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Logik der Gewalt

19. August 2009

Ende Juni wurden die US-Truppen aus den irakischen Innenstädten abgezogen. Ist dies ein Grund für die neue schwere Anschlagsserie in Bagdad? Rainer Sollich kommentiert.

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Bild: DW

Statistiken haben oft wenig Aussagekraft - so auch bei der Frage, inwiefern die jüngste Terrorwelle im Irak tatsächlich ursächlich mit dem amerikanischen Truppenrückzug aus den Innenstädten zusammenhängt. Die Anzahl der Gewaltopfer war in den letzten Wochen mit amerikanischer Truppenpräsenz sogar angestiegen. Nach dem Abzug der Besatzungstruppen ging die Gewalt zunächst zurück - um nun jedoch erneut in Form einer blutigen Anschlagsserie mitten in Bagdad zu explodieren.

Wenn hieraus überhaupt ein Schluss erlaubt ist, dann dieser: Weder mit noch ohne amerikanische Truppen sind die Iraker bisher sicher vor Terror oder Gewalt. Die Lage hat sich in den vergangenen Jahren zwar insgesamt deutlich verbessert. Aber wenn in jüngster Zeit von amerikanischer und offizieller irakischer Seite immer wieder suggeriert wurde, die Lage sei annähernd im Griff, dann offenbart dies ein merkwürdiges Verständnis von Sicherheit. Der Irak ist und bleibt ein Ort permanenter Gewalt.

Traurige Tatsache: Gewalt nutzt sich ab

Fast täglich werden Anschläge aus dem Land gemeldet - aber vieles davon bekommt die Weltöffentlichkeit gar nicht mehr mit. Es eine traurige, wenngleich aus den Eigenheiten des Medienbetriebs heraus durchaus logisch zu erklärende Tatsache, dass sich die internationale Aufmerksamkeit beim Thema "Gewalt im Irak" geradezu abgenutzt hat. Ein Anschlag mit vier oder fünf Toten macht schon längst keine Schlagzeilen mehr.

Aber wenn, wie jetzt, die Opferzahl in dramatische Höhen schnellt, dann setzt der bekannte Mechanismus ein. Weltsicherheitsrat, Weißes Haus und Europäische Union verurteilen die Taten einhellig. Und weltweit sehen Menschen Fernsehbilder von Toten und Verletzten, spüren Mitgefühl, Wut oder Ohnmacht. Und fragen sich, woher eigentlich dieser Hass rührt - und warum es Menschen gibt, die anderen Menschen so viel sinnloses Leid antun können.

Die Antwort ist ebenso einfach wie zynisch: Sie tun es genau zu diesem Zweck. Sie wollen Unschuldige treffen und Angst verbreiten. Sie wollen, dass der Irak nicht zur Ruhe kommt. Sie freuen sich über die internationale Verurteilung. Und sie wollen mit ihren Taten auch ins Fernsehen. Denn jede Form der Medienberichterstattung verleiht ihrem Terror noch stärkeres Gewicht.

Kompletter Truppenabzug als Druckmittel

Dagegen kann keine noch so ausgefeilte Medienethik helfen - dagegen helfen akut zunächst einmal nur schärfere Sicherheitsmaßnahmen. Dass die irakische Regierung angekündigt hat, bestehende Sicherheitslücken schließen zu wollen, ist deshalb ein erster wichtiger Schritt. Es darf jedoch nicht der einzige bleiben. Terroristen werden so lange einen fruchtbaren Nährboden und Unterstützung in Teilen der Bevölkerung oder auch Nachbarstaaten finden, so lange die Konflikte zwischen den Volksgruppen und ihren politischen Führern ungelöst bleiben. Mangelndes gegenseitiges Vertrauen und Rachegefühle werden jedoch ebenso wenig über Nacht verschwinden wie die handfesten Interessenkonflikte um politische Macht und Ölressourcen.

Dass die Amerikaner trotz der jüngsten Gewalteskalation eisern daran festhalten, bis Ende 2011 komplett aus dem Irak abzuziehen, mag auf den ersten Blick gewagt wirken. Vielleicht es ist aber auch ein geeignetes Druckmittel. Es könnte der Schlüssel sein, um die Regierung in Bagdad zu größeren Anstrengungen bei der Lösung der internen Konflikte und beim Vorantreiben des nationalen Versöhnungsprozesses zu drängen. Dabei ist sie jedoch auf internationale Hilfe angewiesen.

Autor: Rainer Sollich
Redaktion: Julia Elvers-Guyot