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Politik

Das Monster im Schaufenster

Dragoslav Dedović - Foto: DW
Dragoslav Dedović
22. November 2017

Von Rachejustiz sprechen die serbischen Nationalisten. Dabei ist Ratko Mladić nur recht geschehen, meint Dragoslav Dedović. Doch Bosnien-Herzegowina ist gespalten und so ist das Urteil leider kein Hoffnungszeichen.

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Bosnien und Herzegowina Frensehübertragung Urteil Ratko Mladic
Vielerorts in Serbien und Bosnien-Herzegowina verfolgten Menschen den Prozess im FernsehenBild: Reuters/D. Ruvic

Breit und tief ist die blutige Spur, die dieser alte Mann in Bosnien-Herzegowina gezogen hat. Ratko Mladić, der absolute Kriegsherr der bosnischen Serben, war während des Bosnien-Kriegs vor einem Vierteljahrhundert in seinem martialischen Machtzenit.  Jetzt  kann er kaum noch  Zukunftspläne schmieden. Nicht nur wegen des Urteils - ihm kann das Strafmaß "lebenslänglich" herzlich egal sein. Er bereut sowieso nichts. Seine auf Krawall gebürsteten Auftritte im Gerichtssaal standen ganz im Einklang mit seinen früheren Äußerungen über das Tribunal als "satanisches Gericht".  Der 75-jährige Mladić ist von Krankheit gezeichnet. Er wird wohl bald sterben.

Der Prozess musste stattfinden

Ratko Mladić ist ein Realitätsverweigerer. Die serbischen national-chauvinistischen Kreise in Bosnien-Herzegowina und in Serbien ebenso. Für sie ist das Tribunal in Den Haag ein politisches Instrument gegen grundsätzlich alle Serben. So  leugnen sie implizit die individuelle Schuld ihres "Helden" und seinen Komplizen und nehmen dafür die Mehrheit der normalen serbischen Bürger in ideologische Geiselhaft. Selbst wenn man gelegentliche Inkonsequenz des Tribunals anprangern mag - es steht außer Frage, dass Ratko Mladić nach alldem, was in Bosnien-Herzegowina zwischen 1992 und 1995 nicht zuletzt auch auf seinen Befehl hin geschehen ist, vor ein Gericht gestellt werden musste.

Dragoslav Dedovic Kommentarbild App
Dragoslav Dedović leitet die Serbische Redaktion der DW

Schade nur, dass dieses Gerichtsgebäude eben nicht in Sarajevo, Belgrad  oder in Banjaluka,  sondern in Den Haag steht. Man hätte aus der Nähe viel besser sehen können, dass der angebliche Held nichts anderes als ein uneinsichtiges, banales Monster ist. Ein Mann, der kein Wort des Bedauerns spricht. Der nichts zu sagen hat - nicht den Nachkommen und Familien der Opfer, aber auch nicht den Hinterbliebenen seiner eigenen toten Soldaten. Wenn Ratko Mladić noch einmal wählen könnte, würde er wahrscheinlich wieder Ratko Mladić werden.

Es ist einfach, jenseits aller zivilisierten Verhaltensweisen, entwaffnete Männer - Jugendliche genauso wie ganz Alte - massenhaft erschießen zu lassen. Es ist barbarisch, ganze Stadtviertel  jahrelang mit Artillerie beschießen zu lassen und  Zivilisten als sadistisches Amüsement für Scharfschützen zu betrachten - als Freiwild eben. Es ist geistig vernebelt und erschreckend hasserfüllt, die "Befreiung" von Srebrenica zu verkünden, das Ganze als "Rache an Türken" zu rechtfertigen, obwohl die letzten Türken vor anderthalb Jahrhunderten mit dem Osmanischen Reich aus diesen Gegenden verschwunden sind. Es ist irrsinnig und brandgefährlich, die Motive und Ziele aus 1389 - dem Jahr der Schlacht auf dem Amselfeld - zum Vorbild für Handeln im Jahr 1995 zu nehmen.

Die Propagandisten von einst - heute geschätzte Staatsmänner

Ratko Mladić war von Anfang an nur eine ideologisch verblendete, im militärischen Handwerk des Todes geübte Faust eines extremen serbischen Chauvinismus. Die damaligen Propagandisten dieses Chauvinismus - wie der gegenwärtige Präsident Serbiens, Aleksandar Vučić - sind heute geschätzte Staatsmänner.

Für die Opfer bleibt Ratko Mladić ein zynischer Kriegstreiber und Verbrecher. Die einzige Genugtuung für sie wird sein, dass ihre Meinung jetzt amtlich ist.   Für viele seiner ehemaligen Soldaten - und auch für viele bosnische Serben - bleibt er ein Held und Opfer eines "antiserbischen Justizkomplottes".   Und im Gegenzug werden bosniakische Nationalisten diese Vorlage zum Anlass nehmen, um über "völkermörderischen Serben" zu sinnieren.

Neue Blütezeit der Populisten

Dafür werden schon allein die populistischen Politiker sorgen, die im postfaktischen Zeitalter auch auf dem Balkan eine neue Blütezeit erleben. Das ist besorgniserregend, denn ohne tragfähige Verständigung zwischen den bosniakischen und serbischen Polit-Eliten kann es keine nachhaltige Zukunftsperspektive für Bosnien-Herzegowina geben.

Es steht zu befürchten, dass auch das Urteil über dieses im Schaufenster der Haager Justiz und der Weltöffentlichkeit ausgestellte Monster den Durst nach Gerechtigkeit nicht stillen kann. Wie auch, denn das Land ist weiter gespalten und mental immer noch in den kriegerischen 1990er-Jahren gefangen.

Ratko Mladić ist recht geschehen. Doch das Urteil ist kein Hoffnungszeichen für Bosnien-Herzegowina. Dafür ist es wahrscheinlich zu spät.

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