Politikerschelte, nein danke! Die Botschaft des Evangelischen Kirchentags in Berlin und Wittenberg sitzt: Hütet Euch vor Pauschalurteilen und betet keine populistischen Phrasen nach. Hütet Euch vor Schuldzuweisungen und vor politischem Missbrauch im Namen der Religion.
Warum? Es gibt weder die Politiker, noch die Wirtschaft und auch nicht die Muslime oder die Christen. Der Kirchentag trägt dazu bei, dass Feindbilder abgebaut, Begegnungen ermöglicht werden und Debatten fair ablaufen.
Auch wenn die 2500 Veranstaltungen in ihrer Vielfalt verwirrend sind und der Protestantismus seinen Gläubigen viele organisatorische Strapazen zumutet: Er hat den Schatz offenbart, über den die deutsche Politik (noch) verfügt: Amtsträger, die sich Werten verpflichtet fühlen, die auf einem christlichen Menschenbild und humanistischen Idealen gründen, und die ihr politisches Mandat mit diesen Werten verknüpfen.
Anerkennung statt Abwertung
Dies ist angesichts einer zunehmenden Zahl von Politikern, die ihre Karriere auf der Abwertung anderer aufbauen, ein nicht zu unterschätzendes Gut. Denn nicht nur US-Präsident Donald Trump hat gezeigt, wie dieses Muster funktioniert. Auch die Wertegemeinschaft Europa bringt Gestalten hervor, die sich mit dem Hass auf die Europäische Union profilieren und gleichzeitig in Brüssel gutes Geld verdienen.
Politikerschelte, die alle Mandatsträger pauschal verdammt, ist daher nur Wasser auf die Mühlen populistischer Phrasendrescher. Der Kirchentag zeigt, dass es auch anders geht. In seinem Präsidium sitzen Politiker und Wirtschaftsvertreter, die unterschiedliche Interessen verfolgen, aber durch gemeinsame Werte vereint sind, darunter Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold und der Pharmamanager Andreas Barner.
Gemeinsamer Wertekanon
Dieser Wertekonsens trotz aller Unterschiede kennzeichnet den Kirchentag und bisher große Teile des politischen Establishments in Deutschland. Der Kirchentag hat es geschafft, in nur fünf Tagen einige der weltweit wichtigsten geistlichen und politischen Persönlichkeiten in Berlin zu versammeln, darunter die höchste sunnitische Autorität, Scheich Ahmad al-Tayyeb aus Ägypten, Thabo Makgoba, Primas der Anglikanischen Kirche in Südafrika, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Kardinal Marx und natürlich Ex-US-Präsident Barack Obama, der unbestrittene Star des Treffens.
Natürlich hat der Kirchentag es schwer, in der Ära von Donald Trump durchzudringen. Langfristig jedoch ist sein Geist stärker als die tägliche schlechte Nachricht aus dem Weißen Haus.
Ohne diese Hoffnung gäbe es keinen Kirchentag, keinen Protestantismus, keinen Glauben, keine Reformation. Die 500-jährige Geschichte der Reformation, die noch lange nicht zu Ende ist, zeigt, dass es einen langen Atem braucht. Kleine Etappensiege wie dieser Kirchentag helfen, die Hoffnung auf bessere Zeitung zu bewahren.
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