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Staeck: "Wir müssen uns an Werte erinnern"

Stefan Dege16. Juni 2015

Immer mehr Künstler beziehen Position zum Thema Flüchtlinge. Klaus Staeck, Plakatkünstler und langjähriger Präsident der Berliner Akademie der Künste, spricht im DW-Interview über die Notwendigkeit sich einzumischen.

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Klaus Staeck Künstler
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Herr Staeck, Berlin erlebt an diesem Wochenende eine spektakuläre Kunstaktion. Das Zentrum für Politische Schönheit holt eine Flüchtlingsleiche in die Hauptstadt. Mit der Aktion will man der Toten gedenken, die auf der Flucht nach Europa ums Leben kamen - mit Bestattungen mitten in Berlin. Soll oder muss Kunst derart provozieren?

Klaus Staeck: Das entscheidet jeder selber. Ich bin kein Obergutachter für Aktionen anderer Künstler, aber wenn sie das für angebracht, für notwendig und für verantwortlich halten…

Muss oder darf Kunst so etwas, um auf politische Missstände aufmerksam zu machen?

Für mich ist entscheidend: Provoziert man um des Provozierens willen? Diese Entscheidung sollte man vorher treffen. Ich hab es auf 41 Prozesse gegen meine Arbeiten gebracht. Ich habe es aber nie darauf angelegt, dass man mich verklagt. Das ist nämlich eine langwierige und kostspielige Angelegenheit, selbst wenn man am Schluss gewinnt.

Sie selbst haben sich mit spektakulären Plakataktionen für Ihre Überzeugungen eingesetzt, aber immer mit einem gewissen Augenzwinkern und mit einem ordentlichen Schuss Humor.Sie haben sich auch gegen die Flüchtlingspolitik in Europa gewandt. Läuft sie aus dem Ruder?

Von Tag zu Tag verschärft sich das Problem. In Europa schieben wir alle Pflichten des Schengener Abkommens, wie es so schön heißt, den Italienern, den Maltesern, den Griechen zu – nach dem Motto: 'Wir haben Glück gehabt'. Wenn bei uns in Deutschland einer direkt ankommen möchte, dann muss er schon mit dem Fallschirm abspringen. Wir haben eine Verschiebung von Menschen, die es bis nach Europa geschafft haben. Ein Großteil kommt ja gar nicht erst an, weil sie ertrinken, weil sie umgebracht werden. Deshalb bin ich der Meinung, es läuft nicht gut! Wenn wir eine Wertegemeinschaft sein wollen, dann müssen wir uns auch an Werte erinnern. Und dazu gehört auch der Artikel 1 des Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar", Anm.d. Red.). Und dann sind wir ganz anders in der Pflicht!

Künstler sind ja häufig die Seismographen der Politik. Wie erklären Sie sich, dass zur Zeit viele, vor allem jüngere Künstler, sich des Themas Migration annehmen?

Es drängt schon seit einer ganzen Weile in den Vordergrund unseres gemeinschaftlichen Lebens. Ich habe 1986 mein erstes Plakat zu diesem Thema gemacht – mit dem Titel: 'Stell Dir vor, Du musst flüchten, und liest überall: Ausländer raus!'. Das hat leider eine sehr sehr lange Halbwertszeit und wird immer wieder noch plakatiert und in Ausstellungen gezeigt. Das Thema hat sich eher verschärft. Und da liegt es doch sehr nah, dass Künstler sich der drängenden Fragen annehmen. Jeder auf seine Weise. Das ist ein mühsames Unternehmen in einer Gesellschaft, die sich immer mehr als Ich-Gesellschaft begreift, wo sich jeder selbst der Nächste ist.

Werden sich Politiker von Künstlern zum Handeln zwingen lassen?

Ich rate davon ab, jemanden zwingen zu wollen. Wer das tut, ist nicht auf der richtigen Spur. Alles, was unter Zwang geschieht, kann sehr schnell in sein Gegenteil verkehrt werden.
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Klaus Staeck, Jahrgang 1938, ist ein deutscher Grafikdesigner, Karikaturist und Jurist. Von April 2006 bis Mai 2015 war er Präsident der Akademie der Künste in Berlin.

Das Interview führte Stefan Dege.

Klaus Staeck, Nord-Süd-Konferenz, Erscheinungsdatum: 1979 EINSCHRÄNKUNG
Plakatkunst von Klaus Staeck aus dem Jahr 1979Bild: Edition Staeck