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Lautes Schweigen

Ronny Blaschke7. März 2014

Viele der 600 Athleten warten gespannt auf die Eröffnungsfeier der Paralympics in Sotschi an diesem Freitag. Wie wird ihr Vordenker Philip Craven dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gegenübertreten?

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Pudelmützen, davor die Paralympische Flamme. Foto: dpa-pa
Bild: picture-alliance/dpa

Verena Bentele sollte den Paralympics Glanz verleihen. Am Samstag (08.03.2014) sollte sie in Sotschi in die Hall of Fame des paralympischen Sports aufgenommen werden. Bentele, die bei Winter-Paralympics zwölf Goldmedaillen gewonnen hatte, wird nicht ans Schwarze Meer reisen. "Es ist ein ganz klar politisches Zeichen an Russland", sagte die neue Behindertenbeauftragte der Bundesregierung im ZDF-Morgenmagazin. Sie möchte gegen den militärischen Vorstoß Wladimir Putins auf der ukrainischen Halbinsel Krim protestieren.

In den vergangenen Tagen hat das Internationale Paralympische Komitee (IPC) fast stündlich Absagen erhalten. Die Eröffnung der elften Winter-Paralympics an diesem Freitag wird weitgehend ohne ranghohe Politiker, Prinzen und Prominente auskommen, zumindest ohne jene aus den demokratisch geführten Industrienationen. Dass Bentele und die Bundesregierung sich spät diesem Chor anschließen, hat den Deutschen Behindertensportverband nicht wirklich überrascht. "Das war eine politische Entscheidung, die auch meine persönliche Zustimmung findet", sagte Verbandspräsident Friedhelm Julius Beucher.

Die letzten Winterspiele für den Präsidenten

In den Bundestagsfraktionen löste Benteles Ankündigung eine Debatte darüber aus, was der Boykott bewirke. Doch auf dem Olympiagelände von Sotschi hielt sich die Aufregung in Grenzen. "Das ist enttäuschend", sagte Philip Craven, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC). "Es ist schade, dass die Regierung sich da einmischt." Worte wie diese hat Craven in den vergangenen Tagen immer wieder gebraucht, nachdem anfangs die USA und Großbritannien das Fernbleiben ihrer Minister angekündigt hatten - und ihnen im Laufe der Woche immer mehr Nationen folgten.

Philip Craven in Sotschi. Foto: dpa-pa
Philip Craven in SotschiBild: picture-alliance/dpa

Für Philip Craven werden es die letzten Winter-Paralympics als Präsident sein, nach drei Amtszeiten wird er 2017 ausscheiden. Gespannt warten viele der fast sechshundert Athleten in Sotschi auf die Eröffnungsfeier. Wie wird ihr Vordenker dem russischen Präsidenten gegenübertreten?

Initiative für Kriegsopfer

Bislang äußert sich das IPC sehr vage zur Militärintervention ihres Gastgebers. Stattdessen pflegen das Komitee, die nationalen Verbände und deren Sponsoren mit Pressemitteilungen ihren paralympischen Trott. Darin geht es um moderne Schlitten, hohe Fernsehquoten, soziale Medien der Sportler. Ein glaubwürdiges Zeichen der Solidarität für die dreißig Sportler aus der Ukraine, deren Angehörige sich wenige hundert Kilometer weiter vor einem Krieg fürchten, ist nicht zu vernehmen. Stattdessen hofft das IPC auf die "besten Winter-Paralympics aller Zeiten".

Philip Craven, 1973 Weltmeister im Rollstuhlbasketball, war 2001 beim IPC angetreten, um den paralympischen Sport global wachsen zu lassen. Einer seiner Lieblingssätze lautet: "Die Welt muss im 21. Jahrhundert zusammenrücken, und die Paralympics sind ein Weg, das zu bewirken." Der studierte Geograph kann auf sympathische Art vermitteln, wie behinderte Menschen durch Sport ihre Grenzen ausloten. Er hat vor zehn Jahren ein Positionspapier zum Thema Menschenrechte herausgebracht, in dem er gesellschaftliche Teilhabe fordert. Er hat in London die Agitos-Stiftung auf den Weg gebracht, das Wort Agito stammt aus dem Lateinischen: "Ich bewege mich". Das IPC möchte Kriegsversehrte und Terroropfer für Sport gewinnen, im Sudan, in Afghanistan oder Syrien.

Skilangläufer vor paralympischem Symbol. Foto: dpa-pa
Der IPC-Chef würde die Paralympics in Sotschi gerne auf den Sport reduzierenBild: picture-alliance/dpa

500.000 Tickets sind bereits verkauft

Was sind diese gesellschaftlichen Initiativen wert, wenn Craven die Paralympics nun auf Sport reduziert? In einem halbstündigen Interview Mitte Januar, vor dem Konflikt in der Ukraine, verteidigte er die Vergabe der Spiele an Sotschi. Im Quartier des IPC in Bonn sagte Craven: "Die westlichen Medien sollten einsehen, dass sie die Welt nicht nur aus ihrer Perspektive bewerten können. Sie sollten sich auf die Kultur anderer Länder einlassen. Auch wenn wir gegen politische Grundsätze sind: Wir müssen in diese Länder reisen und über heikle Themen sprechen." Damals wurde Putin für Enteignung, Korruption und Umweltschäden kritisiert. Inzwischen ist ein Vorstoß dazugekommen, den führende Industrienationen als Völkerrechtsverletzung bewerten.

Die Weltpolitik will der oberste Paralympier den Politikern überlassen, das waren seine Worte nach der Ankunft in Sotschi. Im positiven Sinne aber ist er gern politisch: "Die Paralympics können Barrieren überwinden." Seit Jahrzehnten leben behinderte Menschen im Schatten der russischen Gesellschaft. Das soll sich nun ändern, auch durch eine intensive Berichterstattung im Staatsfernsehen. Etwa 500.000 Tickets sollen für die Wettkämpfe schon verkauft worden sein, sagt das russische Regierungsmitglied Dmitri Kosak. Täglich werden Fakten über die neue Barrierefreiheit von Sotschi verbreitet. Gute Nachrichten für das IPC, findet Philip Craven. Und für Wladimir Putin.