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Kordon: "Kinder lesen anders als Erwachsene"

Silke Bartlick21. September 2013

Geschichten über die Geschichte - keiner erzählt sie so einfühlsam und realistisch wie Klaus Kordon. Er zählt zu den wichtigsten Kinderbuchautoren Deutschlands. Ein DW-Interview zu seinem 70. Geburtstag.

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Schriftsteller Klaus Kordon Copyright: imago/Joachim Schulz
Bild: imago/Joachim Schulz

Der Vater blieb im Krieg, die Mutter starb 1956. Klaus Kordon, Jahrgang 1943, kam ins Jugendheim. Er wuchs in Ost-Berlin auf, wollte aus der DDR flüchten, aber landete im Stasi-Gefängnis. Nach der Haft übersiedelte er in die Bundesrepublik und lebte mit Frau und zwei Kindern zunächst in der Nähe von Frankfurt. Seit 1980 ist Klaus Kordon freiberuflicher Schriftsteller. Er gilt als einer der wichtigsten Kinder- und Jugendbuchautoren Deutschlands. Seine Bücher wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und mit renommierten Preisen ausgezeichnet. Heute lebt Klaus Kordon wieder in Berlin. Am 21. September 2013 feiert er seinen 70. Geburtstag.

DW: Herr Kordon, Sie werden in diesen Tagen 70 Jahre alt. Wie viel Ruhestand gönnen Sie sich denn mittlerweile?

Klaus Kordon: Eigentlich gar keinen. Denn was soll ich machen den ganzen Tag? Ich kann mich nicht hinsetzen morgens, Zeitung lesen und dann spazieren und ins Café gehen oder so. Also, ich möchte schon noch ein bisschen was tun, mein Gehirn arbeiten lassen, meine Fantasie nicht ganz einschlafen lassen. Ich werde wahrscheinlich so lange schreiben, wie es noch irgendwie geht.

Sie haben Volkswirtschaft studiert, waren mal Transportarbeiter. Das deutet nicht unbedingt auf eine so erfolgreiche Karriere als Kinder- und Jugendbuchautor hin. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Eigentlich wollte ich immer schon schreiben. Aber ich hab mir das nicht zugetraut und nicht gedacht, dass ich das könnte. Ich hatte einen solchen Respekt vor Autoren. Aber wenn man sich ausdrücken möchte, gerne mit Sprache umgehen möchte, macht man es irgendwann. Ich konnte natürlich nicht gleich von der Schule abgehen und sagen, ich werde jetzt Autor. Man macht also verschiedene Berufe, aber nebenbei schreibt man. Und dann in den 70er Jahren habe ich ernsthaft ein Büchlein geschrieben. Das war dann relativ erfolgreich, und dann hat man Blut geleckt und gesagt, jetzt versuchst du noch eins. Und irgendwann hat man gemerkt, das ist das, was du wirklich willst. Das Wort Beruf kommt ja von Berufung, und zum Kaufmann, glaub ich, war ich nicht berufen, aber zum Schreiben ja.

Bücher von Klaus Kordon. Bild: DW/S. Bartlick
Kinderbuchklassiker von Klaus KordonBild: DW/S. Bartlick

Sie sind als Exportkaufmann durch die Welt gekommen, einige der Bücher, die Sie geschrieben haben, spielen auch in fernen Ländern. Ihr eigentliches Thema aber ist die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Wie ist dieses Thema zu Ihnen gekommen?

Das ist schon in der Kindheit zu mir gekommen. Weil ich ja nun im Krieg geboren bin, aufgewachsen bin in der Nachkriegszeit. Und natürlich, als Kind fragt man sich auch schon: Warum mussten Kriege sein? Warum musste mein Großvater im Ersten Weltkrieg fallen? Warum mein Vater im Zweiten Weltkrieg? Warum ist die Stadt zerstört? Warum haben wir alle keine Väter mehr? Und ich finde, wenn wir wissen wollen, warum es heute so ist, wie es ist bei uns in Deutschland, dann muss man wissen, was vorher war.

Sie haben Geschichte immer "von unten" erzählt, aus der Perspektive der kleinen, einfachen Menschen. Warum?

Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man, wenn man so etwas aufschreibt, dass man es aus der Sicht derer beschreibt, die am meisten leiden mussten, unter dem, was die Oberen getan haben. Wenn ich über die Ackerstraße im Berliner Wedding schreibe, im Ersten Weltkrieg, da ist jeden Tag mehrmals der Leichenwagen gekommen, hat Kinder abgeholt, die gestorben sind, an einer Krankheit wie Hungergrippe. Und Leute, die irgendwo in Zehlendorf gewohnt haben, in einer Villa oder so, die haben bestimmt auch ihre Probleme gehabt im Ersten Weltkrieg, ist bestimmt auch der Vater oder Sohn gefallen. Aber so große Nöte wie die Menschen in der Ackerstraße haben sie nicht gehabt.

Sie schaffen ja etwas ganz Wunderbares. Egal ob Ihre Bücher 1848 spielen, 1919 oder 1945, spätestens auf der zweiten Seite taucht man komplett in die Zeit ein. Wie machen Sie das?

Das ist für mich ein Anliegen, das möchte ich gerne, aber wie mir das gelingt, kann ich nicht genau sagen. Ich hab mal so ein schönes Erlebnis gehabt, dass mich eine Frau anrief aus dem Wedding in Berlin. Und die zu mir sagte: Woher kennen Sie meine Familie? Und da hab ich gesagt: Ich kenne Ihre Familie doch gar nicht. Und da hat sie gesagt: Doch! Was wir damals, 1945, am Küchentisch besprochen haben, genau das haben Sie in Ihrem Buch beschrieben. Und das ist für mich natürlich ein großes Schulterklopfen, weil ich das Gefühl habe, du hast den Ton der Zeit getroffen. Und du hast auch die Sorgen der Leute getroffen in Deinem Buch.

"Jubiläumsbox", Klaus Kordon, Verlag Beltz & Gelberg
Jubiläumsbox zum 70. Geburtstag

Ihre Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden. Überrascht Sie dieses große Interesse?

Es ist schon sehr interessant mitzubekommen, dass etwa in Japan Menschen Bücher über unsere deutsche Geschichte lesen. Da denkt man sich, mein Gott, die haben ja in Asien ganz andere Probleme. Und dann übersetzen die Bücher von 500 Seiten ins Japanische, um sich damit zu beschäftigen. Wenn das die Holländer machen, dann sage ich mir, das ist ein Grenzland und die haben mit uns mal Probleme gehabt. Da ist es klar, dass die daran interessiert sind. Aber wenn die das in Japan lesen, dann sag ich immer: So viel Interesse haben wir an der japanischen Geschichte garantiert nicht.

Wollten Sie immer für Kinder und Jugendliche schreiben? Sind das die besseren Leser?

Ich glaube, es sind andere Leser. Sie lesen anders als Erwachsene. Sie haben noch nicht diese Scheuklappen, sie sehen die Welt noch mit neuen Augen und finden auch nicht alles gut, was die Alten ihnen so vorgegeben haben. Also, sie entdecken die Welt neu, und das ist natürlich was ganz Besonderes. Aber warum ich gerade für sie geschrieben habe, das ist ein Zufall. Mein erstes Buch, "Tadaki", das spielte in Indonesien.

Schriftsteller Klaus Kordon (c) DW-TV
Immer guter Dinge: Schriftsteller Klaus Kordon

Da gab es einen 13-jährigen Straßenjungen, einen Bettler, der mit einem Affen auf dem Kopf durch die Straßen gelaufen ist und gebettelt hat, und der hat so einen schönen Spruch gehabt. Der hat immer gesagt: "No mama, no papa, no televison". Und diesen Spruch fand ich irre. Ich hab ihn mal gefragt, wie er so lebt, und mir gedacht, das müsste man aufschreiben. Und da hab ich einfach angefangen, neben meinem Beruf, die Geschichte von dem Jungen zu schreiben, natürlich einen Roman draus gemacht, viel dazu erfunden, aber alles realistisch. Das wurde mein erstes Buch und wurde auch recht erfolgreich. Bei meinem zweiten Buch, da hat der Verlag gesagt, wir möchten gerne mal was haben über das Thema Tod. Das ist im Kinderbuch - das waren die 70er Jahre - so ein Tabuthema. Das durfte nicht vorkommen, Tod, Armut, das durfte im Kinderbuch nicht vorkommen. Und da hab ich gesagt, naja, ich hab ja als Siebenjähriger erlebt, wie mein großer Bruder gestorben ist, mein bewunderter Held. Und dann haben die gesagt, schreib doch mal darüber. Und daraus wurde dann mein zweites Buch "Brüder wie Freunde".

Sie sind trotz all der Schicksalsschläge, die Sie selbst erleiden mussten, kein zorniger Mensch geworden. Und Sie haben Ihren Humor behalten. Haben Sie das, was Sie erlitten haben, ein Stück weit auch weggeschrieben?

Ja, natürlich. Das ist ja das Schöne, wenn man schreiben kann, dass man sich vieles auch wegschreibt. Das Buch über den Tod meines Bruders, das war für mich auch eine Aufarbeitung. Und später natürlich, mein Buch "Krokodil im Nacken", in dem ich meine eigenen ersten dreißig Jahre beschreibe, die ja damit endeten, dass ich ins Gefängnis kam. Bei der Stasi, in der DDR damals. Und am Ende noch ausreisen durfte in den Westen. Das war natürlich eine ganz herbe Erfahrung. Und wenn man so etwas aufschreibt, ist das eine Erleichterung, das ist ganz klar. Aber ich habe auch immer Leute getroffen, die mir geholfen haben. Als meine Mutter starb, da gab es ein Mädchen, in das ich verliebt war. Wir waren beide 13, das war meine erste Freundin. Und das hat einem Mut gegeben, man braucht ja Liebe. Oder die Lehrerin, die mich verstanden hat, weil ich ziemlich viel Mist gebaut habe damals. Oder der Schneidermeister, der mir Mut gemacht hat. Ein Jude, der selber in der Nazizeit sich im Keller versteckt hatte, und zu mir mal gesagt hat: "Ein Mensch kann unwahrscheinlich viel aushalten. Du auch". Und das hat mit viel Kraft gegeben. Also, das ist ganz wichtig, dass man immer Menschen findet, die einem zur Seite stehen.

Das Interview führte Silke Bartlick.