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Vatermord im Front National

Kersten Knipp21. August 2015

Die Führung der rechtsextremen Partei will durch den Rauswurf ihres Gründers Jean-Marie Le Pen ihr Image ändern. Sie möchte sich als gemäßigt konservativ präsentieren. Ob die Rechnung aufgeht, ist ungewiss.

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Jean-Marie Le Pen (Foto: picture alliance)
Bild: picture alliance/abaca/L. Liewig

Am Ende, fand die Tochter, hatte der Vater nur noch ein Ziel: Er wolle Schaden anrichten. Schaden für die Partei, die Tochter, vielleicht auch für sich selbst. "Jean-Marie Le Pen scheint in eine Strategie zwischen verbrannter Erde und politischem Selbstmord geraten zu sein", erklärte dessen Tochter Marine Le Pen am Mittwoch dieser Woche - einen Tag, bevor die Führung des rechtsextremen Front National (FN) den Gründer und Ehrenvorsitzenden aus der Partei ausschloss. Zu extremistisch hatte er sich in jüngster Zeit geäußert, so radikal, dass es selbst seinen politischen Freunden zu viel wurde.

Die Gaskammern in den NS-Vernichtungslagern seien nur "ein Detail des Krieges", hatte er Anfang April dieses Jahres in einem Fernsehinterview erklärt. Einige Monate vorher war er mit antisemitischen Äußerungen über den jüdischen, ihm kritisch gegenüberstehenden Sänger Patrick Bruel aufgefallen. "Wissen Sie, da machen wir das nächste Mal eine Ofenladung", sagte er - in Anspielung auf die Öfen, in denen die Nationalsozialisten die Leichen ihrer Opfer aus den Konzentrationslagern verbrannten. Auch seiner Abneigung gegen den in Spanien geborenen Premier Manuel Valls ließ er freien Lauf: "Welche Bindung hat Valls an Frankreich?", fragte er. "Hat sich dieser Migrant wirklich verändert?" Valls hatte im Alter von 20 Jahren die französische Staatsbürgerschaft angenommen.

Derartige Äußerungen stießen in der von seiner Tochter Marine Le Pen geführten Partei zunehmend auf Unverständnis. Endgültig genug hatten die meisten seiner ehemaligen Mitstreiter, als der 87-Jährige Anfang Mai, auf der alljährlichen Parteiversammlung in Paris, in einem schrillen roten Mantel auf die Bühne trat - als störend greller Tupfer vor dem dezenten Blau, in das die Parteistrategen die Bühne gehüllt hatten. In einem internen Votum sprachen sich 94 Prozent der Mitglieder dafür aus, ihm die kurz zuvor verliehene Ehrenmitgliedschaft wieder zu entziehen. Zugleich wurde seine FN-Mitgliedschaft aufgehoben. Le Pen focht das Ergebnis juristisch an, das zuständige Gericht gab ihm recht. Jetzt schloss die Parteiführung ihn wieder aus. Und noch einmal will Le Pen sich juristisch wehren.

Marine Le Pen (Foto: AFP / Getty Images)
Führungskraft der Rechten: Marine Le PenBild: Getty Images/AFP/D. Charlet

Extremismus als Erfolgsrezept

Die "verbrannte Erde", die der Vater nach Auffassung seiner Tochter hinter sich lässt, war lange Zeit der Boden, auf dem die extremistische Gruppierung gedieh. "Es scheint, als kehre Jean-Marie Le Pen zur politischen Linie der 1970er Jahre zurück, als die damals noch unbedeutende Partei Treffpunkt aller rechtsextremen Tendenzen war - einschließlich der Kollaborateure des Nazi-Regimes", schreibt die Tageszeitung "Libération". Nach wie vor sei Le Pen überzeugt, die damals übliche Verteufelung der Partei habe ihr erst ihren späteren Erfolg beschert.

Zweifel an Wandel

Die jetzige Parteiführung sieht das anders. Sie setzt auf einen - für ihre Verhältnisse - gemäßigten Kurs und wollte den Parteigründer darum loswerden. Vor allem, da Marine Le Pen in zwei Jahren als französische Präsidentin in den Elysée-Palast einziehen will. Innenpolitisch konnte der Front National in den vergangenen Monaten Erfolge aufweisen - aber ob die Rechnung langfristig aufgehen wird, ist nicht sicher, erklärt der Extremismusforscher Nicolas Lebourg in einem Interview ebenfalls mit "Libération". "Was werden die Mitglieder der Parteiführung sagen, wenn Jean-Marie Le Pen nicht mehr da ist, die Bindungen der Partei zur extremen Rechten aber weiterhin vorhanden sind?"

Im Kern habe sich der FN nicht geändert, gibt sich in der Tageszeitung "Le Monde" auch der Politologe Sylvain Crépon überzeugt. "Die Partei ist immer noch keine Partei wie jede andere, sie ist nach wie vor gegen das System gerichtet, sie ist weiterhin nationalistisch."

Jean-Marie Le Pen und Marine Le Pen (Foto: Reuters)
Schriller Auftritt: Jean-Marie Le Pen auf der traditionellen Parteiversammlung im Mai in ParisBild: Reuters/P. Wojazer

Problematische Positionen

Es scheint aber nicht ausgeschlossen, dass die Partei sich nun offenbar zumindest in Teilen programmatisch erneuern, sprich: mäßigen will. "Marine Le Pen hat deutlich gespürt, dass sie trotz aller auf sie zukommenden Schwierigkeiten ihren Vater politisch töten musste. Denn nur so kommt sie überhaupt in den exklusiven Kreis jener Politiker, die ernsthaft zählen", schreibt der Essayist André Bercoff im "Figaro".

Aber auch dann ist der politische Erfolg nicht garantiert. Zwar inszeniere sich Marine Le Pen als seriöse Kandidatin und gegen auf Distanz zu manchen Positionen der Rechten, die sie als demagogisch oder auch nur unprofessionell bezeichne, schrieb Nicolas Lebourg bereits im April im Internetmagazin "Slate". Aber auch das garantiere angesichts mancher ihrer sonstigen Einstellungen den politischen Erfolg nicht auf Dauer.

"Es wird nicht einfach sein, die konservativen Wähler dazu zu bringen, für sie anstatt für den konservativen Kandidaten und Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy zu stimmen. Denn sie würden sie in ein Amt heben, von dem aus sie Frankreich aus dem Euro bringen will. Zugleich würde es ihr erhebliches Gewicht im UN-Sicherheitsrat bringen - und das, während sie Frankreich zugleich näher an Russland bringen will." Das, so Lebourg, dürfte etliche konservative Wähler abschrecken.

Die nächsten französischen Präsidentschaftswahlen finden 2017 statt. Hinreichend Zeit für Marine Le Pen, die bisherigen Positionen nochmals zu überdenken. Bisher konnte sie mit ihrem neuen Kurs erhebliche Erfolge verbuchen. Nicht umsonst rüsten sich auch die großen, etablierten Parteien jetzt schon für den Urnengang in zwei Jahren.