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Kommentar: Das Irak-Dilemma

Rainer Sollich 20. März 2006

Im Irak ist drei Jahre nach Kriegsbeginn ist kein Ausweg aus Chaos und Gewalt in Sicht. Der Westen insgesamt wirkt angesichts dieser Lage ratlos, meint Rainer Sollich in seinem Kommentar.

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US-Soldaten bei einem Einsatz nahe der syrischen GrenzeBild: AP
Fernschreiber Autorenfoto, Rainer Sollich 2

Die jüngsten US-Luftangriffe bei Samarra zeigen, dass der Irak nicht zur Ruhe kommt. Trotzdem behauptet US-Präsident George W. Bush, dass das Land trotz aller Schwierigkeiten auf einem guten Weg zu Stabilität und geordneten Verhältnissen sei. Die Zahlen sprechen freilich eine andere Sprache: Selbst Bush geht davon aus, dass in den vergangenen drei Jahren mindestens 30.000 Menschen im Irak ums Leben gekommen sind. Manche Experten schätzen die Zahl der Toten sogar auf 45.000 bis 75.000 - darunter auch mehr als 2.300 US-Soldaten.

Man könnte versucht sein, auch den Irakern kritische Fragen zu stellen. Der Krieg, der am 20.3.2003 begann, hat sie von der Herrschaft Saddam Husseins befreit und Chancen für einen Neubeginn eröffnet. Aber genutzt wurden diese Chancen nicht. Der Irak ist nicht zu einem demokratischen Vorbild für die Region geworden - sondern zu einem Land, das ständig am Rande des Bürgerkriegs zu taumeln scheint. Von Stabilität ist weithin nichts, von demokratischem Anfang nur sehr wenig zu spüren. Stattdessen bekämpfen sich Angehörige der unterschiedlichen Volksgruppen gegenseitig, sprengen Gotteshäuser in die Luft und ermorden oder entführen ausländische Journalisten und politische Gegner.

Tummelplatz von Terrorgruppen

Wer so urteilt, verkennt allerdings, dass die Mehrzahl der Iraker nicht Urheber, sondern Opfer dieser Entwicklung ist. Von ungenutzten Chancen kann keine Rede sein in einem Land, in dem Terroranschläge längst alltäglich geworden sind. In zahlreichen Landesteilen kann sich kein Bürger mehr davor sicher fühlen. Und besonders hoch ist das Anschlagsrisiko ausgerechnet für jene, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen und sich etwa für eine Karriere in den neuen staatlichen Sicherheitskräften entschieden haben. Es ist durchaus wahr, dass erschreckend viele Iraker extremistischen Führern auf den Leim gehen und sich gegenseitig aufhetzen und instrumentalisieren lassen. Aber es darf auch unterstellt werden, dass die schweigende Mehrheit sich nichts sehnlicher wünscht als Ordnung und Stabilität, demokratische Freiheiten und Wohlstand.

Trotz den jüngsten Luftangriffen bei Samarra, trotz der Folter in Abu Ghoreib und vielfältigen Schikanen im Alltag sind die Iraker in erster Linie nicht Geiseln der amerikanischen Besatzungsmacht. Sie sind viel mehr Gefangene von teils aus dem Ausland gesteuerten Gruppen wie El-Kaida, die alles tun, um das Entstehen geordneter Verhältnisse zu verhindern und deswegen auch gezielt Unschuldige und Unbeteiligte terrorisieren. Dass der Irak zum Tummelplatz solcher Gruppen werden konnte und dass auch der Iran dort heute großen Einfluss ausübt - das allerdings ist der amerikanischen Regierung anzulasten.

Schlecht vorbereitet in den Krieg

Der Sturz von Diktator Saddam Hussein ist nicht zu bedauern. Trotzdem war der Krieg ein Fehler. Nicht nur, weil er ohne ausreichende internationale Unterstützung und unter fadenscheinigen Begründungen geführt wurde. Sondern vor allem, weil die USA nicht ausreichend auf die Bewältigung der Nachkriegszeit vorbereitet waren. Wer ein Land bombardiert und dessen Regierung stürzt, ohne den betroffenen Menschen später auch nur annähernd Sicherheit und Entwicklungsperspektiven garantieren zu können, der darf sich nicht wundern, wenn die Dankbarkeit sich in engen Grenzen hält.

Die westliche Irak-Politik ist dadurch in ein schwer auflösbares Dilemma geraten: Die Amerikaner bekommen das Land nicht in den Griff. Aber würden sie vorzeitig herausgehen, könnte der Irak vollends im Chaos versinken oder sogar auseinander brechen. Besonders problematisch ist diese Situation für Länder wie Deutschland und Frankreich, die den Krieg seinerzeit abgelehnt hatten.

Im Visier der Terroristen

Natürlich müssen auch sie so gut wie möglich zu einer Stabilisierung des Landes beitragen - der Irak und die arabische Region sind schließlich Europas Nachbarn. Aber jedes Engagement vor Ort ist gefährlich, weil längst auch Gegner des Irak-Kriegs ins Visier der Terroristen geraten. Wie also den Irakern helfen, ohne die eigene Sicherheitsinteressen zu gefährden? Darauf gibt es bisher in der westlichen Welt keine schlüssigen Antworten, nur Ratlosigkeit.

Man muss nicht alte Streitfragen neu aufwerfen, um festzustellen: Es sind die USA, die sich selbst, die Weltgemeinschaft und nicht zuletzt die Iraker in diese schwierige Position gebracht haben. Das ist nicht mehr zu ändern, sollte aber einen Lerneffekt haben - auch im Hinblick auf den Konflikt um das iranische Atomprogramm: Wer - möglicherweise sogar unter Einsatz von Gewalt - in einem anderen Land einen Regimewechsel anstrebt, der sollte sich zumindest breiter internationaler Unterstützung sicher sein können. Und er sollte vor allem ein tragfähiges Konzept für die Zeit danach parat haben.