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Klotz am Bein

Thomas Kohlmann10. Dezember 2002

Nicht nur in Sachen Irak wächst der Unmut Washingtons über die Deutschen – immer mehr US-Wirtschaftsexperten prangern die hausgemachte Wachstumsschwäche an.

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Deutsche Wirtschaft 2002: Stagnation auf hohem NiveauBild: Bilderbox

"Die Weltwirtschaft ist schuld!" Ganz gleich ob Bundeskanzler Schröder, Oberkassenwart Eichel oder Superminister Clement – wenn Regierungspolitiker nach den Gründen für die Magersucht der deutschen Wirtschaft gefragt werden, dann sind es immer die Anderen. Dabei müssten sie es besser wissen. EU-Währungskomissar Pedro Solbes sagt es genauso deutlich wie Horst Köhler, Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF): Verantwortlich für die Wirtschaftsmisere sind vor allem die Deutschen selbst.

Besonders die Amerikaner sind es leid, als einsame Wachstums-Lokomotive herzuhalten. Immer lauter wird die Kritik an der wirtschaftlichen Stagnation in Japan und Deutschland, die zusammen immerhin für knapp ein Drittel der Weltwirtschaftsleistung verantwortlich sind. Immer mehr amerikanische Wirtschaftsexperten befürchten, nach den Japanern könnten sich auch die Deutschen als reformunfähig entlarven. Schon kursieren in den Regierungsbüros der US-Hauptstadt Studien mit Titeln wie "Ist Deutschland das neue Japan?"

Stagnation mit globalen Folgen

Die Furcht ist berechtigt. Immerhin stellt Deutschland rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der EU und erzeugt fast ein Viertel des EU-Bruttoinlandsprodukts (BIP). Doch der Lack ist ab vom einst viel beschworenen Konjunktur-Motor Europas: "Wir sind mittlerweile der Bremsklotz in Europa", bringt es Eckhardt Wohlers vom Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA) im Gespräch mit DW-WORLD auf den Punkt.

"Das gemeinsame an Japan und Deutschland ist die Weigerung, ihre Probleme anzupacken, stellt Robert Samuelson, Kolumnist der "Washington Post", fest. Und legt noch nach: "Deutschland ist Europas kranker Mann – genau wie Japan der kranke Mann Asiens ist."

"Wie ein angezählter Boxer"

Dass die deutschen Probleme tiefer liegen als beim Blick auf den verkrusteten Arbeitsmarkt auffällt, belegt eine aktuelle Studie der Harvard Business School im Auftrag des Weltwirtschaftsforums. Fazit: Technologisch sind deutsche Firmen noch immer Weltspitze, die Unternehmen werden aber von immer mehr Bürokratie gebremst und müssen mit immer schlechter ausgebildeten Mitarbeitern zurechtkommen. Erschütterndes Fazit von Michael Potter, Harvard-Ökonom und Mit-Autor der Studie: "Staatliche Interventionen sind mehr und mehr Teil des Alltags geworden. Deutschlands Position im Hinblick auf wettbewerbsverzerrende staatliche Interventionen hat sich nach unseren Indikatoren in den vergangenen fünf Jahren um 21 Plätze verschlechtert!"

Zeit für bittere Wahrheiten

Trotz aller Kritik an den bestehenden Missständen hat HWWA-Volkswirt Eckhardt Wohlers die Hoffnung noch nicht aufgegeben: "Möglich ist es immer, das Steuer herumzureißen. Doch zuerst muss man den Leuten aber reinen Wein einschenken."

Dass dieser Wein einen bitteren Beigeschmack haben wird, macht der Vergleich Michael Potters deutlich: " Ich glaube der Wohlstand in Deutschland ist ernsthaft bedroht. Das Land erinnert an einen früheren Box-Champion, dem langsam die Puste ausgeht und der keine Reserven mehr hat."

Und so glauben auch in den USA nur noch wenige an die Dynamik der einstigen deutschen Super-Volkswirtschaft. Washington-Post-Autor Samuelson endeckt dabei eine gewisse Ironie des Schicksals: "Vor gerade einmal 15 Jahren sah es so aus, als würden Japan und Deutschland die Führung der globalen Wirtschaft übernehmen. Heute ziehen sie die Weltwirtschaft nach unten."