Krumme Dinger
Die Alltagssprache ist voller Sprichwörter, Redewendungen und Metaphern. So selbstverständlich sie sind, so wenig wird oft auf ihren korrekten Gebrauch geachtet. Entstellungen und kuriose Neuschöpfungen sind die Folge.
Redewendungen leben davon, dass sie einem ganz langsam in Fleisch und Blut übergehen in Fleisch und Blut über|gehen redensartlich für: selbstverständlich werden; zur Gewohnheit werden . Man lernt sie sozusagen nebenbei und meist unbemerkt, ebenso wie beispielsweise die Bedeutung und Anwendung der Worte „Tisch“, „Blume“ oder „Rasenmäher“. Wie der Sprachwissenschaftler Ludwig Wittgenstein sagt, wird die Bedeutung von Sprache, also von jedem Satz und jedem Wort, durch seinen beziehungsweise ihren Regelgebrauch bestimmt. Wir hören, in welchem Zusammenhang Worte und Sätze benutzt werden, verstehen so ihren Sinn und üben die Regeln ihrer Anwendung durch Hören und Sprechen ein.
Redewendungen sind präzise, werden aber oft verdreht
Sprichwörter und Redewendungen fassen meist einen komplexen Zusammenhang kurz, verständlich und oft bildhaft zusammen. Um die Bedeutungsebenen zu erklären, die zum Beispiel die Redewendung „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“ ausdrückt, braucht man mehrere Sätze: „Tu nichts Unüberlegtes in einer heiklen Situation“, „wirf niemandem etwas vor, was du selber tust“, „pass auf, dass sich durch dein Handeln deine Situation nicht verschlimmert“. Redewendungen helfen uns also, eine Sache mit wenigen Worten auf den Punkt zu bringen etwas auf den Punkt bringen redensartlich für: etwas treffend formulieren; etwas zusammenfassen .
Die meisten Redewendungen haben sich über einen langen Zeitraum entwickelt, oft über Jahrhunderte. Ihren Ursprung kennen die wenigsten. So entstehen sprachliche Gebilde, die wir immer wieder selbstverständlich benutzen. Worauf wir aber wenig achten, sind die einzelnen Worte, deren Zusammenhang und korrekte Aussprache. So entstehen im Alltagsgespräch ständig Fehler und sprachliche Neuschöpfungen Neuschöpfung, -en (f.) hier: die Erfindung eines neuen Wortes . Da aber den meisten die Bedeutung der jeweiligen Wendung im Großen und Ganzen klar ist, klappt die Verständigung trotzdem.
Amüsante und kuriose „krumme Dinger“
Die Entstellung Entstellung,- en (f.) hier: die falsche Verwendung von etwas von Redewendungen und Metaphern ist so häufig, dass es ganze Bücher und zahlreiche Internet-Portale gibt, die die kuriosesten und lustigsten Versprecher sammeln und erklären. Oftmals reicht es, einen Buchstaben oder ein Wort zu vertauschen, um Redewendungen oder alltäglichen Wendungen einen kuriosen kurios seltsam; merkwürdig; sonderbar Charakter zu verleihen. „Jemanden auf dem kalten Fuß zu erwischen“ und der Ausruf: „Die haben ja gastronomische Preise hier!“ sind ebenso witzig wie gezielte sprachliche Verdrehungen im Kabarett. Man soll „keine schlafenden Hühner wecken“ wirkt amüsant, weil Hühner ja nicht so gefährlich sind wie „geweckte Hunde“.
Die häufigste Entstellung verbindet Elemente aus zwei Redewendungen miteinander und verfälscht so den ursprünglichen Ausspruch: „Da liegt der Hase im Pfeffer begraben“ erkennt der Sprachkundige als Vermischung aus „da liegt der Hase im Pfeffer“ und „da liegt der Hund begraben“. Beides drückt aus: Das ist die wahre Ursache und Quelle des Übels.
Sinnfreie, groteske Ergebnisse mit Unterhaltungswert
Auch den Spruch „Schwamm beiseite!“ gibt es so nicht. Wohl aber den Ausdruck „Scherz beiseite!“, um deutlich zu machen, dass man nach einigem Plaudern mit scherzhaftem Ton jetzt zum ernsthaften Kern des Gesprächs kommen möchte. Mit dem Ausdruck „Schwamm drüber!“ zeigt man dem Gegenüber, dass man über seine Fehler oder einen Streit hinwegsehen will. Es soll weitergehen, ohne die Belastung der Vergangenheit. Beides zusammen als „Schwamm beiseite!“ ergibt ein groteskes grotesk absonderlich; absurd; lächerlich Ergebnis ohne Sinn.
Gar nicht selten wird aus der Redewendung „etwas aufs Tapet“, also „zur Sprache bringen“, die Umformung „etwas aufs Trapez Trapez, -e (n.) ein Turngerät, das aus zwei gleich langen Seilen und einer Querstange besteht; auch: Viereck mit zwei parallelen Seiten bringen“, weil viele den altertümlichen Ausdruck „Tapet“ für „Tapete“ beziehungsweise „Tischdecke“ nicht kennen und ihn deshalb mit etwas ersetzen, das sie zumindest als Begriff kennen – auch wenn das Ganze zunächst mal keinen Sinn ergibt. Der Witz der Verwechslung lebt natürlich auch davon, dass man sich ein wenig über die Unkenntnis der Person lustig macht, die den Versprecher konstruiert hat.
Seltsamer Mischmasch: vierte Räder, gemischte Würfel …
Ebenso witzig, weil grotesk, wirken die Konstruktionen „das vierte Rad am Wagen“ und „die Würfel werden neu gemischt“. Würfel kann man nicht mischen; die ursprüngliche Wendung lautet „die Karten werden neu gemischt“, um auszudrücken, dass sich die Bedingungen einer Situation verändert haben. Das kann bedeuten, dass bei einem Geschäft oder einer Absprache nun neu verhandelt werden muss. Die Redewendung „das fünfte Rad am Wagen sein“ drückt aus, dass ein Mensch sich nicht wertgeschätzt sieht. Autos brauchen vier Räder, ein fünftes ist überflüssig. Und so fühlt sich der Mensch – wie das überflüssige Rad – nicht ausreichend gesehen und berücksichtigt.
Zuweilen ist auch die falsche Formulierung zu hören, man solle Entscheidungen „nicht über den Zaun brechen“. Eine Mischung aus den Wendungen „einen Streit vom Zaun brechen“, was bedeutet, einen Streit zu provozieren – und – Entscheidungen „nicht übers Knie brechen“, ein Rat, sich nicht vorschnell für oder gegen etwas zu entscheiden. Nicht weniger kurios wirkt die Konstruktion „das Geld mit offenen Armen ausgeben“. Auch hier wird wieder falsch vermischt: „das Geld mit vollen Händen ausgeben“, also unvorsichtig sein Geld ausgeben und verschwenden und „jemanden mit offenen Armen empfangen“, was bedeutet, einen Menschen freundlich und offenherzig zu begrüßen.
Wir verstehen uns trotzdem
Wie gesagt: Solche Versprecher gehören – genauso wie die richtigen Redewendungen und Wendungen selber – zum sprachlichen Alltag. Wir wünschen allen – nicht nur Sprachinteressierten –, dass sie immer die richtigen Worte finden und empfehlen, gnädig zu sein gegenüber den anderen, die Fehler machen. Sich also einfach sagen: Schwamm beiseite! Wir verstehen uns auch so.
Krumme Dinger
in Fleisch und Blut über|gehen — redensartlich für: selbstverständlich werden; zur Gewohnheit werden
etwas auf den Punkt bringen — redensartlich für: etwas treffend formulieren; etwas zusammenfassen
Neuschöpfung, -en (f.) — hier: die Erfindung eines neuen Wortes
Entstellung,- en (f.) — hier: die falsche Verwendung von etwas
kurios — seltsam; merkwürdig; sonderbar
grotesk — absonderlich; absurd; lächerlich
Trapez, -e (n.) — ein Turngerät, das aus zwei gleich langen Seilen und einer Querstange besteht; auch: Viereck mit zwei parallelen Seiten