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Krisenherd Turkmenistan

Kerstin Winter12. November 2004

Turkmenistan spielt weiterhin eine eigenwillige Rolle in Zentralasien - und entwickelt sich immer mehr zum politischen Pulverfass mit guten Kontakten zu El-Kaida.

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Marmorpaläste trotz MassenverarmungBild: dpa

Mehr als ein Jahrzehnt nach ihrer Unabhängigkeit sind die zentralasiatischen Staaten auf einem eigenen Weg zu politischer und wirtschaftlicher Entwicklung. Während die meisten zumindest teilweise in die internationale Gemeinschaft integriert sind, sticht ein Land in jeglicher Hinsicht als Ausnahme hervor: die abgelegene ehemalige Sowjetrepublik Turkmenistan, an der Ostküste des Kaspischen Meeres.

Absolute Kontrolle

Die Isolation Turkmenistan wurde durch die zunehmend autoritäre und eigenwillige Politik von Präsident Saparmurat Nijasow herbeigeführt, der seit der Unabhängigkeit 1991 das Land regiert. Politische Ambitionen der turkmenischen Intellektuellen-Gruppe Agzybirlik endeten mit dem Verbot aller Parteien bis auf die kommunistische, die in "Demokratische Partei Turkmenistans" umbenannt wurde. 1992 wurde Nijasow angeblich mit 99,5 Prozent wiedergewählt - kein anderer kandidierte. Das Parlament wurde entmachtet und durch den Halq Maslahaty (Volksrat) ersetzt, der Nijasow eine bessere Kontrolle über seine Mitarbeiter gewährt.

Vor wenigen Tagen entließ er sämtliche Regierungsmitarbeiter, die er für die wiederholt schlechte Baumwollernte verantwortlich macht. Michael Hall, Analyst für Zentralasien der International Crisis Group (ICG), sagt, dass Entlassungen zur Erntezeit inzwischen zum Ritual geworden sind: "Nijasow macht immer andere für die Misere im Land verantwortlich. Er stellt weder Geld noch Ausrüstung zur Verfügung und erwartet dennoch Höchstleistungen." Sein despotischer Regierungsstil und der ständige Personalwechsel haben den Staat geschwächt. Ausländische und private Firmen sind längst aus dem Land verschwunden, vertrieben von regierungsnahen Firmen.

Gesellschaft zerfällt

Nijasow selbst nennt sich Turkmenbashi, Vater aller Turkmenen. Er hat einen Personenkult kreiert, der dem Saddam Husseins gleich kommt. Doch die Bevölkerung leidet und die Gesellschaft zerfällt. Armut und Arbeitslosigkeit haben ein Rekordlevel erreicht. Dennoch sind überall in der Hauptstadt Ashgabat grandiose Marmorgebäude zu sehen, bezahlt durch Erträge der Gas- und Ölförderung. Das Land hat die fünftgrößten Öl- und Gasvorkommen der Welt, die Kontrolle über die Einkünfte hat allein der Präsident.

Auch der Kollaps des Bildungs- und Gesundheitswesens hat die Lebensbedingungen drastisch verschlechtert. Reguläre Schulbildung wurde durch Nijasows eigene spirituelle Lehre ersetzt, der Ruhnama, die den Koran für die überwiegend muslimische Bevölkerung ersetzten soll. Der Internetzugang ist stark eingeschränkt und es gibt keine Pressefreiheit. Die Religionsfreiheit wurde vor einem Jahr komplett abgeschafft: Bis auf den sunnitischen Islam und die russisch-orthodoxe Kirche sind alle Religionsgruppen verboten. Minderheiten wie die Usbeken, die zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, werden diskriminiert, was wiederum zu Spannungen mit dem Nachbarland Usbekistan führt.

Es fehlt eine zukunftsfähige Alternative

Die repressive Regierung biete endlose Möglichkeiten für kriminelle Aktivitäten, besonders Korruption ist weit verbreitet. Turkmenistan ist ein Transitstaat im Drogenschmuggel - mit Duldung der Regierung. Laut UNO-Angaben hat Nijasow zudem enge Verbindungen mit den Taliban in Afghanistan. El-Kaida-Kämpfern aus Afghanistan half er über seine Grenze zu fliehen. Ein weiterer Verfall des Staates steigert das Risiko, dass Turkmenistan eine ernsthafte Bedrohung für die regionale und internationale Sicherheit wird.

Saparmurad Niyazov
Despot: Präsident NijasowBild: AP

Obwohl die meisten Oppositionellen im Exil leben, könnten die Widerstands-Kräfte innerhalb des Landes einen Regimewechsel herbeiführen - vor allem der Geheimdienst und Armee Offiziere, die das System nicht mehr unterstützen wollen. Ein gewaltsamer Umsturz könnte jedoch die ganze unsichere Region erschüttern, Afghanistan eingeschlossen, sagt Michael Hall: "Man darf Turkmenistan als Krisenherd nicht unterschätzen. Es gibt momentan einfach keine positive oder zukunftsfähige Alternative zu Nijasow."