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Kultur nach Plan?

Aya Bach22. Juni 2013

Deutschland wird oft um seine vielfältige Kulturszene beneidet. Die Politik versucht Kreativität zu fördern, bisweilen behindert sie diese aber auch. Es ist ein Balance-Akt zwischen Planung und Wildwuchs.

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Plan Karte FigurenBild: djama/Fotolia

Ein Juni-Nachmittag in Berlin. Touristen betrachten neugierig die bunten Kräne, die zwischen Alexanderplatz und Staatsoper in den grauen Himmel ragen. Gerade erst wurde hier der Grundstein gelegt zum Wiederaufbau des historischen Stadtschlosses. Hinter Repliken der früheren Barock-Fassaden soll es dereinst außereuropäische Kunst beherbergen. Ein hoch umstrittenes Projekt, das weit über Berlin hinaus die Bürger spaltete - in Schloss-Enthusiasten und Gegner. 2007 stimmte der Bundestag für den Wiederaufbau. Rund 590 Millionen Euro soll der Bau verschlingen.

An solchen Großprojekten ist leicht ablesbar, wie Kultur und Politik ineinandergreifen. Deutschland lässt sich seine Hochkultur vergleichsweise viel Geld kosten. Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur, rühmte sich kürzlich auf dem Kulturpolitischen Bundeskongress in Berlin, seinen Etat in acht Jahren um 21 Prozent erhöht zu haben. Das klingt gut, ist aber nur die halbe Wahrheit.

Kultur unter Sparzwang

Vor allem in kleineren Städten kämpfen Kulturschaffende und Bürger gegen Orchesterfusionen, Museums- und Theaterschließungen. Für Wolfgang Brauer, Kultursprecher der Berliner Linken, zeichnet sich gar ab, dass "die kulturelle Infrastruktur der Bundesrepublik gefährdet ist". Tatsächlich fließen nur 1,64 Prozent der gesamten öffentlichen Mittel aus Bund, Ländern und Kommunen in Kulturförderung. Sind mehr Privatinitiative und Bürgerbeteiligung gefragt?

Baustelle des Berliner Schlosses in Berlin (Foto: Hannibal/dpa)
Politikum ersten Ranges und Prestige-Projekt der Hochkultur: die Stadtschloss-Baustelle in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Biogemüse und Bildung

Zehn Fahrradminuten vom Schlossplatz entfernt: Berlin-Kreuzberg. Neben einem lärmenden Kreisverkehr liegt ein grünes Paradies: der Prinzessinnengarten. Ein paar Leute aus der Nachbarschaft werkeln mit Gießkannen und Hacken. In Hochbeeten wächst Gemüse, das hier auch verkauft wird. Das Gartencafé bietet heute selbstgemachte Robinien-Schorle an, eine offene Bibliothek lädt zum Schmökern ein. Bis 2009 war hier eine Brache. Nun haben Bürger ein Stück Stadt im wahrsten Wortsinn kultiviert. Eigenwillig, kreativ – und erfolgreich.

Doch jahrelang musste der Garten um seine Existenz kämpfen: Bei explodierenden Immobilienpreisen lockt jede freie Fläche Investoren. Erst vor kurzem haben Berliner Politiker erkannt, wie wertvoll der Garten ist – nicht zuletzt als Bildungseinrichtung: Die Workshops für Schüler sind ein echter Renner. Vorerst wurde nun die Privatisierung des Grundstücks gestoppt. Niemand aber weiß, ob der Konflikt zwischen Bürgerkultur von unten und Politik von oben endgültig ausgestanden ist.

Theater in Deutschland: weltweit einmalig

Von Subkultur im Kiez bis Hochkultur im Schloss: Kulturpolitik erstreckt sich in Deutschland auf eine weltweit ziemlich einmalige Vielfalt. Allen Schließungen zum Trotz ist die Theater- und Museumslandschaft noch immer so dicht wie nirgendwo sonst auf der Erde, selbst kleine und kleinste Städte haben ihre eigenen Bühnen. Das ist Glück und Herausforderung zugleich. Doch wie viel kreatives Chaos und welche politischen Eingriffe sind nötig, damit Kultur gedeiht?

"Politik hat nicht die Aufgabe, Kultur zu planen", sagt CDU-Kulturpolitikerin Monika Grütters, "vielmehr muss sie deren Freiheit sichern." Als erfolgreich hat sich die Förderung von Institutionen, nicht von einzelnen Künstlern erwiesen. Das sehen Kulturpolitiker anderer Parteien ähnlich. "Entscheidend ist es, kreative Milieus zu schaffen, um Entfaltungsmöglichkeiten vor Ort zu stärken", sagt Oliver Scheytt, Kulturbeauftragter im SPD-Wahlkampfteam. Das kann der Zuschuss für ein Off-Theater sein, die Umwandlung einer ehemaligen Fabrikhalle in eine Kultur-Spielstätte - oder auch nur die Entscheidung, Atelierhäuser nicht an Investoren zu verkaufen.

Tänzer im Opernhaus in Wuppertal (Foto: Rolf Vennenbernd dpa/lnw)
Weltberühmt: das Wuppertaler Pina-Bausch-Tanztheater (2009). Das Schauspielhaus der Stadt hingegen soll geschlossen werden.Bild: picture-alliance/dpa

Wirtschaftsfaktor Kreativbranche

Welche Sogwirkung kunstfreundliche Milieus haben können, zeigt sich besonders in der Kreativ-Hochburg Berlin, wo im Wochenrhythmus neue Galerien und Kulturprojekte entstehen. Ein Klima, das Künstler aus der ganzen Welt anzieht. Längst ist die gesamte deutsche Kreativbranche ein bedeutender Wirtschaftsfaktor: Ihre Bruttowertschöpfung liegt zwischen Finanz- und Energiewirtschaft (2010: 61,4 Mrd Euro). Und Kulturberufe boomen. Inzwischen arbeiten mehr als eine Million Menschen in Deutschland kreativ, vom Schauspieler bis zur Gamedesignerin.

Alles also bestens? Das Einkommen der Kreativen spricht eine andere Sprache: Im Schnitt rund 12.000 Euro im Jahr. "Die meisten verdienen so wenig, dass man sich fragt, wie sie überhaupt davon leben können", sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. "Trotz allem muss man feststellen, das sind Traumberufe. Immer mehr Menschen wollen sie erlernen. Alleine in den letzten 20 Jahren hat sich der Anteil der freiberuflichen Künstler in der Künstlersozialkasse verdreifacht."

Krankenversicherung als Kunstförderung

Künstler müssen in die Sozialkasse nur 50 Prozent einzahlen, die andere Hälfte übernehmen Staat und Unternehmen. Davon kann man in vielen Ländern nur träumen, weiß Bill Flood, der private Kulturinitiativen in den USA berät: "Kein Wunder, dass Künstler aus der ganzen Welt nach Deutschland kommen! Sie sagen, wow, wenn ich dort lebe, bin ich krankenversichert und kann meine Arbeit machen. Ich finde, darin drückt sich auch die Wertschätzung Deutschlands für die Künstler aus."

Der Prinzessinnengarten in Berlin (Foto: picture-alliance/dpa)
Kultivierte Brache: Engagierte Bürger haben den Prinzessinnengarten ins Leben gerufenBild: picture-alliance/dpa

Ein Kulturparadies ist Deutschland trotzdem nicht, zumindest nicht für all jene, die an den unbestritten vielfältigen Angeboten nicht teilhaben. Das Problem beginnt in den Schulen: Noch immer ist Bildungserfolg in Deutschland von sozialer Herkunft abhängig. Aber nicht nur die Bildungs-, auch die Kulturpolitik ist gefordert, sagt Oliver Scheytt: "Andere europäische Länder haben kulturelle Bildung ganz anders abgesichert. 80 Prozent dieser Länder haben Bibliotheksgesetze. Bei uns werden Stadtteilbibliotheken geschlossen! Man kürzt Anschaffungsetats, so dass Angebote unattraktiv werden, weil wir dieses System den finanzschwachen Kommunen überlassen. Da kann Deutschland als Kulturnation von anderen Ländern lernen!"

Vielleicht könnte auch mehr informelle Bildung helfen. "Der Weg über die Schule und das Muss ist vielleicht weniger klug als der Weg über das Quartier und die Straße", sagt Adrienne Goehler, ehemalige Berliner Kultursenatorin. "Wir brauchen Institutionen, die nicht sagen, wir bilden euch kulturell weiter, sondern die die Kids stärken im Tätigsein." Vielleicht braucht Berlin noch mehr Prinzessinnengärten und Kiezkultur, damit irgendwann auch Kinder aus rauen Stadtvierteln die Exponate im zukünftigen Berliner Schloss bewundern.