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Glaube

Leben teilen - weil Gott es mit uns teilt

27. Mai 2022

Beitrag zum 102. Deutschen Katholikentag in Stuttgart (25.-29.05.2022)

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Deutschland Stuttgart | Eröffnungsgottesdienst 102. Katholikentag an Himmelfahrt
Bild: Jens Schulze/epd/IMAGO

Endlich wieder: Leben teilen statt „Bildschirm teilen“! In dieser Hoffnung laden wir vom 25. bis 29. Mai in Stuttgart zum 102. Deutschen Katholikentag ein. Das lebensbedrohliche Corona-Virus hat uns unsere Verwundbarkeit - als Menschen und als Gesellschaft - grausam bewusst gemacht und das Leben schwer belastet. Der Katholikentag wird die erste kirchliche Großveranstaltung sein, bei der wir einander wieder „live“ begegnen können. Rund 1.500 Gottesdienste, thematische Veranstaltungen und kulturelle Angebote laden ein, Leben zu teilen, sich auszutauschen, neue Perspektiven zu gewinnen und um Ideen angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit zu ringen.

Leben teilen - weil Gott es mit uns teilt. Das Motto des Katholikentages erinnert daran, dass wir an einen Gott glauben, der sich selbst und seine Lebensfülle mit uns teilt. Er hält sich nicht fein raus aus der menschlichen Wirklichkeit, sondern wird selbst Mensch. Er sucht Beziehung und Gemeinschaft, indem er in Jesus Christus Anteil nimmt und Anteil gibt. Menschliche Not geht ihm zu Herzen, und er „teilt sich selbst mit“ bis zur Hingabe des Lebens, damit die Menschen Leben haben und es „in Fülle haben“.

Leben teilen weist auch darauf hin, was Sinn und Auftrag der Kirche ist: Sie soll eine Gemeinschaft des miteinander geteilten Lebens sein und diese Haltung auch in ihrer Sendung in der Welt leben und verwirklichen. Aus der frühen Christengemeinde wissen wir, dass das Teilen des Brotes in der Eucharistie und das Teilen des alltäglichen Brotes in der gelebten Nächstenliebe untrennbar verbunden waren und sein sollten. An den hl. Martin von Tours, den Patron der gastgebenden Diözese, und seine Mantelteilung wird beim Katholikentag der aus vielen kleinen Stücken zusammengetragene größte Martinsmantel der Welt erinnern.

Das Leitwort kann zu Diskussion der politischen, gesellschaftlichen, kirchlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und kulturellen Fragen und Herausforderungen inspirieren. Schon, weil das deutsche Wort „teilen“ doppeldeutig ist: positiv verweist es auf das Miteinander-Teilen - auf englisch „to share“ - negativ aber auch auf das Trennen, Auseinanderteilen, Abgrenzen. Innerkirchlich erlebt die Katholische Kirche eine tiefgreifende Vertrauenskrise, weil sie von vielen als Institution erlebt wird, die trennt: in Kleriker und Laien, Amtskirche und Gläubige, Männer und Frauen, Katholiken und andere, und in der Menschen zuwenig lebensfreundliches Teilen, sondern Abgrenzung und Ausgrenzung erleben. Die aktuellen Reformdiskussionen, wie sie etwa beim Synodalen Weg geführt werden, werden deshalb eine wichtige Rolle spielen.

Und gesellschaftspolitisch - von der deutschen über die europäische bis zur globalen Ebene - ist es alles andere als ausgemacht, dass Schichten, Regionen, Völker und Staaten zukünftig mehr miteinander teilen werden, statt sich in Konkurrenz oder gar Feindschaft voneinander abzugrenzen und zu trennen. Der Katholikentag kann sich dabei keine naive Sozialromantik erlauben. Der Krieg in der Ukraine ist real, ebenso wie die Frage nach der Zukunft unseres Wohlstands- und Wirtschaftssystems, der globalen sozialen Gerechtigkeit und der Klimakrise. Gilt hier: Wer teilt, verliert sein gutes Leben? Oder kann gelten: Wer teilt, gewinnt? Ist die Idee einer „sharing economy“, einer Wirtschaft, die mehr auf Teilen als auf Besitzen setzt, eine Lösung, wie Papst Franziskus hofft? Wie werden Ressourcen und Chancen zukünftig verteilt? Die Präsenz vieler weltkirchlicher Partner und Projekte wird Gelegenheit geben, darüber in einen ernsthaften Austausch zu treten.

Jeder von uns hat auf dem Handy Apps, mit denen wir Nachrichten, Bilder und Informationen „teilen“ können. Das geht ganz leicht. Das „leben teilen“ in Kirche und Welt ist Chance und Herausforderung für uns Christen. Der Katholikentag lädt dazu ein, „leben teilen“ als Wesenskern unseres Glaubens und unseres Weltauftrages neu zu entdecken.

 

Autor: Christian Hermes ist Dompfarrer der Konkathedrale St. Eberhard und Stadtdekan von Stuttgart.