Leere Kirchen, leere Kanzeln
Ob katholisch oder evangelisch - den christlichen Kirchen laufen die Mitglieder davon, den theologischen Fakultäten die Studenten. Steckt Deutschland in der Glaubenskrise?
Götterdämmerung
Die christlichen Glaubensgemeinschaften in Deutschland sehen sich heute mehr denn je mit Überlebensfragen konfrontiert: Ist Kirche noch zeitgemäß? Was soll sie den Gläubigen bieten? Wie kann sie Menschen vom Evangelium überzeugen, die sich von der Kirche abgewendet haben? Wohlwollende Stimmen sprechen von einer "Umbruchphase", Kritiker von einer "tiefen Krise".
Leere Kirchenbänke
Die Zahlen sprechen für sich: Allein die katholische Kirche hat in Deutschland im vergangenen Jahr fast 180.000 Mitglieder verloren - das sind 50 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Die Austrittszahlen der evangelischen Kirche liegen zwar etwas niedriger, doch auch sie kann den Verlust nicht durch hinzukommende Mitglieder ausgleichen.
Das liebe Geld
Der Mitgliederschwund bedeutet für die Kirchen zugleich auch weniger Einnahmen. Denn wer als katholisch oder evangelisch registriert ist, zahlt Kirchensteuer. Das sind bei einem Durchschnittsverdienst bereits einige hundert Euro pro Jahr. Für manche, die ohnehin eher skeptisch zur kirchlichen Institutionen stehen, ist dies das letzte - wenn auch nur selten entscheidende - Argument auszutreten.
Auf der Suche
Mancher, der im christlichen Glauben keine Heimat findet, wendet sich einem anderen Glauben zu. So etwa David Stang: Als Teenager hat er sich in der katholischen Kirche engagiert, war bei den Messdienern aktiv. "Aber irgendwas passte nicht so richtig", sagt er rückblickend. Nach langer Sinnsuche wandte er sich dem Islam zu. "Da habe ich mich wiedergefunden."
Von Skandalen erschüttert
Austrittswellen haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs durch Geistliche und Mitarbeiter kirchlicher Organisationen verursacht. Im Zentrum der Kritik stand dabei die katholische Kirche. Als Anfang 2010 etliche Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg bekannt wurden, setzte die Deutsche Bischofskonferenz einen Sonderbeauftragten ein. Doch die Aufklärung stockt.
Bischöflicher Luxus
Einen weiteren Höhepunkt erreichten die Kirchenaustrittszahlen Mitte 2013: Da sorgte die Kostenexplosion beim Neubau des Bischofssitzes in Limburg für Schlagzeilen - von ursprünglich vier auf mehr als 30 Millionen Euro. Als der Druck zu groß wurde, reichte Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst beim Papst seinen Rücktritt ein. Doch das Misstrauen gegenüber dem kirchlichen Finanzgebaren blieb.
Nachwuchssorgen
Die beiden großen Kirchen stehen vor einem zweiten Dilemma: Die Studentenzahlen an den Fakultäten sinken. Immer weniger wählen den Priesterberuf. Die katholische Kirche beispielsweise beschäftigt heute rund ein Viertel weniger Geistliche als noch 1995. Dafür steigt die Zahl derer, die sich in den kirchlichen Laienberufen - als Diakone, Gemeinde- oder Personalreferenten - engagieren.
Ungewisse Zukunft
Immer mehr Gemeinden stellt sich mittlerweile die Existenzfrage. Noch unterhalten die beiden großen christlichen Glaubensgemeinschaften rund 45.000 Kirchen. Zahlreiche Gemeinden wurden in den vergangenen Jahren zusammengelegt. Die katholische Kirche Sankt Gertrud in Köln (Bild) ist mit mittlerweile drei anderen Nachbargemeinden fusioniert. Dutzende Kirchen haben ihre Pforten ganz schließen müssen.
Kellner statt Priester
Kirchenbauten zu unterhalten ist teuer, besonders wenn Modernisierungen anstehen. Experten schätzen, dass bis zu zehn Prozent der Gotteshäuser verkaufen werden sollen. Einen ungewöhnlichen Zweck erfüllt heute die ehemalige Martini-Kirche in Bielefeld: Hier ist 2005 die stylische Gaststätte "GlückundGlückseligkeit" eingezogen. Besonderes Highlight: die "Clublounge" auf der Orgelempore.
Hochseilgarten "mit Spirit"
Es gibt auch Initiativen, die aus der Not eine Tugend machen: Manches Gotteshaus wurde - wie hier in Gelsenkirchen - zur Jugendkirche umfunktioniert. Hier können junge Menschen, die von traditionellen Gottesdiensten eher abgeschreckt werden, Kirche neu entdecken. Im 2009 eingerichteten Klettergarten erfahren sie Glauben als stärkende Kraftquelle, aus der sie Selbstbewusstsein "tanken".
Ist Glauben wirklich "out"?
Gut zwei Drittel der Deutschen bekennen, an Gott zu glauben. In Ostdeutschland sind es - aufgrund der atheistischen DDR-Geschichte - deutlich weniger als in Westdeutschland. Und nicht alle, die an Gott glauben, sind auch tatsächlich Mitglied einer Kirche. Seinen Glauben praktizieren viele auch in freien Gemeinden, Bibel- und Hauskreisen. Und beten kann ein Mensch auch allein.