Hinter der Mauer
2. Februar 2010Jonas Gaith steht an der grauen Betonmauer, die Bethlehem umgibt. Der Entwicklungshelfer aus Freiburg schaut nach oben. Acht Meter ragt die mit Stacheldraht bewehrte Mauer in den Himmel. Sie sperrt die Menschen in Bethlehem ein und sie trennt die Geburtsstadt Jesu vom benachbarten Jerusalem.
"Hier verlief früher die Hauptstraße von Jerusalem nach Bethlehem", erklärt Gaith. Damals gab es hier noch zahlreiche Geschäfte und Restaurants. Viele Israelis kamen am Wochenende zum Einkaufen hierher. Heute ist die Straße hier zu Ende. Ein schweres Eisentor ist in die ansonsten unüberwindbare Mauer eingelassen. Dahinter ist ein israelischer Militärposten. Immer, wenn sich das Tor zur Seite schiebt, um ein Auto durchzulassen, das hier passieren darf, sieht man schwer bewaffnete Soldaten auf der anderen Seite stehen, die die Fahrzeuge kontrollieren. "Das Viertel hier an der Mauer ist zu einer Geisterstadt geworden", berichtet Jonas Gaith. "Das Leben ist in ein anderes Viertel umgezogen."
Friedliche Koexistenz fördern
Der Islamwissenschaftler Jonas Gaith arbeitet im Programmbereich Ziviler Friedensdienst des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED). Mit diesem Programm will der DED dazu beitragen, die friedliche Koexistenz in der Region zu unterstützen und die gewaltsame Polarisierung innerhalb der palästinensischen Gesellschaft zu überwinden. In Bethlehem arbeitet der deutsche Entwicklungshelfer im "Center for Conflict Resolution" CCRR, einer palästinensischen Nichtregierungsorganisation, die sich für gewaltfreie Konfliktlösungen, für Friedenserziehung und den interreligiösen Dialog einsetzt.
"Einmal ohne Besatzung leben"
Direktor des CCRR ist der Palästinenser Noah Salameh. "Einer meiner Wünsche ist es, wenigstens einen Tag lang ohne Besatzung zu leben", sagt Salameh, "wenigstens einen Tag lang, bevor ich sterbe." Sein ganzes Leben habe der 58-jährige unter Besatzung gelebt. Immer sei er Teil dieses Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern gewesen. Doch das, so Salameh, habe er sich nicht ausgesucht. Salameh ist Flüchtling. Seine Familie stammt aus dem Dorf Zakaria, das inzwischen zum jüdischen Kfar Zecharia geworden ist. Er selbst wurde im Flüchtlingslager Deheischeh bei Bethlehem geboren. "Ich habe mein halbes Leben in einem Zelt gelebt, ohne Toilette und ohne alles", sagt er. Lebensmittel, medizinische Versorgung und Schulbildung habe das UN-Hilfswerk für die palästinensische Flüchtlinge UNRWA zur Verfügung gestellt.
Mit 15 wurde Salameh politisch aktiv und engagierte sich gegen die israelische Besatzung. Er wurde verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Im Jahr 1985 kam er im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei. Seither setzt er sich für Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten ein. "Ich versuche meine Kinder ohne Hass aufwachsen zu lassen", sagt Salameh. Doch das ist nicht einfach. Denn die Besatzung ist überall und für jeden Palästinenser ständig präsent.
"Jeder macht eine andere Erfahrung"
Die Psychologin Beate Niedermeyer kennt viele haarsträubende Geschichten aus dem Alltag unter der Besatzung. Seit drei Jahren kümmert sie sich um Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, die Gewalt und Tod unmittelbar erlebt haben. "Zum Beispiel, wenn das Militär kommt und die ganze Familie muss in einen kleinen Raum rein", erzählt sie aus ihrer Praxis." Dann kommt ein Soldat und schreit: "Mach die Tür auf". Die Großmutter will die Tür öffnen, schafft das nicht so schnell und wird erschossen. Alle sind in dem Raum, Kinder, Erwachsene, alle sind da drin, und jeder geht anders mit der Erfahrung um."
Beate Niedermeyer arbeitet im Internationalen Zentrum von Bethlehem. Dort wurde in den letzten Jahren ein umfangreiches Gesundheitsprogramm entwickelt, das den Menschen in der Region helfen soll, mit den psychologischen und sozialen Auswirkungen der Besatzung und der Abriegelung fertig zu werden. Der Deutsche Entwicklungsdienst unterstützt die Arbeit des Zentrums. In diesem Jahr soll das erfolgreiche Programm auch auf das nördliche Westjordanland übertragen werden und somit noch mehr Menschen zugute kommen, die unter Traumata leiden.
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Diana Hodali