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Knirschen im System Kirchner

Marc Koch, Buenos Aires26. Oktober 2013

Argentinien steht vor den Parlamentswahlen. Dabei kündigen sich große Veränderungen für das Land an. Umfragen sehen eine Niederlage der Regierungspartei um Cristina Kirchner voraus. Das wäre das Ende einer langen Ära.

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Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und Spitzenkandidat Martín Insaurralde jubeln auf einem Wahlplakat (Foto: DW/Marc Koch)
Auf diesem Wahlplakat jubeln Spitzenkandidat Martín Insaurralde und Präsidentin Cristina Kirchner nochBild: DW/M. Koch

Gastón Peña weiß, wen er am kommenden Sonntag (27.10.2013) wählt: Er stimmt für die Regierungskoalition Frente para la Victória (Front für den Sieg). Denn ohne die hätte er keinen Job: Die Textilfabrik, in der er arbeitet, ist vor ein paar Jahren Pleite gegangen. Mit staatlicher Hilfe haben Gastón und seine Kollegen das Unternehmen in Eigenregie übernommen und als Kooperative weitergeführt.

Das war noch zu Zeiten des Vorgängers von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, ihrem verstorbenen Mann Néstor Kirchner. Seither steht für Gastón fest, welche Partei seine Stimme bekommt: "Ich wähle sie, weil sie für Gleichheit gesorgt und uns die Würde zurückgegeben hat. Und dann natürlich auch wegen der Arbeitsmarktpolitik."

Der Ausfall des Zugpferdes

Überall in der Fabrik hängen Plakate der Präsidentin. Sie ist das Gesicht dieser Politik. Zwar steht sie selbst nicht zur Wahl. Aber niemand kann die Massen so gut mobilisieren, wie die amtierende Präsidentin. Keiner aus ihren Reihen hat ihr Charisma, ihr Talent, öffentliche Auftritte so zu inszenieren.

Um so schmerzlicher war es für ihre Partei, dass sie die Kampagne auf der Zielgraden verlassen musste: Wegen der Spätfolgen eines Unfalls musste die Präsidentin zwei Wochen vor der Abstimmung überraschend operiert werden. Für Martín Insaurralde, den kaum bekannten Spitzenkandidaten des Regierungslagers, ist die Aufgabe damit noch schwieriger geworden: Er soll jetzt das Abgeordnetenmandat für die Provinz Buenos Aires gewinnen und 2015 dann die Präsidentin im Amt beerben.

Das Modell läuft aus

Glaubt man den Umfragen, dürfte ein Sieg Insaurraldes aber schon bei den nun anstehenden Parlamentswahlen ziemlich schwer werden. "Die Menschen werden bei dieser Wahl ein ökonomisches und soziales Modell fordern, das ausgeglichener als das aktuelle ist", sagt der politische Analyst Carlos Fara aus Buenos Aires. Der Staat habe in den letzten beiden Jahren stark von seinem "exzessiven Interventionismus" profitiert. "Wenn wir es mal wertend betrachten, wollen die Leute eine Wirtschaftspolitik, die Produktivität und geleistete Arbeit schätzt", so Fara weiter.

Gastón Peña (r.), selbständiger Unternehmer, gibt seinem Mitarbeiter in der Textilfabrik Anweisungen (Foto: DW/Marc Koch)
Unternehmer Gastón Peña (r.) unterstützt Präsidentin Kirchner voll und ganzBild: DW/M. Koch

Das "Modell", wie die Kirchneristen ihre Politik aus starkem Staat und rüder Abschottung nach außen nennen, gilt vielen Argentiniern als nicht mehr attraktiv. Ökonomisch belastet es die Mittelschicht, ohne dass sich an der Situation der Armen im Land etwas ändert. Insbesondere die hohe Inflation bereitet vielen Argentiniern Sorge. Offiziell liegt sie bei zehn Prozent - Experten schätzen aber, dass sie tatsächlich zwischen 20 und 30 Prozent liegt.

Zudem werfen viele Argentinier Kirchner vor, einen zunehmend autoritären Regierungsstil zu verfolgen. In der Kritik steht eine Reform der Justiz. Diese würde es Kirchner ermöglichen, mehr Richter zu ernennen, die ihre Politik unterstützen - so die Meinung vieler Kritiker. Auch verstummen die Gerüchte um die persönliche Bereicherung und Auslandskonten des Kirchner-Clans nicht.

Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner bei einer Wahlveranstalltung mit dem Spitzenkandidat Insaurralde (Foto: DW/Marc Koch)
Einsatz für den Wahlsieg: Spitzenkandidat Insaurralde und Kirchner bei einer WahlkampfveranstaltungBild: DW/M. Koch

Ihren Unmut hatten die argentinischen Wähler der Präsidentin bereits bei den Vorwahlen im August zu verstehen gegeben. Zwar erzielte die Frente para la Victória mit landesweit knapp 26 Prozent das beste Ergebnis. Doch vor zwei Jahren hatte Kirchner sich noch mit gut 54 Prozent der Stimmen ins Amt wählen lassen.

Auch wenn die Proteste inzwischen nachgelassen haben, ist die schlechte Stimmung bei vielen Menschen geblieben. Der Analyst Fara sieht inzwischen eine "Kultur der Ermüdung" in Argentiniens Mittelklasse: Die Leute seien immer weniger motiviert, für Veränderungen zu kämpfen oder gegen Missstände zu protestieren.

Ein Abtrünniger als Präsidentschaftskandidat

Auf solche Enttäuschten setzt der Spitzenkandidat der Opposition: Sergio Massa, ein abtrünniger Kirchnerist, der einmal Kabinettschef war. Heute ist er der überaus erfolgreiche Bürgermeister der Kleinstadt Tigre, nordwestlich von Buenos Aires. Vor einem Jahr hat er eine neue Partei gegründet: Die Frente Renovador (Front der Erneuerung). Massas Umfragewerte zeigen steil nach oben. Und natürlich dürfte sein Fernziel ebenfalls der Präsidentenpalast sein.

Deswegen sei es für die beiden wichtigsten Spitzenkandidaten unabdingbar, bei diesen Wahlen gut abzuschneiden. Denn hier, erklärt Carlos Fara, entscheide sich auch die Startaufstellung für das Rennen um den Präsidentenpalast, wenn 2015 ein neues Staatsoberhaupt gewählt wird. "Dann bekommt man eine Idee davon, welchen Kurs die Menschen für Argentinien haben möchten."

Präsidentin Kirchner an der Seite ihres mittlerweile verstorbenen Ehemanns. (Foto: AP /Jorge Saenz)
Kirchner an der Seite ihres mittlerweile verstorbenen MannsBild: AP

Und es gibt bereits klare Indizien: 41 Prozent der Argentinier wissen schon jetzt, dass sie übernächstes Jahr weder einen "kirchneristischen" noch überhaupt einen Staatschef, der der Partei Kirchners angehört, haben wollen. Die Peronistische Partei (PJ) der amtierenden Präsidentin folgt der Tradition Juan Domingo Peróns, Argentiniens emblematischem Präsidenten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Carlos Fara beobachtet in Argentinien gegenwärtig einen starken Trend zu einer nicht-peronistischen Mittelklasse. Das Vermächtnis Perons, auf das sich jahrelang unterschiedlichste politische Gruppierungen berufen haben, hat sich für viele endgültig überlebt.