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Lug und Trug mit Tradition

Claus Hecking27. März 2003

Sehen wir in den Medien die Realität des Krieges im Irak? Die historische Erfahrung lässt einen zweifeln. Denn seit der Antike nutzen Militärs die Medien für Propaganda und verschweigen unbequeme Informationen.

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Pressekonferenz im KriegBild: AP

"Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd", hat Otto von Bismarck festgestellt. Diese Erfahrung musste bereits der erste "Kriegsberichterstatter" machen. Als der athenische Historiker Thukydides um 400 vor Christus seine Schriften über den Peloponnesischen Krieg zwischen Sparta und Athen veröffentlichte, klagte er: "Eine objektive Geschichtsschreibung zu erstellen, war nicht einfach, weil die Zeugen der einzelnen Ereignisse nicht dasselbe über dasselbe aussagten, sondern je nach Gunst und Gedächtnis berichteten."

"Schreibende Soldaten"

Dass der Erfolg eines Krieges von der öffentlichen Meinung abhängt, wusste man schon in der Antike. Alexander der Große schuf bereits um 330 vor Christus die erste Kriegsberichterstatter-Kompanie. Die Soldaten dieser Einheit hatten nichts anderes zu tun, als Lobenshymnen über Makedoniens glorreiche Eroberungsfeldzüge zu verfassen. Diese wurden dann nach Hause geschickt und dort von Rednern dem Volk vorgetragen.

Auch später ließen die Herrschenden nichts unversucht, um den Untertanen ihre Ruhmestaten auf dem Schlachtfeld zu verkünden. Julius Cäsar schrieb zu diesem Zweck sogar höchstpersönlich den Bellum Gallicum. Doch bis vor 150 Jahren waren es ausschließlich die Militärs selbst, die Kriegsberichterstattung betrieben.

Elender Urahn eines glücklosen Stammes

Eine Änderung trat 1854 ein. Die Londoner "Times" schickte in diesem Jahr den jungen Journalisten William Howard Russell ans Marmarameer, um über den Krimkrieg zwischen England und Russland zu berichten. Die englischen Militärs empfingen Russel zunächst freundlich, denn sie erhofften sich eine Propagandawirkung. Doch anstatt die offiziellen Verlautbarungen der Offiziere aufzuschreiben, schilderte Russell eindringlich das Leiden und Sterben an der Front – mit deutlichen Folgen. Die englische Öffentlichkeit war über die Schrecken des Krieges so entsetzt, dass das Königshaus eigens einen Fotografen auf die Krim entsandte, um Bilder fröhlicher Soldaten zu machen. Trotz dieser Wirkung war Russell mit seiner Arbeit unzufrieden. Er sei der elende Urahn eines glücklosen Stammes, sagte er über sich selbst. Es sei unmöglich, die subjektiven Erlebnisse von Augenzeugen und die Informationen der Militärs zu einem objektiven Ganzen zu fügen.

In den folgenden Jahren änderten die Militärs ihre Medienpolitik: So unterlagen im Ersten Weltkrieg fast alle Bilder und Informationen der Zensur. In Großbritannien forderte damals der spätere Premierminister Winston Churchill sogar, die Londoner "Times" zu verstaatlichen. Und im Zweiten Weltkrieg hatte in Deutschland das Oberkommando der Wehrmacht das Monopol auf Kriegsberichterstattung.

Vietnam – ein PR-Desaster

"Mit der öffentlichen Meinung gewinnt man Krieg", erkannte der spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower schon 1940. Der Vietnam-Krieg führte das den amerikanischen Militärs 30 Jahre später schmerzlich vor Augen. Als der Journalist Seymour Hersh 1968 über ein Massaker an vietnamesischen Zivilisten berichtete, begann sich die öffentliche Meinung gegen den Krieg zu wenden. 1973 zogen sich die USA endgültig aus Vietnam zurück – zwölf Monate, nachdem das berühmte Foto eines weinenden, nackten Mädchens erschienen war, das nur knapp eine Napalm-Attacke überlebt hatte.

Die neue Medienpolitik der Militärs

Die amerikanischen Militärs zogen Konsequenzen aus dem Debakel. Ihre neue Strategie hieß Schweigen und Desinformation: Als sie 1983 die Karibik-Insel Grenada besetzten, sperrten sie die Journalisten ganz aus. Und bei der Befreiung Kuwaits 1991 hatten westliche Medien keinen Zugang zum Kampfgebiet. Statt dessen waren auf Material der eigens vom Militär engagierten PR-Agenturen angewiesen – und aus Mangel an Informationen zeigten viele Fernsehsender die bestens bekannten Bilder der Luftangriffe auf Bagdad: Grünliche Nachtaufnahmen mit Lichtpunkten, die an ein Videospiel erinnerten und das Bild eines sauberen Präzisionskrieges vorgaukelten. Der Irak auf der anderen Seite zeigte ausschließlich Bilder menschlichen Leids. Damit war die Kriegsberichterstattung endgültig zu einer Art Waffe der Militärs geworden.