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Krisen und Chancen

1. August 2011

Die vergangene Dekade stand im Zeichen des Aufstiegs der großen Schwellenländer. Die alte Nord-Süd-Spaltung löst sich auf, meint Gastautor Dirk Messner. Eine Analyse der Lage in Afrika.

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Prof. Dr. Dirk Messner, Direktor Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (Foto: dpa)
Dirk MessnerBild: picture-alliance/ dpa

Die globale Landkarte der Armut hat sich signifikant verändert. 1990 lebten gut 90 Prozent der Menschen, die als absolut arm bezeichnet werden und mit einem Einkommen von weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen müssen, zugleich in den ärmsten Ländern der Welt. Heute leben demgegenüber 60 Prozent der ärmsten Menschen (etwa 600 Millionen) in Mitteleinkommensländern wie China, Indien und Vietnam. Dies ist eine gute Nachricht, denn die Chancen, die absolute Armut weiter zu reduzieren, sind in China, Indien oder Vietnam größer als im Sudan oder in Somalia. 300 Millionen Arme leben in schwachen oder scheiternden Staaten und Konfliktländern wie Afghanistan, dem Kongo, Zimbabwe oder auch Pakistan. Von den etwa 30 Ländern, die die auf Armutsreduzierung konzentrierten Millenniumentwicklungsziele bis 2015 weit verfehlen werden, sind über 20 Länder durch Staatenzerfall und gewalttätige Konflikte charakterisiert - die meisten dieser Staaten liegen in Afrika. Unsicherheit, Gewalt, schlechte Regierungsführung und Staatenzerfall verdichten sich zum harten Kern des Teufelskreislaufs der Armut. Nur noch 120 Millionen absolut arme Menschen leben in stabilen Niedrigeinkommensländern (Low Income Countries).

Risiken und Chancen

Das Bild unseres Nachbarkontinentes Afrika ist in der Öffentlichkeit nicht erst seit der aktuellen Hungersnot in Ostafrika geprägt durch Elend und wirtschaftliche Rückständigkeit, Konflikte, Korruption und schlechte Regierungsführung. Die beachtliche Zahl der fragilen Staaten in Afrika stärkt dieses Afrika-Bild. Doch es sieht so aus, als wenn eine wachsende Gruppe afrikanischer Staaten die Teufelskreisläufe der Armut überwinden könnte. In den letzten Jahren hat eine Gruppe von gut 15 Ländern Subsahara-Afrikas bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Eine McKinsey-Studie spricht gar von den "Lions on the Move". Länder wie Botswana, Äthiopien, Mali, Mauritius, Mozambique, Ruanda, Tansania, Uganda, Sierra Leone und Cap Verde konnten in der vergangenen Dekade das Bruttosozialprodukt pro Kopf um jährlich etwa vier Prozent steigern. Auch in Togo, Benin, Ghana und Burkina Faso konnte die Armut signifikant reduziert werden. Diese Länder sind auch während der Weltwirtschaftskrise der vergangenen drei Jahre erstaunlich robust gewachsen.

Mehr Demokratie, weniger Konflikte

Was ist passiert? Zunächst ist die Zahl der Demokratien in Subsahara-Afrika seit 1989 von drei auf 23 gestiegen. Zugleich hat die Zahl der Konflikte abgenommen. Sukzessive verbessert sich in den afrikanischen Wachstumsländern die Regierungsführung. Auch die Wirtschaftspolitiken haben sich im Verlauf der vergangenen Jahre stabilisiert. Die Inflation ist flächendeckend gesunken, öffentliche Haushalte wurden saniert, Handelsbilanzdefizite abgebaut. Zwischen 2000 und 2010 konnten alle afrikanischen Staaten, mit Ausnahme Simbabwes, ihren Human Development Index steigern - wenn auch von sehr niedrigem Niveau aus. In diesem Prozess sind auch neue Akteure entstanden: Moderne Politiker, die nicht mehr durch die Logik des Kalten Krieges geprägt sind; aufmerksamere Zivilgesellschaften, die auch von den neuen Kommunikationstechnologien profitieren können, wie sich gerade in Nordafrika zeigt; dynamische Unternehmen, die Entwicklungsmöglichkeiten in der Weltwirtschaft nutzen.

Wachsende Nachfrage nach Rohstoffen

Die Dynamik in der Gruppe der wachsenden afrikanischen Ökonomien hat jedoch auch mit Veränderungen in der Weltwirtschaft zu tun. Das Wachstum in Asien verstärkt die Nachfrage nach Rohstoffen, Energie sowie Land für die Nahrungsmittelproduktion der Zukunft. In diesem Kontext hat das ressourcenreiche Afrika an Bedeutung gewonnen. Die afrikanischen Exporte nach China explodieren, chinesische Direktinvestitionen in Afrika steigen stark an. Die sich abzeichnenden Ressourcenengpässe in einer wachsenden Weltwirtschaft sowie das steigende Interesse der Schwellenländer an Afrika haben den Kontinent auch für Europa wieder interessant gemacht.

Ist das Wachstum der afrikanischen "Löwenökonomien" nachhaltig? Einige der skizzierten Basistrends stimmen optimistisch. Es bestehen also Chancen, dass eine ganze Ländergruppe nachhaltige Wege aus der Armut findet. Hiervon könnte ein wichtiger Impuls für eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung in Afrika insgesamt ausgehen. Zugleich basiert das Wachstum bisher vor allem auf landwirtschaftlicher Produktion, mit noch immer niedriger Produktivität, sowie auf Rohstoffexporten (vor allem Richtung Asien), die immer ein großes Potenzial für Rückschläge bedeuten: Umweltdegradierung, Konflikte um den Zugang zu den Ressourcen und Korruption könnten die Entwicklungserfolge der vergangenen Dekade wieder zunichtemachen.

Was kann die Entwicklungspolitik tun?

Die Erfahrung der vergangenen Dekaden lehrt, dass Entwicklungspolitik dann besonders wirksam sein kann, wenn sie mit Ländern verfolgt wird, in denen eigenständige Modernisierungsprozesse in Gang kommen. Diese Voraussetzung ist nun in einer Reihe von Staaten in Subsahara-Afrika gegeben. Es würde daher Sinn machen, eine entwicklungspolitische Kraftanstrengung zu unternehmen, um chancenreiche afrikanische Länder zu unterstützen und die Risiken des Scheiterns zu reduzieren. Kooperationsangebote sollten vor allem darauf abzielen, die Nutzung der Potenziale privatwirtschaftlicher Entwicklung zu stärken und die Versorgung mit öffentlichen Gütern wie Bildung und Gesundheit zu verbessern.

Um die Abhängigkeit von Ressourcenexporten mit geringen Beschäftigungswirkungen zu verringern, sollte die deutsche und europäische Entwicklungspolitik vor allem die wirtschaftliche Diversifizierung und die Erhöhung der lokalen Wertschöpfung fördern. Berufsausbildung, die Stärkung lokaler Technologie- und Innovationskapazitäten, der Ausbau moderner und klimaverträglicher Energiesysteme, die Verbesserung der öffentlichen Institutionen sowie die Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen wären Ansätze in diese Richtung. Zugleich sollten Anstrengungen unternommen werden, um die landwirtschaftlichen Potenziale der afrikanischen Länder zu stärken und auf Transparenz und Nachhaltigkeit ausgerichtete Ressourcenstrategien zu unterstützen. Es besteht eine realistische Chance, dass eine signifikante Gruppe afrikanischer Länder die Armutsfallen im Laufe der kommenden Dekade überwinden könnte. Mehr Sicherheit und Stabilität, sinkende Armut, weniger Migration, eine Reduzierung der Konfliktpotenziale um knapper werdende Ressourcen und wachsende Märkte wären der Lohn für eine gelungene Entwicklungskooperation mit "emerging Africa".

Autor: Prof. Dr. Dirk Messner, Direktor, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)
Bearbeitung: Henrik Böhme