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Bücher für die Tasche

Christine Elsaeßer16. Dezember 2006

Der Vorläufer des ersten deutschen Taschenbuchs wird 60. Doch obwohl sich über die Jahrzehnte viel verändert hat, ist das Taschenbuch auch heute noch das, was es schon damals war - ein Kassenschlager.

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Verlagsgründer Rowohlt mit einem Rotationsroman (Quelle: Rowohlt)
Verlagsgründer Rowohlt mit einem RotationsromanBild: Rowohlt

Die Vorläufer der modernen Taschenbücher hätten Kurt Tucholsky gefallen. Sie waren zwar so groß und unhandlich wie eine Zeitung und aus dünnem Papier, kosteten aber nur 50 Pfennig. Zu teuer seien seine Bücher, schrieb ein Oberrealschüler Anfang der 1930er-Jahre in einem Leserbrief an den Autor: "Hoffentlich sterben Sie recht bald, damit Ihre Bücher billiger werden." Tucholsky reagierte und schrieb an seine Verleger: "Lieber Meister Rowohlt, liebe Herren Verleger! Macht unsre Bücher billiger!"

Männer arbeiten in einer Halle an Rotationsmaschinen
Die ersten Romane wurden auf Zeitungspapier gedrucktBild: picture-alliance/dpa

Leider erlebte Tucholsky nicht mehr mit, was sich Heinrich Maria Ledig-Rowohlt nach dem zweiten Weltkrieg nicht ganz freiwillig einfallen lassen musste. Im Krieg waren viele Druckmaschinen zerstört worden, das Papier war knapp und die meisten Menschen hatten kein Geld für teure Bücher. Ledig-Rowohlt ließ die Bücher einfach in den vorhandenen Rotationsmaschinen auf Zeitungspapier drucken, darunter auch Tucholskys "Schloss Gripsholm". In einer Auflage von 100.000 Stück brachte er 1946 die Vorläufer des Taschenbuchs auf den Markt – der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte.

Rowohlts Rotations-Romane waren eine Sensation

Schon 1950, als das Papier nicht mehr so knapp war, wurde die erste Reihe von dem abgelöst, was wir heute als Taschenbuch kennen. Rowohlts Rotations-Romane, kurz rororo, fanden reißenden Absatz. Rowohlt orientierte sich bei seinen Taschenbüchern am amerikanischen Vorbild. Obwohl es auch in Deutschland schon vor dem Zweiten Weltkrieg Taschenbücher gegeben hatte, war Rowohlt in der Nachkriegszeit Vorreiter auf dem Gebiet der Bücher für jedermann. Sie waren durch die Lumbeck-Klebebindung relativ haltbar und passten, wie der Name schon sagt, in jede Tasche. Man konnte sie am Kiosk um die Ecke kaufen, sie erschienen jeden Monat in Reihen und durchnummeriert, wurden in einer großen Auflage produziert und waren billig.

Ute Schneider, Privatdozentin am Institut für Buchwissenschaft an der Universität Mainz, weiß, warum Taschenbücher einen so großen Erfolg hatten: "Rowohlts Motto war: Möglichst viele Buchstaben auf möglichst wenig Papier. Das war für das Lesepublikum eine große Sensation. Die Leser waren ausgehungert und stürzten sich auf die Bücher, die ihnen während der Zeit der Nationalsozialisten verwehrt wurden."

Zigarettenwerbung machte Taschenbücher billiger

Schon im Oktober 1950 waren 620.000 rororo-Taschenbücher verkauft, zwei Jahre später drei Millionen. Immer mehr Verlage wie List, Fischer und Ullmann taten es Rowohlt in den 50er-Jahren gleich, doch viele Reihen überlebten die ersten Jahre nicht. Ende der 50er-Jahre kamen zu den Romanen auch Sachbücher. Doch Buchhändler und Kulturkritiker blieben skeptisch. Die Händler fürchteten um ihren Umsatz, waren doch die Taschenbücher vergleichsweise billig. Die Kritiker befürchteten einen Qualitätsverlust und dass die Leser eher nach den bunten Umschlägen und nicht nach dem Inhalt wählen würden. Nicht einverstanden waren sie außerdem mit der Zigarettenwerbung, die in die Taschenbücher gedruckt wurde, um den Preis niedrig zu halten. Doch das Lesepublikum blieb den Taschenbüchern treu. In den 70er-Jahren waren sie voll etabliert und es gab immer mehr Reihen für die unterschiedlichsten Interessen.

Deutsche lieben Krimis und Romane

Ein Mädchen hört ein Hörbuch vor einem Computerbildschirm (Foto: AP)
Hörbücher werden immer beliebterBild: AP

"Bis in die 90er-Jahre gab es in den Buchläden je einen Ständer für einen Verlag, das änderte sich dann. Die Taschenbücher standen jetzt alphabetisch sortiert alle in einem Regal", sagt Schneider. So konnten sich die Leser nicht mehr so gut orientieren, welche Neuheiten in welchen Reihen erschienen waren. Konkurrenz gibt es für Taschenbücher heute viel. Hörbücher auf CD oder zum Herunterladen aus dem Internet finden einen immer höheren Absatz. Trotzdem ist der Umsatz mit Taschenbüchern im September 2006 im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast sechs Prozent gestiegen. Mit Krimis und Romanen wurden im Jahr 2005 zwei Drittel des Umsatzes gemacht.

Das Taschenbuch ist kein Wegwerfbuch

Allein Rowohlt hat bis heute 600 Millionen Taschenbücher verkauft. In einem hat sich der Verlag jedoch geirrt, sagt Schneider: "Rowohlt hatte geplant, dass das Taschenbuch ein Verbrauchsbuch ist. Doch die Deutschen stellen es trotzdem ins Regal und sammeln es, statt es wegzuwerfen." Schließlich kostet ja ein Taschenbuch heute keine 50 Pfennig, obwohl das Kurt Tucholsky bestimmt gefallen hätte.