1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der neue Ruf des deutschen Eishockeys

Chuck Penfold
5. Juni 2020

Olympia-Silber und jetzt Leon Draisaitl als Top-Scorer der NHL - das deutsche Eishockey wird international wieder ernst genommen. Und nach Draisaitl drängen weitere deutsche Toptalente in die NHL.

https://p.dw.com/p/3dJBN
USA: Eishockey: NHL - Leon Draisaitl
Leon Draisaitl ist in der nordamerikanischen Profiliga NHL zum Superstar gereiftBild: picture-alliance/AP/M. Humphrey

Keine Frage, Deutschlands Eishockey hat international einen Riesensprung nach vorn gemacht. Die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang war eine echte Sensation. Genauso undenkbar erschien es noch vor Jahren, dass ein Deutscher die "Art Ross Trophy" gewinnen könnte, die Auszeichnung der National Hockey League (NHL) für den besten Scorer der Saison vor Beginn der Playoffs. Dies gelang jetzt dem 24 Jahre alten Leon Draisaitl von den Edmonton Oilers in der Spielzeit 2019/20, die wegen der Corona-Pandemie verkürzt wurde. Die Entwicklung des deutschen Eishockeys gehe "in die richtige Richtung", sagte Draisaitl, Deutschlands aktueller Vorzeige-Profi, angesprochen auf die Leistungssteigerung in seinem Heimatland.

Die nächste Generation

Weitere junge deutsche Talente drängen in die beste Eishockeyliga der Welt. Die besten Chancen, den Sprung in die NHL zu schaffen, hat Moritz Seider. Der 19 Jahre alte, 1,93 Meter große Verteidiger wurde 2019 beim "NHL Entry Draft", bei dem die Teams Rechte an verfügbaren Amateur- und Jugendspielern erwerben, von den Detroit Red Wings als sechster Spieler gezogen. Damit war Seider erst der zweite in Deutschland geborene und ausgebildete Spieler, der es unter die Top 10 der begehrtesten Spieler beim Entry Draft schaffte - nach Draisaitl, der 2014 von den Edmonton Oilers als Nummer drei gedraftet wurde.

Eishockey NHL Moritz Seider
Verteidiger Moritz Seider (r.) ist auf dem Sprung in die Eliteklasse NHLBild: picture-alliance/AP Photo/K. Srakocic

Seider spielte in der vergangenen Saison für die Grand Rapids Griffins, den Partnerverein Detroits in der American Hockey League (AHL), der zweithöchsten Eishockeyliga Nordamerikas. Dort schaffte er 22 Punkte: zwei Tore und 20 Assists. Jetzt will er den nächsten Schritt gehen, in die NHL. "Das wäre auf jeden Fall die Wunschvorstellung. Ob es so eintreten wird, muss man abwarten", sagte Seider bei einer digitalen Gesprächsrunde mit Reportern, in der auch die deutschen Toptalente Tim Stützle, Lukas Reichel und Dominic Bokk teilnahmen.

"Der Sommer wird wahrscheinlich der wichtigste in meiner Karriere", sagte Seider. "Jetzt geht es darum, mich so gut wie möglich vorzubereiten, um einem anderen Mitspieler den Job streitig zu machen und irgendwann Fuß fassen zu können." Sollte ihm dies nicht gelingen, so Seider, werde er sich "in der AHL wieder herankämpfen und dann auf den Anruf warten".

Ziel: Unter die Top drei beim NHL-Draft

Tim Stützle Eishockeyspieler Adler Mannheim
Tim Stützle hat sich in der DEL bewährtBild: Imago Images/masterpress/D. Glaser

Die zweitbeste Chance unter den jungen deutschen Spielern, den Sprung in die NHL zu schaffen, dürfte Tim Stützle haben. In seiner ersten Profisaison in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) bei Adler Mannheim erzielte der 18 Jahre alte Stürmer sieben Tore und gab 27 Vorlagen zu Treffern. Stützle, der sowohl im Angriffszentrum als auch auf dem Flügel eingesetzt werden kann, ist der am höchsten eingestufte Europäer auf der Kandidaten-Liste der NHL. "Natürlich ist es mein Ziel, so hoch wie möglich gedraftet zu werden", sagte Stützle. "Letztendlich liegt es an den Teams. Da kann ich nicht viel machen, aber mein Ziel ist auf jeden Fall, unter den Top drei gezogen zu werden."

Wenn er sich ein Team aussuchen könnte, würde Stützle nach eigenen Worten entweder Detroit wählen, um mit Moritz Seider zusammenspielen - oder Los Angeles, wo Marco Sturm als Assistencoach arbeitet. Sturm hatte das Nationalteam als Bundestrainer zur Silbermedaille in Pyeongchang geführt.

Nicht zu früh über den großen Teich

Entgegen der früher vorherrschenden Meinung, dass europäische Spieler so früh wie möglich nach Nordamerika wechseln sollten, um ihre Chancen auf eine NHL-Karriere zu erhöhen, haben sich die deutschen Toptalente zunächst für die Eishockey-Ausbildung in Deutschland oder zumindest Europa entschieden. Sieder und Stützle entwickelten sich bei Adler Mannheim, der 18-jährige Lukas Reichel beim DEL-Rivalen Eisbären Berlin. Der 20 Jahre alte Dominic Bokk, 2018 von den St. Louis Blues gedraftet, blieb ebenfalls zunächst in Europa. Er spielte in der schwedischen Eishockeyliga, zunächst bei den Växjö Lakers, dann in der vergangenen Saison als Leihgabe bei Rögle BK.

Lukas Reichel Eishockeyspieler Eisbären Berlin
Lukas Reichel hat das Eishockey-Gen: Vater Martin spielte als Profi in Deutschland, sein Onkel Robert in der NHLBild: Imago Images/Eibner

Es habe durchaus Vorteile, nicht schon als Nachwuchsspieler nach Kanada oder als College-Spieler in die USA zu wechseln, sagte Tim Stützle: "Die erfahrenen Spieler [in Mannheim], die teilweise eine NHL-Karriere hinter sich haben, haben mir unglaublich weiterhelfen können." Außerdem habe er sich im Männer-statt im Junioren-Eishockey messen und dabei viel lernen können, vor allem im Zweikampfverhalten. Moritz Seider ergänzt, dass in der Vergangenheit sehr junge deutsche Talente etwa in Kanada einen schweren Stand gehabt hätten. Viele hätten nicht wirklich eine Chance erhalten, weil ihnen die Trainer dort zu wenig Einsatzzeiten gegeben hätten.

Vielleicht lag es ja auch daran, dass Deutschland damals noch nicht den Ruf hatte, Eishockey-Topspieler hervorzubringen. Profis wie Draisaitl, Seider, Stützle, Riechel und Bokk sind auf dem besten Weg, diese Wahrnehmung zu ändern.