Spielwiese für Jura-Studenten
7. April 2013"Ich werde regelmäßig von Freunden, der Familie und meinem Professor gewarnt, dass ich mich nicht in meinem Engagement verrenne und auch für mein Studium etwas tue. Ich nehme das natürlich ernst", sagt Maximilian Oehl. "Aber andererseits ist es natürlich so, dass mir dieses Projekt immer mehr ans Herz wächst." Der 24-jährige Jura-Student aus Köln hat vor wenigen Wochen an seiner Universität eine sogenannte "Law Clinic" für Ausländer- und Asylrecht ins Leben gerufen. Noch befindet sich der Verein im Aufbau, aber in etwa zwei Monaten soll das Beratungsangebot stehen.
Die Idee dahinter: Studenten, vor allem aus dem Bereich Rechtswissenschaften, bieten Flüchtlingen eine kostenlose Unterstützung zum Beispiel bei Behördengängen an. Um seine zukünftigen Klienten zu erreichen, arbeitet der Verein eng mit den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie sowie der Kölner Flüchtlingshilfe zusammen. Für die Zukunft ist auch eine Rechtsberatung geplant. Die Studenten wollen sich dafür jedoch noch von Anwälten schulen lassen. "Das ist momentan schwierig, weil es häufig mit Honorarforderungen verbunden ist", sagt Student Oehl.
Altes Gesetz aus Nazizeit gekippt
Was an amerikanischen Universitäten schon länger Tradition hat, ist in Deutschland noch ein Novum. Ein Gesetz aus Zeiten des NS-Regimes hatte die juristische Beratung von Nicht-Anwälten rund sieben Jahrzehnte lang verhindert. Einst sollten jüdische Juristen, die unter Hitler aus der Anwaltskammer entlassen wurden, an ihrer Berufausübung gehindert werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt die Anwaltschaft daran fest, um sich vor Konkurrenz zu schützen. Erst 2007 wurde das Gesetz durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt. Nun dürfen Studenten auch schon vor ihrem Examen in gewissem Maße beruflich tätig werden. Eine Vertretung vor dem Gericht ist allerdings nicht erlaubt.
Seit der Gesetzesänderung sind an 14 verschiedenen Universitäten in ganz Deutschland Law Clinics entstanden. So bietet die Hochschule Heidelberg eine Rechtsberatung für Existenzgründer an. Die Universität Hamburg hat sich auf Social Media spezialisiert. Die private Bucerius Law School in Hamburg hat ihren Schwerpunkt wiederum auf Sozial- und Ausländerrecht gelegt.
Das Wort Law Clinic hat sich bei den meisten Einrichtungen als fester Name etabliert. Er bezieht sich auf eine ganz andere Disziplin: die Medizin. In dem sogenannten Klinikum, das deutsche Wort für Clinic, lernen die angehenden Ärzte am lebenden Menschen und nicht mehr nur noch aus Büchern. Einen ähnlichen Praxisbezug wünschen sich auch die Erfinder der Law Clinics.
Ausbildung zum Hilfsanwalt
Das große Vorbild des Kölner Studenten Maximilian Oehl ist die Refugee Law Clinic in Gießen, eine der ersten Einrichtungen ihrer Art in Deutschland. Seit rund fünf Jahren bieten die Studenten dort Rechtsberatung für Flüchtlinge an. Neben Infoabenden, die von ehrenamtlichen Dolmetschern übersetzt werden, können sich die Flüchtlinge auch in einer Einzelberatung Hilfe holen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie sich das Asylverfahren in Deutschland gestaltet. Die Flüchtlinge bekommen die Möglichkeit eine Anhörung durchzuspielen und sich bei den Studenten ein Feedback zu möglichen Fallstricken abzuholen.
Bevor es los geht, müssen die angehenden Juristen jedoch eine Art Ausbildung durchlaufen. Denn Asyl- und Flüchtlingsrecht gehören in Gießen, wie an den meisten anderen deutschen Universitäten, nicht zum regulären Jura-Studium. Neben dem Besuch einer Vorlesung und einem Seminar zu Ausländer- und Asylrecht ist auch ein Praktikum bei einem Anwalt oder bei einer Nichtregierungsorganisation obligatorisch. Im vergangenen Semester besuchten rund 50 bis 60 Studenten die Veranstaltungen. Einige von ihnen kamen sogar extra aus den nahe gelegenen Städten wie Marburg, Frankfurt oder Karlsruhe angereist. In die Beratung stiegen schließlich etwa 15 Studenten ein.
Mehr Praxisbezug für die Ausbildung
Es ist vor allem der Praxisbezug, der die Law Clinics für Studenten so attraktiv macht, weiß Paul Tiedemann, Richter am Verwaltungsgericht Frankfurt und Honorarprofessor an der Universität Gießen. Er hat das Projekt damals ins Leben gerufen. Meist seien es Studenten der "gehobenen Leistungsklasse", die keine Angst davor hätten, sich neben dem lernintensiven Jura-Studium noch anderweitig zu engagieren, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Für manche ist die Arbeit in der Law Clinic auch Grund, überhaupt noch weiter zu studieren. "Ich persönlich kann aus der Arbeit sehr viel ziehen, weil ich vor eineinhalb Jahren sehr große Probleme mit meinem Studium hatte und mich oft nicht motivieren konnte, weil es ja oft sehr theoretisch ist", erzählt Hanns Nitsche, Student an der Universität Gießen. Der 22-Jährige ist schon seit zwei Jahren Mitglied der Gießener Law Clinic. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm der Fall eines jungen Afghanen, der von den Taliban mit dem Tode bedroht wurde. In Gießen wurde der junge Mann von Nitsche und seinen Kommilitonen zu seinen Rechten beraten.
Hohe Ideale
Neben dem Praxisbezug verbinden Studenten aber auch eine persönliche Geschichte mit der Law Clinic. "Diejenigen, die sich von diesem Programm angezogen fühlen, sind nach meiner Beobachtung Menschen, die selber einen Migrationshintergrund haben - wenn sie nicht sogar selber Flüchtlinge sind oder ihre Eltern Flüchtlinge waren", schätzt Tiedemann.
Für andere steht der Wunsch zu helfen im Vordergrund. Student Oehl, der bereits vor dem Studium einen Freiwilligendienst in Ghana geleistet hat, erzählt: "Es gibt natürlich viele Leute, die Jura studieren, weil das große Geld lockt. Aber es gibt genauso auch Leute, die eher aus idealistischer Motivation heraus Jura studieren, denen die Gerechtigkeit am Herzen liegt."