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Ablenkungsmanöver

Zhang Danhong Kommentarbild App
Danhong Zhang
21. Juli 2016

Nach dem Terroranschlag in einem Zug bei Würzburg werden alle möglichen Aspekte besprochen, aber die wesentlichen Fragen ausgespart. Darin haben Politiker und viele Medienvertreter bereits Routine, meint Zhang Danhong.

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Regionalbahn
Bild: Fotolia/eyetronic

Vorneweg ein paar Worte an die chinesische Familie aus Hongkong, die in Bayern Urlaub machen wollte und am Montag Opfer des Hasses eines jungen Islamisten wurde:

"Es tut mir unendlich leid, was Euch in der Regionalbahn widerfahren ist. Ihr sucht die deutsche Idylle und erlebt dann den schlimmsten Albtraum, den man sich vorstellen kann. Ich wünsche Euch von ganzem Herzen, dass Ihr davon wieder aufwacht, auch wenn Euer Leben sicherlich nicht mehr das sein wird, was es vorher war. In Gedanken bin ich bei Euch und Euren Angehörigen in Hongkong. Ihr dürft es nicht persönlich nehmen, dass die meisten meiner Berufskollegen Euch kaum beachtet haben. Sie müssen sich mit anderen, sehr wichtigen Fragen beschäftigen."

Die Fragen lauten zum Beispiel: "Waren die Todesschüsse der Polizei auf den Täter gerechtfertigt?" "Wurde Riaz Khan Ahmadzai eine Integrationsperspektive in Deutschland geboten?" "Hat er sich schon als Terrorist unter die Flüchtlinge gemischt, oder hat er sich erst in Deutschland radikalisiert?" Die letzte Frage ist für die Politik von hoher Bedeutung. Denn wäre der Afghane bereits als Terrorist nach Deutschland gekommen, dann würde das ja ein schlechtes Licht auf die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung werfen. Für die Politik ist es auch wichtig festzustellen, ob der Minderjährige auf Anordnung des IS oder als Einzeltäter gehandelt hat. Es gab keinen Auftrag an ihn, verkündet Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Dann war es streng genommen auch kein Terrorakt, sondern eher ein Amoklauf, schlussfolgern die Medien und meiden bei der Berichterstattung eisern das Wort "Terror". Dabei wird den Bürgern unterstellt, dass sie nicht zwischen friedlichen Muslimen und islamistischen Terroristen zu unterscheiden wissen.

Bayern Attacke in Regionalzug bei Würzburg-Heidingsfeld Blutfleck
Überall Blut - der Tatort zeugt von der Brutalität des jungen TerroristenBild: picture-alliance/dpa/K. Hildenbrand

Ein Hohn für die Opfer

Seien wir ehrlich: Macht es einen Unterschied, ob der Junge auf IS-Geheiß mit einer Axt brutal auf Menschen eingeschlagen oder sich bloß "von der IS-Propaganda angestachelt gefühlt" hat, wie de Maizière es formuliert hat? Wird die Situation für die Opfer erträglicher, wenn die Journalisten die Bluttat lieber als Attacke oder Angriff denn als Anschlag bezeichnen? Im Gegenteil: Indem mit aller Mühe nach Erklärungen für die Tat gesucht wird und somit auch nach einer Art Entschuldigung, werden die Opfer missachtet und verhöhnt. Für mich reiht sich Würzburg nicht nur eindeutig zu Paris, Orlando und Nizza ein - der Anschlag stellt auch eine Zäsur dar: Denn jetzt wissen wir, dass nicht nur Schwulenbars oder Rockkonzerte den Islamisten ein Dorn im Auge sind, sondern dass sie überall zuschlagen können. Selbst mitten in der tiefsten Provinz.

Ich weiß, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann. Aber als deutsche Bürgerin erwarte ich vom Staat, dass er weiß, wen er ins Land hereinlässt und wem er Schutz gewährt. Das war zumindest monatelang nicht der Fall. Da konnte sich praktisch jeder als Syrer ausgeben, sich mehrfach registrieren, plötzlich abtauchen und sich dann wieder anmelden.

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DW-Redakteurin Zhang Danhong

Dass der IS ein Bekennervideo von Riaz Khan Ahmadzai veröffentlicht hat, brachte mich auch ins Grübeln: Wenn dieses Video zur Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Islamischen Staats gelangen konnte, warum haben es unsere Geheimdienste nicht abfangen können? Oder hat er es mit einer Brieftaube geschickt, deren Flugziel leider nicht zu identifizieren war?

Die eigentlichen Fragen

Dient das Schwadronieren über Attacken oder Terror, einsame Wölfe oder Befehlsempfänger, Berufskiller oder Quereinsteiger eigentlich dazu, von solchem Versagen abzulenken und um die eigentlichen Fragen auszuklammern? Die lauten zum Beispiel: War die unkontrollierte Zuwanderung des vergangenen Jahres ein Fehler? Falls ja, wie können wir die negativen Folgen begrenzen? Sollte man nicht spätestens jetzt den weiteren Zuzug stoppen oder zumindest begrenzen? Immerhin sind in der ersten Jahreshälfte weitere 220.000 Flüchtlinge aufgenommen worden - trotz der angeblich geschlossenen Balkanroute. Wer sind diese Menschen? Woher kommen sie wirklich? Sollen weiterhin allein Schleuserbanden entscheiden, wer zu uns kommen darf?

Die ZDF-Moderatorin Marietta Slomka hat indirekt zumindest die erste Frage an Kanzleramtschef Peter Altmaier gerichtet: Können sich die Gegner der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin jetzt bestätigt fühlen? Der Vertraute der Kanzlerin antwortete: "Wenn wir zulassen, dass der Terrorismus, sei es von Al Kaida oder vom IS, dazu führt, dass es keinen Austausch mehr gibt, dass es keine Studenten mehr gibt, die in anderen Ländern studieren dürfen, dann haben die Terroristen gewonnen. Deswegen lassen wir uns unsere westliche Lebensweise nicht nehmen. Deshalb bekämpfen wir den Terrorismus."

Ich muss zugeben, dass ich diesen Redeschwall nicht wirklich verstanden habe. Wieso können Deutsche nicht mehr im Ausland und Ausländer nicht mehr in Deutschland studieren, wenn der Staat die Grenzen schützt - was eine seiner primären Aufgaben ist? War die Attacke in Würzburg also doch ein Terrorakt? Und seit wann ist Bahnfahren eigentlich Teil des westlichen Lebensstils?

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit über 20 Jahren in Deutschland.

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