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Politik

Der weiße Mann muss die Augen öffnen

Deutschland Mirjam Gehrke
Mirjam Gehrke
2. August 2020

Die Debatte über Rassismus in der deutschen Polizei hält an. Innenminister Horst Seehofer lehnt eine Studie dazu ab - er sieht Polizisten vorwiegend als Opfer. Eine zynische Leugnung der Realität, meint Mirjam Gehrke.

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Deutschland | Black Lives Matter | Protest gegen Rassismus
Bild: picture-alliance/dpa/C. Soder

Blaise Francis El Mourabit weiß genau, wie es sich anfühlt, aus heiterem Himmel von der Polizei kontrolliert zu werden. Nicht einmal, sondern immer wieder, ohne Anlass. El Mourabit ist ein deutscher Rechtsanwalt in Düsseldorf - und schwarz. Sobald er nicht mehr im Anzug, sondern in Jeans und Turnschuhen unterwegs sei, hielten Polizisten ihn an, sagt er, sie duzten ihn und ihr Ton sei oft unverschämt.

Spätestens seit der Tötung des schwarzen US-Bürgers George Floyd durch einen weißen Polizeibeamten melden sich auch in Deutschland immer mehr People of Color zu Wort, die alltägliche rassistische Erfahrungen mit der Polizei machen. El Mourabit hat in sozialen Medien angeboten, Fälle von Racial Profiling kostenlos zu vertreten - seitdem sind innerhalb von drei Wochen 700 Nachrichten und 230 juristische Anfragen bei ihm eingegangen.

Geht es nach Bundesinnenminister Horst Seehofer, beschäftigt sich der Düsseldorfer Anwalt mit Hirngespinsten. Menschen ohne Anlass, allein aufgrund ihrer Hautfarbe, Haarfarbe oder anderer äußerer Merkmale zu kontrollieren, sei der Polizei in Deutschland verboten. Mit diesem simplen Argument lehnte er eine angedachte Studie über rassistische Praktiken bei der Polizei plötzlich ab.

DW-Redakteurin Mirjam Gehrke
DW-Redakteurin Mirjam GehrkeBild: DW/E.-M. Senftleben

Der Minister legt noch eins drauf: Er sei davon überzeugt, dass es in der Polizei kein strukturelles Problem mit Rassismus gebe. Damit stellt er seine persönliche Ansicht über wissenschaftliche Erkenntnisse, die eine fundierte Basis für eine sachliche Debatte liefern könnten. Im Brustton der Überzeugung leugnet der weiße Mann im Amt des Innenministers, was viele Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland jeden Tag erleben. Sie machen 26 Prozent der Bevölkerung aus.

Seehofer erweist der Polizei einen Bärendienst

Als oberster Dienstherr der Polizei erweist Seehofer den Ordnungshütern mit seiner zynischen Verweigerungshaltung einen Bärendienst, erweckt er doch den Eindruck, es gebe etwas zu verbergen. Eine unabhängige Studie könnte einen Beitrag dazu leisten, das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei wieder zu gewinnen, bzw. Probleme zu benennen und Lösungen zu entwickeln. Diese Chance hat Seehofer mit seiner kurzsichtigen Argumentation vertan.

Dieses war der erste Streich, doch der zweite folgte gleich: Und zwar nach den massiven Krawallen und Ausschreitungen gegen die Polizei in Stuttgart und Frankfurt. Auslöser waren Drogenkontrollen der Polizei, bzw. eine Massenschlägerei, die die Beamten auflösen wollten. Hunderte meist junge Menschen attackierten sie mit Flaschen und Steinen. Sie verletzten mehrere Beamte, steckten Polizeiautos in Brand. Als Reaktion darauf regte Innenminister Seehofer nun doch eine Studie an, eine über Gewalt gegen die Polizei. Ein durchsichtiges Ablenkungsmanöver. Denn diese Daten gibt es bereits: Das Bundeskriminalamt veröffentlicht jedes Jahr das Bundeslagebild zur Gewalt gegen Polizisten. 2019 wurden knapp 70.000 Beamtinnen und Beamte Opfer von Gewalt - im Streifendienst, bei Fußballspielen oder bei Demonstrationen.

Misstrauensvotum gegen die Polizei

Umgekehrt sind bei den Polizeien der Länder und des Bundes seit 2013 rund 200 Fälle dokumentiert, in denen sich Polizistinnen und Polizisten rechtsextrem betätigt haben. Dazu gehört beispielsweise das Zeigen und Tragen von verfassungsfeindlichen Symbolen. Der derzeit bekannteste Verdachtsfall sind die Drohbriefe, überwiegend an linke Frauen, einige von ihnen mit Migrationshintergund, unterschrieben mit "NSU 2.0", in Anspielung auf den rechtsterroristischen NSU, dessen Mitglieder zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordeten. Die persönlichen Daten von drei der jetzt Bedrohten waren von einem hessischen Polizeicomputer abgerufen worden.

Man darf vermuten, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist, denn nicht alles, was in internen Chatgruppen zirkuliert, kommt zur Anzeige. Und sind die 200 erfassten jeweils Einzelfälle? Oder doch Hinweise auf mögliche rechtsextreme Strukturen in einem Apparat, der, auch wenn er das Vertrauen des Innenministers genießt, zumindest von Teilen der Bevölkerung längst nicht mehr als Freund und Helfer, sondern vielmehr als Bedrohung empfunden wird? Die kriminologische Forschung konstatiert seit Jahren, dass nur etwa 20 Prozent der rassistisch motivierten Straftaten angezeigt werden. Ein Misstrauensvotum gegen die Polizei.

Rassismus in der Polizei und Gewalt gegen die Polizei - beide Studien sind dringend nötig. Es geht darum zu verstehen, warum der Respekt vor der Polizei schwindet, ob und wie stark rechtsextreme und rassistische Strukturen in der Polizei existieren und wie beides zusammenhängt. Herr Minister, öffnen Sie die Augen und setzen Sie die Brille des weißen Mannes ab!