Kosmos Pfarrhaus
Offen und vorbildlich für die Gemeinde soll es sein, eine Art "Heilige Familie" im Kleinen: Das evangelische Pfarrhaus geht auf Martin Luther zurück und ist Thema einer Ausstellung in Berlin. Ein antiquiertes Ideal?
Mikrokosmos Pfarrhaus
Offen und vorbildlich für die Gemeinde soll es sein, eine Art "Heilige Familie" im Kleinen: Das evangelische Pfarrhaus geht auf Martin Luther zurück und ist Thema einer Ausstellung in Berlin. Wir blicken hinter die Kulissen heutiger Pfarrhäuser: Ist die von Martin Luther inspirierte Institution ein antiquiertes Ideal?
Verbindung von Dienst und Privatem
Ein Eingang - zwei Bereiche: Evangelische Pfarrhäuser haben ihren offenen Charakter bewahrt. Die Diensträume des Pfarrers befinden sich neben dem Wohnbereich, sind aber meistens architektonisch abgetrennt, hier sogar links deutlich von außen sichtbar. Vorgeschrieben sind ein Empfangsraum, ein Arbeitszimmer und ein Gäste-WC. Pfarrhäuser sind mit 160 bis 170 Quadratmetern großzügig geschnitten.
Offenes Haus
"Das Pfarrersein in der Gemeinde ist meine Lebensform", sagt Siegfried Eckert aus Bonn. Wer ein Gespräch mit ihm sucht, muss sich nicht an Öffnungszeiten eines Pfarrbüros halten, sondern kann beim Pfarrhaus zu jeder Tages- und Nachtzeit klingeln . "Mir macht es Freude, wenn ich einfach sagen kann: Kommen Sie herein!" Eine Trennung zwischen Arbeit und Privatleben gibt es für ihn nicht.
Hoher ethischer Anspruch
Der Pfarrer soll Vorbild sein: Ein Anspruch, den er nicht nur in ausgefeilten Sonntagspredigten vertreten kann, sondern auch im Privatleben vorleben muss. "Es genügt heute nicht mehr zu sagen: Ich bin der Pfarrer", so Siegfried Eckert. Dass auch seine fünfköpfige Familie im Rampenlicht der Gemeinde steht, sieht er gelassen: Niemand werde genötigt etwas vorzuspielen, was er nicht ist, sagt er.
Familie als Vorbild
"Es ist natürlich nicht alles öffentlich", sagt Joachim Gerhardt (2. v. r.), der in einer Nachbarpfarrei von Siegfried Eckert tätig ist. Dennoch könne in einem offenen Pfarrhaus jeder sehen, "wie ich mit meinen Kindern umgehe, wie ich meine Ehe pflege und was es konkret bedeutet, als Christ zu leben." Zu einem harmonischen Miteinander gehören für ihn auch Spieleabende mit der Familie.
Haus voller Musik
Auch das gehört zum evangelischen Pfarrhauskonzept: Die 12-jährige Luisa Gerhardt und ihre 9-jährige Schwester Amelie haben schon früh begonnen, Musikinstrumente zu spielen, und sind im Kirchenchor aktiv. "Pfarrhäuser sind traditionell Träger der Kultur", sagt ihr Vater.
Reich der Bücher
Obligatorisch ist auch eine Bibliothek im Wohnzimmer. Die Bücherwand füllen nicht nur religiöse Werke, sondern natürlich auch weltliche Literatur. Das private Wohnzimmer ist bei Pfarrer Joachim Gerhardt ein halböffentlicher Raum. Denn das Dienstzimmer ist für Bibelabende, Gesprächskreise oder Sitzungen des Kirchengemeinderats einfach zu klein.
Höchste Staatsämter
Ostdeutschen evangelischen Pfarrhäusern entstammen zwei der wichtigsten Politiker des Landes: Bundespräsident Joachim Gauck (l.) war jahrelang als Pfarrer tätig und engagierte sich als solcher auch in der Protestbewegung gegen das DDR-Regime. Bundeskanzlerin Angela Merkel (r.) wuchs - ebenfalls in der DDR - als Tochter eines evangelischen Pfarrers auf.
"Gott ist tot"
Ausgerechnet ein evangelischer Pfarrersohn stürzte die Kirche vor mehr als 100 Jahren in eine tiefe Krise: Der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900) distanzierte sich scharf vom Absolutheitsanspruch monotheistischer Religionen. Er habe "mit einer Schonungslosigkeit das Christentum und auch den Pfarrstand kritisiert, wie kaum einer vor ihm", sagt Thomas Seidel von der Martin Luther Stiftung.
Aus dem Pfarrhaus in den Untergrund
Noch eine Schreckgestalt, die der evangelischen Modellinstitution entstammt: Als die linksterroristische Rote Armee Fraktion in den 1970er Jahren politische Morde und Anschläge in Deutschland verübte, stand die Pfarrerstochter Gudrun Ensslin in der ersten Reihe. Bei ihr zeige sich "politischer Pietismus gepaart mit missionarischem Eifer", meint Thomas Seidel. "Gott sei Dank ein Ausnahmefall."
Wurzeln bei Luther
Das evangelische Pfarrhaus geht auf den Reformator Martin Luther (1483-1546) zurück: Die Ideale - Glaube, Bildung und Kultur - übernahm der einstige Mönch aus dem Kloster. Als er 1525 die Nonne Katharina von Bora heiratete, gründete er mit ihr das erste Pfarrhaus in Kemberg/Sachsen-Anhalt. Sechs Kinder gingen aus der Ehe hervor.
Pfarrhaus im Wandel
Über die Jahrhunderte ist das Grundmodell erhalten geblieben, auch wenn sich das Pfarrhaus an neue Lebenswirklichkeiten anpasst - gerade in den vergangenen Jahrzehnten: Mancherorts sind beide Ehepartner als Pfarrer tätig. Andere leben allein. Es gibt inzwischen auch einige Geistliche, die in einer homosexuellen Lebenspartnerschaft im Pfarrhaus leben, was nicht immer ohne Kritik bleibt.
"Leben nach Luther"
Unter diesem Titel läuft im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine Ausstellung über die Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses. Bis Anfang März sind dort Porträts aus fünf Jahrhunderten, Alltagsgegenstände und Amtstrachten zu sehen, die den Wandel des "Kosmos Pfarrhaus" zeigen.
Offen und vorbildlich für die Gemeinde soll es sein, eine Art "Heilige Familie" im Kleinen: Das evangelische Pfarrhaus geht auf Martin Luther zurück und ist zur Zeit Thema einer Ausstellung in Berlin. Wir blicken hinter die Kulissen heutiger Pfarrhäuser: Ist die von Martin Luther inspirierte Institution ein antiquiertes Ideal?