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Kommentar: Mehr Gerechtigkeit beim Abseits!

Olivia Fritz11. August 2013

Kaum eine Regel polarisiert so sehr wie die Abseitsregel. In der Praxis sorgt vor allem das "passive Abseits" immer wieder für Diskussionen und ist oft ungerecht, findet DW-Reporterin Olivia Fritz.

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Portraitfoto Olivia Fritz (DW). (Foto: Michael Palm, Palm-Pictures)
Olivia Fritz (DW)Bild: Michael Palm

Abseits ist, wenn der Schiri pfeift. Könnte man so sagen. Aber wann pfeift der Schiri? Und ist das immer nachvollziehbar? Ich finde nicht! Beispiel: Das 2:0 beim Eröffnungsspiel zwischen dem FC Bayern München und Borussia Mönchengladbach durch Mario Mandzukic: Freistoß von halbrechts, Arjen Robben läuft an, bringt den Ball Richtung Tor. Dort stehen eine Menge Spieler, aber einer ganz klar vier Meter vor allen anderen – also meilenweit im Abseits: Bayern-Stürmer Mandzukic. Bis hierhin sind sich alle einig: Hier liegt eine Abseitsposition vor.

Dann geht alles blitzschnell: Der Ball fliegt in Richtung Strafraum, die Spieler orientieren sich weiter nach vorn, also auch auf Mandzukics Höhe. Franck Ribéry hält den Fuß dazwischen, der Ball kommt auf Torwart Marc-André ter Stegen, der gerade noch abwehren kann. Mandzukic nutzt die Situation und staubt ab – aus kürzester Distanz, er hat sich gerade einmal wenige Meter nach vorn bewegen müssen. Das Tor gilt. Hätte Ribéry den Ball nicht berührt, hätte es übrigens nicht gegolten.

"Neue Spielsituation" entscheidet über "passives Abseits"

Die Regelhüter sagen dazu: Es lag eine "neue Spielsituation" vor. Dazu reicht eine einzige, kurze Ballberührung. Eine neue Spielsituation? Klar, man kann anführen, dass das Gespann Robben/Ribéry technisch auf solch weltmeisterlichem Niveau spielt, dass die kleine Berührung tatsächlich gewollt und entscheidend für den Torschuss war (der Ball wäre sonst nicht auf das Tor gegangen). Andererseits hat Ribéry nicht erst ein Dribbling hingelegt, den Ball kontrolliert und selbst abgeschlossen. Er tickte den Ball nur kurz an, um ihm eine Richtungsänderung zu geben. Für mich ist das ein einziger Spielzug, vielleicht sogar ein einstudierter. Eine neue Situation ist das in meinen Augen ganz klar nicht.

Auch die Abwehrreaktion ter Stegens ist keine neue Spielsituation. Das sagt auch die Regel zum umgangssprachlichen "passiven Abseits", also die Situation, die entsteht, wenn ein Angreifer sich in einer Abseitsstellung befindet. Diese war vor der Saison gerade erst wieder modifiziert worden: Ein Angreifer steht nun auch dann aktiv im Abseits, wenn der Ball durch eine gegnerische Abwehraktion zu ihm gelangt – egal ob vom Torwart oder vom Abwehrspieler. Also genau wie in unserem Beispiel. Nur, wenn sich der verteidigende Spieler klar im Aufbauspiel befindet und ihm ein Fehlpass unterläuft, darf der Angreifer regulär eingreifen. Das war bei ter Stegen nicht der Fall.

Vorteil durch "passives Abseits"?

Wer blickt da noch durch? Die regelmäßigen Regeländerungen bringen da so gut wie gar nichts. Es bleibt ein schaler Beigeschmack und das Gefühl, dass der Angreifer ziemlich oft aus seiner vorher passiven Abseitsposition einen wie auch immer gearteten Vorteil ziehen kann. Auch wenn ich ansonsten sehr für die Devise "im Zweifel für den Angreifer" bin, gilt das in diesem Fall nicht. Mandzukic musste sich zum Beispiel nicht erst im Zweikampf durchsetzen, bis er an den Ball kam. Die Verteidiger, die zuvor weit aufgerückt waren, mussten sich neu orientieren, Gegenspieler suchen. Das alles ging sekundenschnell. Da geht einer, der zuvor allein vorne drin stand, schonmal im Strafraumchaos verloren.

Taktiker und Schlitzohren können diesen Wahnsinn für sich ausnutzen. Es reicht ja schon die Fußspitze eines Mitspielers, um eine neue Spielsituation zu erschaffen. Ganz neue Spielzüge sind da denkbar. Und Freistoßvarianten! Denkbar, dass Stürmer zukünftig auf solche Situationen spekulieren. Nein, ich bin nicht gegen das "passive Abseits". Doch auch, wenn das Mandzukic-Tor das Spiel nicht entschieden hat und offiziell unstrittig regulär war, bleibe ich dabei: Die Definition zur "neuen Spielsituation" sollte dringend überholt werden. Erst dann ist das "passive Abseits" für den Fußball gerecht und attraktiv.