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Kommission empfiehlt Legalisierung von frühen Abtreibungen

15. April 2024

Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen sollten nach Ansicht einer von der Bundesregierung beauftragten Kommission künftig grundsätzlich erlaubt sein.

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Eine Frau hält ein Schild mit dem Schriftzug "Mein Körper gehört mir"
Eine hochemotionale Debatte: Das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegen den Schutz des ungeborenen LebensBild: Martin Schutt/dpa/picture alliance

Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland grundsätzlich verboten und eine Straftat. Das regelt Paragraph 218 des Strafgesetzbuches. Eine Abtreibung bleibt aber straffrei, wenn sie innerhalb von drei Monaten erfolgt und die schwangere Frau eine Beratung in Anspruch genommen hat. Und: Ausdrücklich erlaubt ist ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau.

Die bestehende Gesetzeslage ist rund 30 Jahre alt und wurde nach langen, scharfen Debatten erzielt. Jetzt packt die Berliner Koalition aus SPD, Grünen und FDP das Thema wieder an - und will Abtreibung liberalisieren.

Strafbarkeit von Abtreibungen: "Stigmatisierung der Frauen"

Eine von der Bundesregierung einberufene Kommission hat dazu Empfehlungen ausgearbeitet und jetzt vorgestellt. Sie rät, die grundsätzliche Rechtswidrigkeit der Abtreibung in der Frühphase der Schwangerschaft abzuschaffen, aus verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Gründen.

Die Grenze einer Legalisierung sieht das Gremium bei einer eigenständigen Lebensfähigkeit des Fötus, ungefähr ab der 22. Woche seit Beginn der letzten Menstruation. Ab dann sollten Abbrüche weiterhin illegal sein, abgesehen vom Fall einer Vergewaltigung oder bei gesundheitlichen Gefahren für die Schwangere.

Den entscheidenden Unterschied zu heute, nämlich dass eine frühe Abtreibung keine Straftat mehr sein soll, begründet die SPD-Politikerin Katja Mast so: "Ich finde, dass die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nicht ins Strafgesetzbuch gehört, weil es aus meiner Sicht eine Stigmatisierung der Frauen ist."

Katholische Kirche hat Bedenken

Kirchen und Verbände haben sehr unterschiedlich reagiert. Das zeigt die Polarisierung bei diesem Thema. Der katholische Familienbischof Heiner Koch würde lieber an der bestehenden Regelung festhalten, denn sie "hält sowohl die Not und Sorge der Mutter als auch den Schutz des ungeborenen Kindes hoch", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken kritisiert, dass der Embryo in der frühen Phase der Schwangerschaft weniger Schutzrechte haben soll.

Dagegen begrüßt der Verband Pro Familia die Empfehlungen. Er wirbt dafür, Schwangerschaftsabbrüche vollständig zu entkriminalisieren und die Beratungspflicht abzuschaffen.

CDU/CSU und AfD gegen die Regierung?

Politisch kommt der Widerstand erwartungsgemäß von konservativer Seite. Friedrich Merz, Chef der größten Oppositionspartei CDU, warnt die Regierung davor, durch eine Reform "einen gesellschaftlichen Großkonflikt in dieses Land hineinzutragen". Dorothee Bär von der bayerischen Schwesterpartei CSU zeigte sich in einem Zeitungsinterview "fassungslos, dass der Lebensschutz des ungeborenen Kindes offenbar keine Rolle mehr spielen solle".

Person hält Plakat mit Säuglingshand in Erwachsenenhänden, zwei Händen, die herzförmig einen Säugling umschließen und dem Spruch "Mein Leben ist in euren Händen"
Abtreibungsgegner von Euro Pro Life demonstrieren vor einer Beratungsstelle von Pro FamiliaBild: Bernd Kammerer/dpa/picture alliance

Mit dem Schutz ungeborenen Lebens argumentiert auch die rechtspopulistische AfD ihren Widerstand gegen eine Liberalisierung.

Die Linkspartei fordert dagegen, die Bundesregierung solle aus den Empfehlungen einen Gesetzentwurf machen und ihn bald vorlegen.

Sollte die Koalition das tun, würden vermutlich bei der Abstimmung im Bundestag CDU/CSU und AfD an einem Strang ziehen - ein Problem für die CDU/CSU, hat sie doch sonst eine "Brandmauer" zur in Teilen rechtsextremen AfD hochgezogen und will nicht mit ihr zusammenarbeiten.

Vor einem ähnlichen Dilemma stünde die CDU, falls sie - oder die AfD oder beide - vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine solche Gesetzesvorlage klagt. In den 1990er Jahren war bereits einmal ein liberaler Bundestagsbeschluss zum Abtreibungsrecht vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Als Kompromiss kam damals die noch heute gültige Regelung heraus. Auch jetzt könnte eine Klage vor dem Verfassungsgericht gegen eine Reform der Regierung durchaus Erfolg haben.

"Werbeverbot" für Abtreibungen wurde schon gekippt

Andere Vorhaben rund um das Thema Schwangerschaftsabbruch hat die Regierung bereits umgesetzt oder ist dabei, es zu tun. Der Paragraph 219a wurde bereits abgeschafft, das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen. Dadurch hatten sich immer wieder Ärztinnen und Ärzte strafbar gemacht, wenn sie öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informierten.

Und die Gesetzgebung zum Verbot der sogenannten Gehsteigbelästigung ist im parlamentarischen Verfahren. Aggressive Protestaktionen von Abtreibungsgegnern in der Nähe von Beratungsstellen, Krankenhäusern oder Arztpraxen, die Konfliktberatungen anbieten oder Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sollen künftig als Ordnungswidrigkeit gelten.

Abtreibung in den USA, Polen, Irland, Frankreich

Wie polarisierend das Thema nicht nur in Deutschland ist, zeigt etwa das Beispiel USA. Dort regelt seit einem Urteil des Obersten Gerichts von 2022 wieder jeder Bundesstaat das Abtreibungsrecht selbst. Manche konservativ regierte Bundesstaaten haben Abtreibungen seitdem wieder stark eingeschränkt. Das Oberste Gericht in Arizona sprach sich jetzt sogar dafür aus, ein Gesetz von 1864 wieder in Kraft zu setzen - damals tobte der Bürgerkrieg und Frauen durften noch gar nicht wählen. Demnach wären Schwangerschaftsabbrüche in Arizona künftig nahezu vollständig verboten.

Frau am Rednerpult mit Demonstranten, u.a. mit dem Schild "Keep abortion legal"
Streit um Abtreibungsrecht in Arizona, wo bald Schwangerschaftsabbrüche in fast allen Fällen verboten sein könntenBild: Joel Angel Juarez/The Republic/USA TODAY Network/IMAGO

Im Präsidentschaftswahlkampf legt sich aber nicht einmal Donald Trump fest, sich bei einem Wahlsieg für ein nationales Abtreibungsverbot einzusetzen. Einer Reuters/Ipsos-Umfrage vom März zufolge sind 57 Prozent der US-Bürger der Meinung, dass eine Abtreibung in den meisten oder allen Fällen legal sein sollte.

Auch in anderen westlichen Ländern sind Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch ein heikles Thema. Die Parlamentswahl in Polen hatte der liberale Ministerpräsident Donald Tusk auch mit dem Versprechen gewonnen, Polens striktes Abtreibungsrecht zu lockern. Doch der Plan stößt auf Widerstand bei Tusks Koalitionspartner, dem christlich-konservativen Dritten Weg.

In einem anderen stark katholisch geprägten Land, in Irland, war bei einem Referendum im Jahr 2018 mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit eine Legalisierung von Abtreibungen beschlossen worden. Viele hatten damals nicht damit gerechnet, dass das Ergebnis in dem früher gesellschaftlich konservativen Land so eindeutig ausfallen würde.

Besonders liberal ist die Rechtslage seit dem März in Frankreich. Die völlige Straffreiheit von Abtreibungen hat seitdem sogar Verfassungsrang. Dort ist jetzt von einer garantierten "Freiheit zum Schwangerschaftsabbruch" die Rede. Der frühere Pariser Erzbischof Michel Aupetit reagierte auf X empört: "Das Gesetz drängt dem Gewissen auf zu töten." Frankreich habe einen Tiefpunkt erreicht. "Es ist ein totalitärer Staat geworden."

Folgt die Bundesregierung den Empfehlungen der Kommission, dürfte auch Deutschland noch eine heiße Debatte zu dem Thema bevorstehen.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik