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Wer hat Angst vor der AfD?

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Gero Schließ
3. September 2019

Werden Kulturinstitutionen von der AfD bedroht? Ist gar die Kunstfreiheit in Gefahr? Wachsamkeit bleibt wichtig, meint Gero Schließ. Doch Abwehrreflexe reichten nicht. Die Kultur müsse sich berechtigter Kritik stellen.

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Landtagswahl Brandenburg AFD Wahlplakat
Bild: Reuters/H. Hanschke

Die AfD ist ein Machtfaktor in Deutschland. Die massiven Stimmengewinne bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg haben das erneut vor Augen geführt. Aber die Macht der AfD geht weit über punktuelle Wahlerfolge hinaus. Ihre Präsenz im Bundestag und in allen Landtagen verleiht ihr strukturell abgesicherten, weitreichenden Einfluss. Was aber fast noch stärker ins Gewicht fällt: Immer wieder beherrscht die AfD den öffentlichen Diskurs und treibt die "Altparteien", wie sie alle Parteien von ganz links bis zur CDU nennt, vor sich her. Das hat Konsequenzen: Das politische Klima ist rauer, angsterfüllter geworden, die Tonlage gegenüber Migranten und Asylsuchenden unfreundlicher, mitunter abweisend - bis hin zu gesetzlichen Verschärfungen wie in den neuen Migrationsgesetzen, die Einwanderung erschweren und Abschiebungen weiter erleichtern. 

Kultur als neues Kampffeld

Fast unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit hat die AfD ihre politischen Greifarme jetzt noch in eine andere Richtung ausgestreckt. Diesmal geht es um Kulturpolitik, also um Theater, Museen, Opernhäuser, auch die freie Szene. Überall wittern die Rechtspopulisten linke Indoktrination.

Eigentlich gilt Kultur in der politischen Klasse als Orchideenfach. Doch wer es noch nicht wusste, dem hat nicht zuletzt der Vorstoß der AfD offenbart, dass sie mit Kunst und Kultur kein Randthema aufgespießt hat, sondern in die Mitte der Gesellschaft zielt - und uns alle trifft. Denn bei Kunst und Kultur geht es immer um uns selbst, wie wir uns sehen, wohin wir als Gesellschaft streben und was uns umtreibt.

Die Aufregung bei Künstlern und Kulturschaffenden ist groß. Die Dämonisierung der AfD ist in vollem Gange, so wie sie auch in anderen Politikfeldern Schaden angerichtet, den Verschwörungstheoretikern eine weites Feld bereitet und am Ende die Rechtspopulisten aufgewertet hat. Vom Ende der Kunstfreiheit ist die Rede, vom Kulturkampf und einer drohenden Deutschtümelei auf deutschen Bühnen. Doch soweit ist es noch lange nicht. Diese Reaktionen sind überzogen und genau das, was die AfD provozieren will.     

Multikulturalismus als Schimpfwort

Im wenig wahrscheinlichen Fall ihrer Durchsetzung wären die Vorstellungen der AfD von Kulturpolitik tatsächlich unerfreulich. Kaum überraschend will sie eine "deutsche Leitkultur" hochhalten. Selbstredend gehört der Islam nicht dazu. Wie überhaupt die "Ideologie des Multikulturalismus" für die AfD ein linkes Teufelszeug ist, das den sozialen Frieden bedrohe.

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Gero Schließ ist Kulturkorrespondent de DW in Berlin

Schon früh ging es für AfD-Politiker wie den Bundestagsabgeordneten Marc Jongen und seine Unterstützer um das Projekt der "Entsiffung des Kulturbetriebs". So militant die Wortwahl ist, so rabiat können die Methoden sein: Shitstorms in den Social Media, Bühnenbesetzungen, Morddrohungen. Damit kein Zweifel besteht: Wo Gewalt angedroht oder ausgeübt wird, muss mit aller Härte dagegen vorgegangen werden. Und wenn sogenannte Identitäre und andere völkisch bewegte Gruppen eine Theateraufführung stören, wie es in den 60er Jahren die linke Außerparlamentarische Opposition tat, dann sollte der Intendant vom Hausrecht Gebrauch machen und die Polizei holen.

Doch politische Forderungen der AfD nach Umverteilung von Budgets oder gar parlamentarische Anfragen sind etwas anderes. Sie sind gutes demokratisches Recht. Darum muss in den Parlamenten und in der Öffentlichkeit gestritten werden. Wo die Kritiker dabei die Kunstfreiheit auch nur tangieren, müssen Politiker, Kulturleute, ja wir alle dem entschieden entgegentreten - und dürfen nicht rechten Forderungen nach der Absetzung von Konzerten oder Aufführungen nachgeben, wie es vereinzelt geschehen ist. 

Törichte Reaktionen

Dafür braucht es aber keine Institution wie etwa die "Mobile Beratung Rechtsextremismus Berlin", die mit Geldern des Berliner Senates den Theatern im Umgang mit der AfD zur Seite steht. Und die Kulturleute sollten bei aller Empörung darauf achten, nicht selbst das zu tun, was sie der AfD vorwerfen; nämlich die Kunstfreiheit mit Füßen treten. Genau das passierte aber in Leipzig, wo der AfD-nahe Maler Axel Krause von der prestigeträchtigen Jahresausstellung ausgeladen wurde. 

Derlei Aktionen sind töricht und Wasser auf die Mühlen der AfD.

Statt ihre Wagenburgmentalität zu pflegen, sollten sich Kunst- und Kulturschaffende lieber fragen, warum die AfD mit ihren kruden Thesen auf soviel Resonanz stößt. Klar ist: Schon bevor es diese Partei gab, herrschte weit verbreiteter Unmut über einen selbstreferentiellen Kulturbetrieb, der sich allzu sehr in der Bestätigung seiner - oftmals linken - Weltsicht gefällt. Das muss sich ändern, mit oder ohne AfD im Nacken! 

Abseits der beliebten Abwehrreflexe gibt es im Kulturbetrieb endlich auch nachdenkliche, konstruktive Stimmen. Die Potsdamer Theaterintendantin Bettina Jahnke hat es im DW-Interview gesagt: Das Theater sei jetzt gezwungen, "konkreter, direkter und noch viel expliziter auf die Themen hinzuweisen und auf beide Seiten zu gucken".

An Ende könnten die AfD-Attacken doch noch etwas Gutes bewirken: nicht die Hinwendung zur völkischen Affirmationskultur, sondern die Erneuerung des Kulturbetriebs und eine Öffnung für neue Bevölkerungskreise.