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Linkstrend in Lateinamerika

Norbert Ahrens 22. Januar 2003

Das politische Gesicht Lateinamerikas hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Es gibt eine Tendenz zu demokratischen Linksregierungen. Brasilien mit Präsident Lula da Silva ist das bekannteste Beispiel.

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Brasilien liegt mit seinem neuen Präsidenten Lula ganz im TrendBild: AP

Spätestens seit der Wahl des neuen brasilianischen Staatspräsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, dem Vorsitzenden der "Partei der Arbeit", der größten Linkspartei in einem demokratischen Land, ist der schon seit einigen Jahren vorherrschende demokratische Linkstrend in Lateinamerika unübersehbar. Es begann mit der Wahl des Populisten Hugo Chávez in Venezuela vor vier Jahren. Der Ex-Oberst und frühere Box-Champion hatte seinen Wahlkampf auf die ärmsten Schichten des Volkes ausgerichtet und wurde prompt mit der absoluten Mehrheit ihrer Stimmen in das höchste Staatsamt gewählt.

Mut zahlte sich aus

Kurze Zeit später konnte in Chile der gemäßigte Sozialist Ricardo Lagos als Präsident in den Regierungspalast La Moneda einziehen. Lagos hatte sich als mutiger Oppositionsführer in der Pinochet-Ära hervorgetan, indem er unter anderem dem Diktator in einer Fernsehsendung die alleinige Schuld an den Menschenrechtsverletzungen gab. Zur großen Überraschung vieler Beobachter wurde er daraufhin nicht verhaftet oder ausgewiesen. Das Gedächtnis der Chilenen war gut genug, um ihn zwölf Jahre später zum Staatspräsidenten zu wählen.

Auch die Ablösung der verdeckten Militärdiktatur unter dem korrupten Fujimori-Regime in Peru erfolgte durch einen aus einfachen Verhältnissen stammenden, links stehenden Politiker. Auch wenn Alejandro Toledo bisher wenig erfolgreich war, hat sich zumindest die Situation der Menschenrechte im Land verbessert. Die Wirtschaftsprobleme Perus - und auch aller anderen lateinamerikanischen Länder - werden ohnehin zum größten Teil vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank beeinflusst. Sie sitzen gewissermaßen mit am Kabinettstisch.

Gegen Korruption und Armut

Das jüngste Beispiel schließlich ist die Wahl des früheren Obersten Lucio Gutierrez zum Staatspräsidenten Ekuadors. Auch Gutierrez setzte auf die ärmsten Schichten, im Falle Ekuadors auf die Indios, um mit deren Stimmenmehrheit die Wahl zu gewinnen. Der Kampf gegen die Korruption und die Ausrottung der Armut sind seine erklärten politischen Ziele.

Auch sein brasilianischer Amtskollege Lula hat die Armutsbekämpfung als sein vordringlichstes Ziel bezeichnet, hat jedoch hinzugefügt, dass es sich dabei um ein langfristiges Projekt handele und dass niemand sofortige Lösungen erwarten könne.

Extreme Ungleichheit

Doch warum ist es zu diesem Linkstrend in jüngster Zeit gekommen? Folgt man der Analyse Lulas, gibt es eine unübersehbare Hauptursache. Diese besteht darin, so Lula, dass sowohl Ekuador als auch Brasilien sehr reiche Länder seien. Dass aber, ähnlich wie in anderen Ländern Südamerikas, der Reichtum nicht die Garantie enthalte, einigermaßen gleichmäßig unter die Bevölkerung aufgeteilt zu werden. Dieser Zustand der zum Teil extremen sozialen und ökonomischen Ungleichheit sei es, der bei der Masse der Armen Erwartungen gerade an linke Regierungen wecke.

Abgesehen vom Sonderfall Kolumbien setzt sich nach der Epoche der Guerillabewegungen und der Militärdiktaturen gegenwärtig offenbar die Tendenz zu demokratisch gewählten Linksregierungen in Lateinamerika durch. Ob sie erfolgreich sein können, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit sie von den USA und Europa als demokratisch anerkannt und unterstützt werden. Wenn jedes Sozialprogramm, das auch nur leicht gegen die Auflagen etwa des IWF verstößt, dazu führt, dass eine Regierung des Kommunismus à la Castro-Kuba verdächtigt wird, dann wird der Westen einmal mehr in Lateinamerika versagen. Es wäre schon ausreichend, wenn die neuen Links- oder Mitte-Links-Regierungen Lateinamerikas von den USA mit halb so viel Eifer Hilfe bekämen, wie damals die rechten Militärdiktaturen.