1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Russland Armee Kriminalität

Maria Rüttinger, Markian Ostaptschuk16. August 2012

Die russischen Behörden ziehen eine düstere Bilanz: Die Kriminalität in der Armee hat im ersten Halbjahr 2012 drastisch zugenommen. Menschenrechtler schlagen Alarm und fordern eine Berufsarmee.

https://p.dw.com/p/15qqu
Ein Soldat auf dem Roten Platz in Moskau (Foto: Moreno Novello / Fotolia.com)
Ein Soldat auf dem Roten Platz in MoskauBild: Fotolia/Moreno Novello

In der russischen Armee flossen im ersten Halbjahr 2012 doppelt so häufig Schmiergelder wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Anzahl der Morde stieg um mehr als die Hälfte und der Drogenhandel nahm um mehr als ein Viertel zu. Gleichzeitig verringerten sich die Fälle von Misshandlungen um ein Drittel. Ohne genaue Zahlen zu nennen, machte der russische Militärstaatsanwalt Sergej Fridinski diese Angaben in seinem Bericht an die Generalstaatsanwaltschaft des Landes.

Knapp ein Drittel des Personals der schätzungsweise eine Million Mann starken russischen Streitkräfte besteht heute aus Wehrpflichtigen. Früher mussten auch sie in internen Kriegseinsätzen dienen. So starben tausende schlecht ausgebildete und ineffektiv eingesetzte Wehrpflichtige in den beiden Tschetschenien-Kriegen. Heute werden in Krisengebiete wie den Kaukasus nur noch Berufs- und Zeitsoldaten geschickt, wohl auch aufgrund von Protesten aus der Bevölkerung. So organisierte sich ein "Soldatenmütter-Komitee", das die oft unerträglichen Dienstbedingungen für Rekruten anprangert. In Russland gilt eine allgemeine Wehrpflicht. Die Dienstdauer beträgt zwölf Monate. Die Bürger versuchen, eine Einberufung möglichst zu umgehen, auch durch Korruption. Schätzungen zufolge leistet gegenwärtig nur ein Drittel der Angehörigen eines Rekrutenjahrgangs den Wehrdienst ab.

Eine Demo von russischen "Soldatenmüttern" 1996 (Foto: dpa)
Russlands "Soldatenmütter" beklagen seit langem Todesfälle in der ArmeeBild: picture-alliance/dpa

Gewalt hat oft wirtschaftliche Motive

Ella Poljakowa, Vorsitzende des St. Petersburger Ortsverbandes der russischen Menschenrechtsorganisation "Soldatenmütter", überraschen die von Militärstaatsanwalt Sergej Fridinski genannten Zahlen nicht. Die Kriminalitäts-Statistik entspreche dem, womit sie gerechnet habe: "Seit langem beklagen wir, dass die Zustände in der Armee ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind", betonte Poljakowa im Gespräch mit der Deutschen Welle. Nach wie vor flössen Bestechungsgelder beim Einberufungsverfahren an Entscheidungsträger. Auch innerhalb der Truppen würden Korruption und Gewalt gedeihen. Weit verbreitet sei Erpressung um Bankkarten und Geld von Soldaten und deren Familien. Begleitet werde dies oft mit Folter und Schlägen.

Sergej Kriwenko, Leiter der russischen Menschenrechtsorganisation "Bürger. Armee. Recht", weist darauf hin, dass sich die Motive für Gewalt in der Armee verändert hätten. "Früher diente die Gewalt eher dazu, um Ordnung in der Truppe herzustellen", so der Menschenrechtsaktivist. Heute aber werde eher aus wirtschaftlichen Motiven heraus Gewalt angewandt. "Man versucht so, an das Geld der Jungs zu kommen", so Kriwenko. Es seien sogar Fälle bekannt, wo Soldaten sich gewehrt hätten und deshalb getötet worden seien.

Soldaten als billige Arbeitskräfte

Junge Männer im wehrfähigen Alter, so Poljakowa von den Petersburger "Soldatenmüttern", würden zudem von vielen Militärs in erster Linie als kostenlose Arbeitskräfte für illegale Nebenerwerbe betrachtet. "Beispielsweise organisieren Offiziere in ihrer Militäreinheit eine Schweinefarm. Und Soldaten werden dann gezwungen, die Schweine zu züchten und später zu schlachten", so Poljakowa.

Ella Poljakova, Vorsitzende der Organisation "Soldatenmütter von St.Petersburg". (Foto: DW)
Ella Poljakowa leitet den Verband der "Soldatenmütter" in St. PetersburgBild: DW

Versucht werde auch, in Kasernen Drogenhandel zu betreiben. "Wenn ein Soldat nicht mitmacht und eine Straftat verdeckt werden soll, ist sein Leben in Gefahr", berichtet die Menschenrechtlerin. Dass innerhalb der Armee mit Drogen gehandelt wird, bestätigt auch Kriwenko. Den zunehmenden Drogenkonsum unter Soldaten und Wehrpflichtigen führt er auf Kriminalität, Korruption und einen totalen Mangel an Disziplin in der Armee zurück.

Hoffnung auf Reform der Streitkräfte

Kriwenko ist überzeugt, dass nur die Schaffung einer Berufsarmee eine Verbesserung der Lage herbeiführen kann. "Ein Berufssoldat hat einen völlig anderen rechtlichen Status, er ist ein echter Soldat, er verfügt über Rechte und hat Pflichten. Er geht in die Armee wie zu einem Arbeitsplatz", betont der Menschenrechtsaktivist.

Poljakowa stimmt ihrem Kollegen zu. Sie ist der Meinung, dass die russische Gesellschaft die Armee in ihrem gegenwärtigen Zustand nicht gebrauchen kann. "Auf diese Armee müssen wir ein Moratorium verhängen. Wenn die Gesellschaft aber der Überzeugung ist, sie brauche eine Armee, dann muss sie auf einer völlig neuen Basis geschaffen werden", so die Menschenrechtlerin.