Legendenumrankte Autorin
4. Februar 2010Irmgard Keun, Erfolgsautorin der dreißiger Jahre, kam nie wirklich im Nachkriegsdeutschland an. Ihre Wiederentdeckung durch die Frauenbewegung wenige Jahre vor ihrem Tod im Mai 1982 galt mehr ihrem tragischen Schicksal als ihrem Werk. Beides, ihr Leben in seinem Auf und Ab zwischen Ruhm und Elend, und ihre freche, kunstvoll naive Rollenprosa, spiegelt sich bis heute im wiederholten Wechsel von Entdecken und Vergessen durch die literarische Öffentlichkeit.
Ein Glanz werden
Der Traum des Mädchens aus der Provinz, das sich in die Traumwelt des Films sehnt, zerbricht im Berlin der Weltwirtschaftskrise. Das kunstseidene Mädchen, bis heute der bekannteste Roman Keuns, literarisiert das Lebensgefühl jener "neuen Frauen" der zwanziger Jahre, die so wenig verdienen und sich so selbstbewusst geben, dass der Liebhaber für sie zugleich eine materielle und erotische Notwendigkeit darstellt. Die Spannung zwischen den alten vertrauten Abhängigkeiten und neuen Sehnsüchten nach Freiheit und Unabhängigkeit, die ihre Frauenfiguren prägen, scheint auch Irmgard Keun selbst nicht fremd zu sein. Als sei es ein Roman, inszeniert, ja erfindet sie ihr Leben, beginnend mit dem falschen Geburtsjahr 1910. Das ungeklärt Legendenhafte der biografischen Überlieferung irritiert die Rezeption bis heute.
Mit 26 Jahren Bestsellerautorin
Am 6. Februar 1905 in Berlin-Charlottenburg geboren und in Köln aufgewachsen, wird Irmgard Keun sozusagen über Nacht zur Bestsellerautorin: Mit ihren Romanen Gilgi - eine von uns (1931) und Das kunstseidene Mädchen (1932) trifft sie den Nerv der Zeit, den Lebenshunger junger Frauen in einer Krisenzeit, in einem am Film orientierten Schreibstil. Sie erhält glänzende Rezensionen vom Börsen-Courier bis zur Weltbühne, beide Romane werden in mehrere Sprachen übersetzt, und die junge Autorin ist auf einen Schlag im Ausland präsent, während in Deutschland ihre Karriere abbricht. Denn kaum sind die Nazis an der Macht, werden ihre Romane als "Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz" verboten.
In Deutschland unerwünscht – im Ausland berühmt
In der späteren Rezeption ist Keuns Bleiben im Dritten Reich und ihre Bereitschaft, durch Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer ihre weitere Existenz als Autorin zu sichern (was nicht gelingt), als Widerspruch zur antifaschistischen Tendenz ihrer Romane wahrgenommen worden; sie selbst verstand sich als unpolitische Autorin. Im Unterschied zu vielen anderen exilierten Autoren und Autorinnen ist Keun im europäischen Ausland und bald auch in den USA eine bekannte Schriftstellerin und kann weiterhin veröffentlichen. Anfang 1936 geht sie nach Ostende und publiziert in kurzer Zeit drei weitere Romane, darunter Nach Mitternacht (1938), eine ans Satirische grenzende Abrechnung mit dem nationalsozialistischen Deutschland, die in der Exilpresse überwiegend positiv rezensiert wird.
Über den Ozean - und zurück nach Europa
Als Irmgard Keun 1938 in die USA reist, ist die 33-Jährige dort bereits eine bekannte Schriftstellerin, ihre Bücher, auch Nach Mitternacht, sind übersetzt. Warum bleibt sie nicht in den USA? Auch diese Frage taucht in der späteren Rezeption als ungeklärt immer wieder auf. Jedenfalls schreibt sie an einem neuen Buch und denkt bereits beim Schreiben an eine internationale Leserschaft: "Kind aller Länder, Child of all countries, L’enfant cosmopolite: Es handelt von einem kleinen Mädchen, das mit seinen Eltern auswandert, überall in den Hotels als Pfand zurückgelassen wird usw." Der Roman erscheint 1938 in Amsterdam, wo Keun nach der Rückkehr aus den USA lebt.
Kriegsjahre und Nachkriegszeit
Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Holland, Belgien und Frankreich stehen Keuns Bücher auch auf den Verbotslisten der Exilländer. Sie kehrt nach Köln zurück, was den Behörden nicht verborgen bleibt. Nach Kriegsende – sie ist vierzig Jahre alt – veröffentlicht sie sporadisch, aber an ihre früheren Erfolge als Autorin kann sie nicht mehr anknüpfen. Natürlich liegt das daran, dass Emigranten und ihre Literatur jedenfalls im Westen Deutschlands nicht erwünscht waren – aber Keun war ja keine Exilierte. Auch ihre Persönlichkeit und Lebensumstände spielen eine Rolle – alkoholkrank und medikamentensüchtig lebt sie mehrfach über Jahre in der geschlossenen Psychiatrie.
Späte Würdigung
Ende der siebziger Jahre beginnt Irmgard Keun für die literarisch interessierte Öffentlichkeit wieder zu existieren: Sie wird als Autorin gewürdigt, ihre Bücher werden wieder aufgelegt, sie gibt Interviews und hält Lesungen, genießt es, wieder Geld zu haben. Die Anstöße, sie als eine "vergessene" Autorin neu zu entdecken, kommen aus der neuen Frauenbewegung. Zu ihrem vermeintlich 70. (in Wirklichkeit 75.) Geburtstag hält Elfriede Jelinek die Laudatio, 1981 erhält Keun den Marieluise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt, ihre einzige literarische Auszeichnung. Es scheint, als wiederholten sich die wenigen Jahre ihres ersten Erfolges nun am Ende ihres Lebens. Sie stirbt im Mai 1982. In den achtziger Jahren kommen verschiedene Fassungen des Kunstseidenen Mädchens auf westdeutsche Bühnen. Bis heute ist gerade dieser Roman am weitesten verbreitet, am meisten mit Keuns Namen als Autorin der frühen dreißiger Jahre verknüpft. Aktuell sind gerade heute Stoff wie Schreibweise. Junge Mädchen, die als Germanys next Topmodel oder als Schlagersternchen "ein Glanz werden" wollen, sehen, wie Keuns Doris, in einer Krisenzeit keine anderen Möglichkeiten für sozialen Aufstieg.
Autorin: Sonja Hilzinger
Redaktion: Gabriela Schaaf
Sonja Hilzinger, Autorin, Lektorin und Wissenschaftsberaterin lebt in Berlin; Veröffentlichungen zu Autorinnen, zur Exil- und DDR-Literatur, u.a. Biografien von Anna Seghers, Elisabeth Langgässer, Inge Müller, Christa Wolf.