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Weniger und klügere Gesetze

Barbara Wesel 16. Dezember 2014

Europa hat sich in der Vergangenheit zu viele Regeln gegeben. Aber dagegen zu schimpfen ist leichter, als sie wieder abzuschaffen. Und manche Gesetze sind eben auch notwendig, meint Barbara Wesel.

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Bauarbeiter mit freiem Oberkörper (Foto: dpa)
Wenn Bauarbeiter sich einen Sonnenbrand holen, ist das kein Fall für europäische GesetzgebungBild: picture-alliance/dpa/Patrick Seeger

Sie will die Bürger Europas künftig nicht mehr mit kleinteiligen Vorschriften nerven, so versprach die neue EU-Kommission bei ihrem Amtsantritt. Entbürokratisierung heißt das Schlagwort, und jedem Kenner europäischer Politik fallen dazu sofort ein paar Dutzend Beispiele ein. Viele davon sind so abgenutzt, dass man sie längst nicht mehr erwähnen dürfte, wie etwa die Regel zur Krümmung der Salatgurke. Aber man muss kein Feind Europas sein, um die Idee einer Sonnenschutzrichtlinie für Bauarbeiter oder des berüchtigten Stöckelschuhverbots für Friseurinnen schwachsinnig zu finden. Derlei kleinkariertes Zeug kann jedes Mitgliedsland in seinen Arbeitsschutzrichtlinien schließlich selber regeln, wenn es will. Ähnlich verhält es sich mit dem Strom sparen: Da muss die EU Ziele und Vorgaben festlegen und die Mitgliedsländer zwingen mitzumachen, sonst wird das noch in 50 Jahren nichts. Andererseits: Die Abschaffung der traditionellen Glühbirne als Stromfresser hat Brüssel viel politisches Kapital gekostet – ob das im Verhältnis steht zum erwünschten Effekt beim Energiesparen ist offen.

Die EU-Kommission will weniger Gesetze

Dabei kann man die Diskussion über die Warmhalteplatten an Kaffeemaschinen, die Stärke von Staubsaugern und die Kraft von Haartrocknern noch als Geschenk für Karikaturisten und Glossenschreiber und damit als Förderung der Künste in Europa ansehen. Aber mit derlei Späßen soll Schluss sein, so verspricht jetzt die Europäische Kommission. Sie will ihre Gesetzgebung auf das Nötigste beschränken und deshalb ihre Arbeit gleich von ein paar Altlasten befreien. Dazu hat Vizepräsident Frans Timmermans, der Mann fürs Grobe in der EU Kommission, die Axt an das Gestrüpp von Gesetzesvorhaben gelegt und will ein paar gleich auf den Müll der Geschichte befördern: etwa eine Regelung zur Abfallwirtschaft, über die Rat und Parlament seit Jahren streiten. Ähnliches gilt auch für neue Grenzwerte bei der Luftverschmutzung oder die europäische Angleichung der Regeln für den Mutterschutz.

Diese Vorhaben seien in der geplanten Form nicht durchsetzbar, der Zank darüber unauflöslich, sagt die Kommission, also sollen sie entweder ganz entfallen oder umgearbeitet werden. Darüber freuen sich zunächst alle, die Umweltschutzvorschriften für eine unnütze Behinderung von Unternehmen betrachten. Umweltfreunde aber springen auf die Barrikaden und mahnen, dass Regeln zum Recycling von Altautos, Elektronikschrott oder Akkus für unsere gesunde Zukunft in Europa unabdingbar seien. Schließlich habe die Industrie gezeigt, dass sie giftige Chemikalien durchaus ungerührt ins Grundwasser entsorgt, wenn keiner hinschaut.

Das Ziel ist richtig, aber schwer zu erreichen

Weniger, aber bessere Gesetze in Europa zu machen, ist leider nicht so einfach, wie die Populisten es häufig darstellen. Natürlich muss die EU nicht jedes Problem lösen und sich für alles zuständig fühlen. Vor allem muss sie ihre politischen Schlachten in Zukunft besser wählen, und den antieuropäischen Schreihälsen auf der Rechten weniger Stoff liefern. Dabei ist es eine Illusion zu glauben, sie würden jemals aufhören gegen Europa zu hetzen. Selbst wenn in Brüssel im nächsten Jahr nur ein einziges Gesetz gemacht würde, fände sie noch Grund zur Polemik.

Porträt - Barbara Wesel (Foto: DW)
DW-Korrespondentin Barbara WeselBild: DW/Georg Matthes

Die großen gemeinsamen Themen aber, vor allem im Umwelt- und Verbraucherschutz, sind nur auf europäischer Ebene zu lösen. Da darf man nicht aus Bequemlichkeit oder politischer Feigheit Abstriche machen. Die EU-Kommission muss hier die schwierige Balance finden, zwischen notwendiger Regulierung und der Förderung der Wirtschaft, die sie sich auf die Fahnen geschrieben hat. Viele EU-Kritiker fordern dabei ständig die Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen. Bloß die meisten hinderlichen Vorschriften kommen nicht unbedingt aus Brüssel. Ein Blick auf das Regelwerk in Frankreich etwa zeigt, dass da ein Fall von Selbstfesselung vorliegt. Ähnliches gilt für die alles verschlingende Bürokratie in Italien, die ebenfalls ein Eigengewächs ist.

Dennoch: Europa braucht weniger und klügere Gesetze, so viel ist klar. Und jeder Ansatz dafür ist zunächst ein Schritt in die richtige Richtung. Wer von der Kommission aber verlangt, sie solle jetzt mit der Kettensäge durch das Unterholz europäischer Vorschriften eine Schneise schlagen, verkennt die Probleme. Wer das übermäßig dicke Buch der EU-Gesetze verschlanken will, braucht Geduld und Fingerspitzengefühl. Hau-Ruck-Verfahren sind nicht das richtige Mittel, um jahrzehntealte Fehlentwicklungen in Europa zu korrigieren.