenommen werden.

Kaczynski ruft zur Demo vor Parlament auf

Im Mittelpunkt der öffentlich-rechtlichen Medien sollten laut Kowalski die Staatsbürger und nicht die Politiker stehen. In den "Treuhandräten", die die Aufgaben der Aufsichts- und Programm-Räte verbinden sollen, sollten die Politiker in der Minderheit sein. Die Personalentscheidungen sollen in die Zuständigkeit des Landesrates für Fernsehen und Rundfunk KRRiT zurückkehren, so wie vor der Machtübernahme durch die PiS.

 "Nach dem letzten Schlagabtausch wissen beide Seiten [Präsident und Regierung], dass sie über starke Karten verfügen und vor ihrem Einsatz im Notfall nicht zurückschrecken werden. Es ist jetzt Zeit, die Verhandlungen aufzunehmen", schrieb die Journalistin Zuzanna Dabrowska in Rzeczpospolita.

Obwohl Jaroslaw Kaczynski im Streit um die Medien eher auf verlorenem Posten steht, will er vorerst nicht aufgeben. Für den 11. Januar hat er zu einer Kundgebung vor dem Parlament in Warschau aufgerufen, Motto: "Verteidigung der freien Medien". "Soll ich lachen oder weinen?", fragt der Schriftsteller und Dramatiker Artur Ilgner in Rzeczpospolita. Der Aufruf klinge genauso absurd, so Ilgner, wie wenn Wladimir Putin zu einer Kundgebung auf dem Roten Platz in Moskau zur Verteidigung der überfallenen Ukraine aufrufen würde.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.