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Politik

Angriff auf die schärfste Waffe gegen den IS

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
22. Januar 2018

Die Türkei greift die kurdischen YPG-Milizen in Syrien an. Damit erweist sie sich einmal mehr als unberechenbarer Akteur, meint Kersten Knipp. Umso zynischer ist das Schweigen der internationalen Partner Ankaras.

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Türkei beginnt Offensive Operation Afrin in Syrien
Bild: picture alliance/AA/E. Bozkurt

Die Türkei dementiert: Nichts als "Schwarze Propaganda" seien Berichte der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte über zivile Opfer der türkischen Invasion in den äußersten Norden Syriens, in das Gebiet der von den Kurden gehaltenen Enklave Afrin. Einzig bewaffnete Kämpfer seien bei den türkischen Luftangriffen getötet wurde. Man nehme nur "Terroristen" ins Visier.

Der Mythos vom sauber geführten Krieg ist einer der abgegriffensten angesichts der Gewalt, die seit nunmehr sieben Jahren durch Syrien tobt. Der zweite Mythos ist noch ein Stück fauliger: Dass es sich bei den Milizen der YPG durchweg und ausnahmslos um "Terroristen" handele. Es stimmt: Die YPG-Kämpfer stehen der kurdischen PKK nahe, die in der Türkei und der EU als terroristische Vereinigung geführt wird. Aber PKK und YPG sind nicht identisch. Außerdem haben die YPG-Milizen die Türkei nicht angegriffen. Die jetzt aus ihrem Gebiet in Anatolien einschlagenden Raketen sind eine Antwort auf den türkischen Angriff auf ein Nachbarland.

Manövriermasse der Weltpolitik

Seit hundert Jahren sind die Kurden Manövriermasse der internationalen Politik. Das jüngste Kapitel des zynischen Umgangs mit ihnen wurde während des Kriegs in Syrien geschrieben, wo sie sich als eine der effektivsten Kräfte gegen dschihadistische Terrorgruppen wie den "Islamischen Staat" und andere erwiesen. Sie trugen, unterstützt und bewaffnet von den USA, entscheidend dazu bei, dass der IS in Nordsyrien nicht auf Dauer Fuß fassen konnte. Der Kampf um die vom IS besetzte nordsyrische Stadt Kobane im Jahr 2014 wäre ohne die kurdischen Kämpfer kaum zu gewinnen gewesen. Auch im Irak wehrten die Kurden den IS ab - und retteten so nebenbei Tausenden flüchtender Yesiden das Leben.

Gewiss ist das von den Kurden beherrschte Gebiet in Nordsyrien kein demokratisches Musterland. Aber mit Blick auf die gesamte Region setzt es doch Maßstäbe, hebt sich ab von den säkularen ebenso wie den religiösen Potentaten der Region.

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DW-Autor Kersten Knipp

Das Kalkül der Akteure

Umso schändlicher, dass die syrischen Kurden nun ein weiteres Mal im Stich gelassen werden. Die Amerikaner, die die Kurden militärisch ausrüsteten, zuletzt sogar eine 30.000 Mann starke Grenzschutztruppe - gerichtet gegen die mögliche Wiederkehr des IS - mit ihnen aufbauen wollten, schweigen zum Überfall der Türken. Sie scheuen offenbar den Konflikt mit dem NATO-Partner Türkei, mit dem sie doch der Wunsch nach dem politischen Ende Baschar al-Assads eint. Dafür scheint man in Washington nun bereit, die Kurden fallen zu lassen.

Unklar ist, ob Russland, wie berichtet, tatsächlich seien Truppen rund um Afrin abgezogen hat. Außenminister Lawrow hatte das zuletzt dementiert. Sicher ist aber: Die nun wieder wachsende Spannung zwischen den beiden Bündnispartnern USA und Türkei dürfte Moskau gelegen kommen. Vor allem der Umstand, dass an Washingtons Loyalität gegenüber seinen Verbündeten - dieses Mal den Kurden - einmal mehr begründete Zweifel aufkommen. Was wiederum dem Ruf Moskaus zugute kommt.

Auch aus Europa kommt derzeit nur verhaltene Kritik. Am deutlichsten äußerte sich bislang der französische Außenminister Jean-Yves le Drian, der ein Treffen des UN-Sicherheitsrates forderte. Die Bundesregierung hingegen hält sich mit Äußerungen zurück. Auch äußerte sie sich nicht zu Berichten, in der türkischen Offensive würde auch aus Deutschland stammende Leopard-2-Panzer eingesetzt.

Ein aggressiver, unberechenbarer Partner

Das Schweigen des Westens ist beschämend. Riskant ist es zudem. Denn es lässt einer Regierung freie Hand, die nach innen wie außen einen äußerst aggressiven Kurs fährt. Auf Kritik an dem Feldzug hat Ankara türkischen Medienberichten zufolge mit der Verhaftung von rund 30 Personen reagiert.

Man muss zur Kenntnis nehmen, dass die Regierung Erdogan ihren aggressiven außenpolitischen Kurs fortfährt: erst gegenüber Russland, dann Israel, die USA, über Monate auch Deutschland als Zielscheibe. Und jetzt - nicht mehr verbal, sondern militärisch - der Angriff auf die syrischen Kurden: Die türkische Regierung ist als Akteur kaum berechenbar und als Partner mindestens unzuverlässig.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika