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Angst vor "Instabilität"?

HA Asien | Philipp Bilsky Kommentarbild App
Philipp Bilsky
19. Juli 2015

Die chinesische Regierung verschärft ihre Kontrolle über die eigene Bevölkerung weiter. Ein Hinweis, dass die Kommunistische Partei wirtschaftlich schwierigere Zeiten erwartet, meint Philipp Bilsky.

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De,onstranten ion Hongkong gegen Festnahmen auf dem Festland (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/J. Favre

Es war der wahrscheinlich größte Schlag gegen Bürgerrechtsanwälte seit dem Amtsantritt Xi Jinpings. Über hundert dieser "weiquan lüshi", wie sie im Chinesischen genannt werden, ihrer Mitarbeiter und Aktivisten wurden Ende vergangener Woche von der chinesischen Polizei einbestellt oder festgenommen. (Demonstranten im Bild oben zeigen Ausmaß der Verhaftungswelle in ganz China.)

Der Vorwurf: Sie hätten eine "größere kriminelle Vereinigung" gegründet und die öffentliche Ordnung "ernsthaft gestört". Auch wenn ein Großteil der Personen anschließend wieder nach Hause gehen konnte, die Aktion dürfte bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Denn ein solch scheinbar systematisches Vorgehen des Staates gegen Anwälte hatte es zuvor in dieser Form nicht gegeben.

Dieses Vorgehen folgte nur knapp zwei Wochen nach der Verabschiedung eines neuen Gesetzes zum "Schutz der nationalen Sicherheit". Was "nationale Sicherheit" bedeutet, ist in dem Gesetz nur sehr vage formuliert: Sie beinhaltet Bereiche wie Verteidigung, Wirtschaft und Energie, aber auch Kultur, Minderheiten und Religion - sowie eine lange Liste weiterer Felder. Relevant für die nationale Sicherheit ist demnach - je nach Interpretation - fast alles. Das eröffnet dem Staat einen enormen Handlungsspielraum. Und das Gesetz ist nur eines von mehreren, die die Kontrollmöglichkeiten des Staates offenbar erweitern sollen. In der Diskussion sind außerdem ein Gesetz zur Neuregulierung ausländischer NGOs und ein Gesetz gegen Terrorismus und Cyberkriminalität.

Bilsky Philipp (Foto: DW)
Philipp Bilsky leitet die DW-ChinaredaktionBild: DW

Neue Stufe der Kontrolle und Machtkonzentration

Dieses Vorgehen der chinesischen Regierung passt auf der einen Seite ins Bild, gleichzeitig verwundert es. Es passt ins Bild, weil die chinesische Regierung bereits in den vergangenen zwei Jahren ihre Kontrolle immer weiter ausgebaut hat. Die Zensur des Internets wurde ausgeweitet, die Regulierung der Medien verschärft. Gleichzeitig konzentrierte Xi Jinping immer mehr Macht in seiner Hand - eine Verabschiedung von der sogenannten "kollektiven Führung" der Vorjahre. Gleichzeitig aber verwundert diese Politik. Denn etwas Vergleichbares hat es in der jüngeren chinesischen Geschichte nicht gegeben. Die Jahre unter der Führung von Hu Jintao und Wen Jiabao erscheinen in diesem Licht fast schon als "liberale Phase".

Bleibt die Frage: Warum tut die chinesische Regierung das? Und warum jetzt? Mit letzter Sicherheit kann das wohl nur die chinesische Regierung selbst beantworten. Aber die Vermutung liegt nahe, dass die Kommunistische Partei eine wirtschaftlich schwierigere Zeit erwartet, die auch die Stellung der chinesischen Partei in Frage stellen könnte. China muss sich in den kommenden Jahren wirtschaftlich neu erfinden. Bislang basierte das chinesische Modell in erster Linie auf billigen Arbeitskräften, einer starken Nachfrage auf dem Weltmarkt, ausländischen Investitionen und Milliardeninvestitionen durch den Staat.

Reaktion auf wirtschaftliche Herausforderungen

Doch die Jahre des Superwachstums sind vorbei. Stattdessen spricht die Regierung von der "neuen Normalität" - nachhaltigerem, aber eben auch langsamerem Wachstum. Qualität statt Quantität ist der Plan. Doch das zu verwirklichen ist leichter gesagt als getan. Hinzu kommt: In China wächst eine jüngere Generation heran, deren Kindheit nicht von Hungersnöten und wirtschaftlicher Knappheit geprägt war. Für sie ist das Wachstum der letzten Jahrzehnte selbstverständlich. Und diese Generation zufriedenzustellen, ist in Zeiten eines sich verlangsamenden Wachstums eine enorme Herausforderung.

Soll heißen: In den kommenden Jahren dürfte es für die chinesische Regierung zunehmend schwieriger werden, das zentrale Versprechen einzulösen, das ihr bislang ihre Legitimation gegeben hat: dass es für die chinesische Bevölkerung wirtschaftlich immer weiter bergauf geht - und zwar auf breiter Basis. Offenbar ist sich auch die chinesische Führung dieser Herausforderung sehr bewusst. Wie die Kommunistische Partei die - aus ihrer Sicht - "Stabilität" in dem Land auch in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten aufrechterhalten möchte, hat sie nun demonstriert: durch Einschüchterung im Vorfeld und Unterdrückung möglicher Proteste im Kern.