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Autoriese im Ausnahmezustand

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Henrik Böhme
9. Oktober 2015

Seit nunmehr drei Wochen ist bei Volkswagen Feuer unterm Dach. Wichtige Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Das könnte darauf hindeuten, dass das dicke Ende noch kommt, meint Henrik Böhme.

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Symbolbild Baustelle VW
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Als ich dieser Tage meinen Volkswagen in die Werkstatt brachte, war der Mitarbeiter, der mich bediente, regelrecht froh: Sie kommen nur wegen der Winterreifen? Wunderbar. Ansonsten sei die Hölle los. Die Telefone stünden nicht mehr still, bloß: Antworten könne man noch nicht geben. Nur beruhigen.

Das beschreibt ganz gut die Lage bei Europas größtem Autobauer. Da ist ein gigantischer Felsbrocken in Wasser gefallen und nun versuchen sie in Wolfsburg, die riesigen Wellen, die das verursacht hat, irgendwie einzudämmen. Nur halt nicht mit großem Gerät, sondern mit der kleinen Sandkasten-Schippe. Gut, manches ist passiert: Der Konzernchef heißt nicht mehr Martin Winterkorn, sondern Matthias Müller. Drei Technik-Vorstände sind beurlaubt, die interne Revision und eine US-Kanzlei durchkämmen den ganzen Laden auf der Suche nach Schuldigen. Man hat einen neuen Aufsichtsratschef gefunden, aber das wäre so oder so notwendig gewesen. Der US-Chef von Volkswagen musste sich in dieser Woche einer Anhörung im US-Kongress stellen. Schließlich rückte auch noch die Staatsanwaltschaft an und durchsuchte diverse VW-Standorte in Deutschland.

Tricksen, Tarnen, Täuschen

Viel mehr als vor drei Wochen wissen wir trotzdem noch immer nicht. Aber alles, was bekannt wurde, hat die Sache nur noch schlimmer gemacht. Zum Beispiel, dass die Manipulations-Software keineswegs nur in den USA-Modellen verbaut war, sondern auch in Europa. Wenn man aber dazu noch erfährt, dass die Software für jedes Modell speziell programmiert und angepasst werden musste, dann wird mir zumindest immer klarer: Da war nicht nur ein kleiner Kreis eingeweihter Ingenieure am Werk, die auf Teufel komm raus die Vorgaben aus der Konzernzentrale erfüllen wollten: den Diesel für den US-Markt endlich "clean" zu machen. Nein, wir haben es mit einem raffinierten System von Tricksen, Tarnen und Täuschen zu tun. Die Frage ist nur noch: Wie viele Leute wussten davon? Bis zu welcher Management-Ebene?

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Henrik Böhme, DW-WirtschaftsredaktionBild: DW

Je länger aus der Konzernzentrale in Wolfsburg nichts Offizielles kommt, also auch kein Zwischenbericht zum Stand der Dinge, umso größer wird aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit, das man sich auf einen ziemlich großen Knall einstellen muss. Entschuldigungen in den USA oder auch in deutschen Zeitungen, verbunden mit dem Versprechen, alles zu tun, um das Vertrauen zurück zu gewinnen - das sind hohle Phrasen, solange nicht Ross und Reiter benannt sind.

Nun kennt man sich im Hause Volkswagen ja gut aus mit Skandalen. Da war die Affäre um José Ignacio López, den Ferdinand Piëch 1993 als Chefeinkäufer von Opel holte. Dummerweise hatte der geheime Unterlagen von GM im Gepäck. VW zahlte 100 Millionen Dollar und musste für eine Milliarde Autoteile bei GM einkaufen. Ab 2005 geriet der Konzern wegen Schmiergelder und Lustreisen ins Kreuzfeuer der Kritik. Am Ende trafen sich Ex-Betriebsräte und Ex-Vorstände vor Gericht wieder. Schließlich der mittlerweile legendäre, wenn auch gerade ein halbes Jahr zurückliegende Machtkampf, den sich Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn in aller Öffentlichkeit lieferten.

Schlechter Zeitpunkt

Nur ist das alles ein Kindergeburtstag verglichen mit Dieselgate. Keiner kann beziffern, was an finanziellen Belastungen auf den Konzern zukommt. Die Klagewelle läuft ja gerade erst an. Die Geduld der betroffenen Autobesitzer wird auf eine harte Probe gestellt. Noch sind keine Einzelheiten bekannt, aber die Rückrufaktion wird sicher das ganze Jahr 2016 hindurch laufen. Da wird sich mancher überlegen, ob sein nächstes Auto nicht von einer anderen Marke kommen sollte.

Das alles geschieht zu einer Zeit, in der sich milliardenschwere Konzerne wie Google und Apple daran machen, selbstfahrende Automobile auf die Straßen zu schicken. In einer Zeit, in der sich die Branche in einem historischen Umbruch befindet, wie es Ex-Boss Winterkorn noch vor ein paar Wochen sagte. Nur mal nebenbei: In Apples Kriegskasse liegen umgerechnet 180 Milliarden Euro. Das reicht nach heutigem Stand locker, um - richtig - VW zu kaufen. Werden sie nicht machen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Jungs aus Cupertino die Wolfsburger viel zu langweilig finden.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58