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Politik

Die Qual der Wahl in Afghanistan

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Florian Weigand
22. Dezember 2019

Laut vorläufigem Wahlergebnis soll Aschraf Ghani als Präsident weitermachen. Freuen kann er sich darüber aber nicht, meint Florian Weigand.

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Aschraf Ghani Präsident von Afghanistan
Der alte und neue Präsident Aschraf GhaniBild: picture-alliance/Photoshot/R. Alizadah

Dass Wahlergebnisse erst nach knapp drei Monaten veröffentlicht werden können, ist allein schon rekordverdächtig. Dass diese aber immer noch vorläufig sind, ist ohne gleichen - selbst unter den schwierigen Verhältnissen am Hindukusch. Nach Lage der Dinge soll also Aschraf Ghani, der alte Präsident, wieder der neue sein. Mit 50.64 Prozent der gültigen  Stimmen erreicht er eine hauchdünnen Mehrheit. Ein klares Votum sieht anders aus.

Denn: bei nur 0,7 Prozent weniger hätte die Wahl wiederholt werden müssen. Ganz klar also, dass die wichtigsten Kontrahenten, wie der berüchtigte Islamist Gulbuddin Hekmatyar oder der bisherige Chief Executive Abdullah Abdullah die Wahl bereits anzweifeln. Letzterer war es aber auch, der ganz wesentlich an der Erosion der Glaubwürdigkeit der Wahlergebnisse mitgewerkelt hat. Von insgesamt 1,8 Millionen Wahlzetteln, die die Wahlkommission als gültig ansieht, sollen 300.000 in betrügerischer Absicht in die Wahlurnen gestopft worden sein. Laut sagte er es zwar nicht, gemeint war aber natürlich zu Gunsten Ghanis. Den Beweis blieb er jedoch schuldig. Und um das Desaster nur noch zu vergrößern, musste die Wahlkommission selbst zugeben, dass  sie aus "technischen Gründen" eine ganze Reihe der ursprünglich über zwei Millionen Stimmen nicht werten konnte.

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DW-Redakteur Florian Weigand

Die Bürde der geringen Wahlbeteiligung

Bis zum gültigen Endergebnis werden nun wieder zermürbende Wochen vergehen und es stellt sich die Frage, warum überhaupt jemand darauf erpicht sein kann, unter diesen Umständen Präsident in Afghanistan zu werden. Die Wahlbeteiligung war historisch gering und wenn man die 50 Prozent der 1,8 Millionen gezählten Stimmen auf die 9,5 Millionen registrierten Wähler hochrechnet, kommt man zu einer Zustimmung zu Ghani von weniger als 10 Prozent. Und genau diese Rechnung werden prominente Politiker, die wie der frühere Präsident Hamid Karsai erst gar nicht kandidierten, oder die Taliban, die die Wahl rundheraus ablehnen, genüsslich immer wieder vorlegen, wenn es ihren politischen Kram passt.

Ein Präsident ohne wirkliche Macht

Und wichtige Entscheidungen werden ohnehin nicht im Kabuler Präsidentenpalast gefällt. Ungeniert verhandelten die USA bis in den Herbst mit den Taliban, ohne die Beteiligung der gewählten Regierung Afghanistans. Auch beim Abbruch der Gespräche wurde Kabul nicht konsultiert, sondern per Twitter von Trump brüsk vor vollendete Tatsachen gestellt. Nun werden die Friedensgespräche zaghaft wieder aufgenommen und es fällt noch leichter, Kabul zur Seite zu schieben mit zwei simplen Fragen: Wo bitte ist denn eine neue Regierung, mit der man reden könnte? Und wenn diese da ist, welche reale Zustimmung in der afghanischen Bevölkerung hat sie?

Einst war es eine der größten Errungenschaften nach dem Sturz der Taliban, dass in Afghanistan demokratische Wahlen stattfinden konnten. Mit jedem Urnengang seither schwindet aber die Glaubwürdigkeit. Die Afghanen mussten frustriert mit ansehen, wie das politische Establishment ihre Stimmen, die sie oft unter Todesgefahr abgaben, ungeniert manipuliert und sich über den Volkswillen hinwegsetzt.  Und auch der Westen trägt leider wesentlich dazu bei, dass die Demokratie in Afghanistan zu einer Schaufensterveranstaltung verkommt, wenn es ihm nicht doch noch gelingt, eine künftige Kabuler Regierung - wie immer sie nun aussieht - gleichberechtigt in eine Friedenslösung am Hindukusch einzubeziehen.